Das Presbyterium
Das Presbyterium, der Raum, an dessen Westende sich der Hochaltar befand, ist bei den Bauten, die direkt von Hirsau abhängig sind, meist flächengleich der Vierung, dem chorus maior und liegt östlich davon. Presbyterium und Chor werden in den oben erwähnten Quellen streng voneinander geschieden 79 , sodaß auch wir die Begriffsscheidung beibehalten wollen, um Verwechslungen zu vermeiden. Den Quellen zufolge und auch teilweise noch im Baubestande erkennbar stehen am Ostende des Presbyteriums ein oder drei Altäre. Mit diesen zusammen werden vier weitere genannt, die an dem Ostende der Seitenschiffe und des Querhauses ihren Standpunkt hatten 80 . Der von Mettler gebrauchte Ausdruck für die Seitenschiffe des Presbyteriums „Seitenkapellen“ (auch sonst durchgängig in der Literatur) ist irreführend. Er resultiert aus der für diese Raumteile von Mettler gegebenen Deutung, der sie nach einer cluniazensischen Quelle des 12. Jahrhunderts als zunächst vom Presbyterium durch Mauern getrennt und als Stätten freiwilliger Geißelung ansah. Entspräche diese Deutung den Tatsachen, so wäre gegen den Ausdruck „Seitenkapellen“ nichts einzuwenden. Nun macht aber Dehlinger 81 mit Recht darauf aufmerksam, daß die von Mettler benutzte Quelle nicht dem 10. oder 11. Jahrhundert, sondern dem 12. angehört und sich nicht auf Cluny II, sondern auf Cluny III bezieht. Außerdem ist in den älteren Quellen (das sind die von uns benutzten) nirgends von freiwilliger Geißelung die Rede. Diese Argumente werden auch durch den jeweiligen Baubestand unserer Kirchen unterstützt, in denen sich nirgends eine Abtrennung von Presbyterium und den ihm zugeordneten Seitenschiffen zeigt, soweit es sich um Bauten der Reform handelt. Es ist sogar ein sicheres Kriterium, diejenigen Bauten, die Seitenkapellen, d. h. vom Presbyterium durch Mauern getrennte Räume besitzen, als der Reform- bewegung nicht zugehörig zu erkennen. Die Entwicklung geht nicht so, wie Mettler vermutetete, daß die Trennungswände in späterer Zeit von Arkaden durchbrochen werden, sondern gerade umgekehrt, die zunächst offenen Arkaden werden gewissermaßen vermauert, d. h. bei Neubauten massiv ausgeführt, aus den Seitenschiffen werden Seitenkapellen. Dies hängt wohl mit dem aufkommenden Zisterzienserorden zusammen. Besonders geht das auch aus den von Mettler angeführten Bauten hervor 82 . Nur so ist die von ihm erwähnte Textstelle in der Quelle des 12. Jahrhunderts zu erklären.
Da die oben erwähnten Altäre „altari principali altari proxima“ in den Quellen bezeichnet werden, wäre diese Textstelle bei vorhandenen Trennungswänden wohl kaum verständlich. Ganz im Gegenteil läßt sie erkennen, daß die Altäre mit dem Hochaltar als innig verbunden angesehen werden, mit ihm gewissermaßen eine Gemeinschaft bilden, was bei vorhandenen Trennungswänden kaum der Fall sein dürfte. So ist auch die Deutung der Seitenschiffe als Räume stiller Andacht, wie Link 83 interpretiert, abzulehnen. Es soll wohl nicht bestritten werden, daß diese Altäre auch der stillen Andacht dienten, der Hauptzweck aber kann es bei ihnen, die in nächster Nähe des Hochaltares
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