Hirsaus zweite Blütezeit

Ebenso bedauerlich wie unverständlich will uns scheinen, daß von der zweiten Blütezeit des Klosters die Geschichtsschreibung so wenig Notiz nahm. Wohl wird der Errichtung des Kreuzgangs mit den herrlichen Fenstergemälden, deren Be­schreibung dank der Abschrift Gotthold Ephraim Lessings auf uns gekommen ist, Erwähnung getan, auch wird der fast völligen Neuerrichtung der Klausur durch den berühmten Meister Peter von Koblenz und der Erbauung der Marienkapelle als spätgotischer Fortführung der Klosteranlage samt der Bibliothek, die heute das Museum beherbergt, gedacht. Im Vergleich zum 11. Jahrhundert ist der Bauwille klein, doch ist er im Gegensatz zu vorhergehenden Jahrhunderten vorhanden.

Das 15. Jahrhundert wir stehen im »Herbst des Mittelalters« leitet eine der interessantesten Episoden in der Geschichte des benediktinischen Mönchtums ein. »Manche unbedeutende Klöster welkten entkräftet dahin, da sie ihrer Hilfsmittel beraubt waren und keinen Nachwuchs mehr hatten. Andere, die auf dem besten Wege waren ebenfalls zugrunde zu gehen, gingen oft nach längerem und teil­weise recht hitzigem Widerstand in die Hände neuer Kongregationen oder Klöster über« (Philibert Schmitz OSB).

Für das Hirsau dieses Jahrhunderts trifft eine solche Charakterisierung Wort für Wort zu. Seit dem von allen deutschen Benediktinern beschickten Provinzialkapitel zu Petershausen bei Konstanz (1417) war die Losung »Reform« nicht mehr zu über­hören. Von Kastl (Oberpfalz) und Melk (Donau) wurde gerade in Süddeutschland um Erneuerung in den Klöstern buchstäblich geworben. Beide hätten ihren Einfluß auch auf den Südwesten ausdehnen können, wenn nicht ein Kloster, nämlich Hirsau, sich einer dritten, etwas später einsetzenden Reformbewegung angeschlossen hätte, der von Bursfelde (Weser). Diese eindeutig auf norddeutsche Klöster beschränkte Ausstrahlung Bursfeldes brach in den Südwesten ein und erreichte zuerst Hirsau im Jahre 1458.

Bursfelde war jetzt zum Gegenstück der Hirsauer Reform geworden. Die bis ins einzelne das monastische Leben regelnden Vorschriften waren streng und hart, vor allem suchten sie den wissenschaftlichen Eifer wieder zu wecken, wofür ein eigenes

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