Die Hirsauer Vergangenheit in neuer Sicht
Diesem Bemühen bekannter und unbekannter Namen, Hirsaus Vergangenheit aus dem Dunkel herauszuheben, gesellte sich ein einmaliger Glücksfall vor Jahren bei. Wenn heute vom Mittelpunkt Hirsaus die Rede ist, dann meint man St. Aurelius jenseits der Nagold. Das massige Haus, dessen Äußeres auf keine Kirche schließen läßt, ist aus dem jahrhundertealten Dornröschenschlaf erweckt worden. Vor nahezu 400 Jahren befanden die Räte des Herzogs von Württemberg: »Wenn wir nun diese Kirchen mit ihren dreien Türmen notdürftig besichtigt, so befinden wir, daß es alles im Dachwerk kein Nütz und im Abgang ist, das macht, daß selbige länger dann in 50 Jahren zu keiner Kirchensachen nit mehr gebraucht worden ... Soll man denn Zusehen, bis die Kirche für sich selbst zu hauffen fällt, so ist zu besorgen, daß es etwan unversehener Sach geschehen und die Leute beschädigen möcht. Steht demnach zu E(uer) F(ürstliche)n Gn(aden) Erwägen und Befehlen, was man sich hinfort mit Abbrechen oder Stehenlassen derselben verhalten solle.« Der Entschluß des Herzogs lautete: »Dachwerk, Kirch und 3 Türme zugleich abzubrechen«, weil, so merkt ein Zeitgenosse an, »das gebew [Gebäude] gar veraltet gewest und sich ansehen lassen, als wenn es einfallen wollt« (Parsimonius).
Wenn man sich nicht ganz an den herzoglichen Befehl hielt und einen bescheidenen Rest des Langhauses stehen ließ, so ist dies wohl einem Zufall zuzuschreiben. Für den heutigen Menschen, dem die Vergangenheit in einem gewissen Sinn wieder Allgemeinbesitz wurde, birgt das die Möglichkeit, den großen Zeugen aus der zweiten Gründungszeit Hirsaus (von früheren Zeiten ist nichts erhalten) zu studieren, zu besichtigen und zu erleben. Seit ab 1955 wieder katholischer Gottesdienst in St. Aurelius gefeiert wird, ist die restaurierte Kirche in erster Linie wieder Stätte der Andacht, Kultraum und sakraler Ort, darüber hinaus aber für viele Menschen eine Wallfahrtsstätte der Kunst geworden. Daß hier eine gültige Synthese von romanischem Torso und modernem Schaffen gefunden wurde, ist die übereinstimmende Meinung der in- und ausländischen Sachverständigen. Damit aber wurde eine Zeit, die lange tot war, wieder hineingestellt in den lebendigen Bezug der Gegenwart.