Der Heiligenpfleger für Ottenbronn wird in den Heiligenrechnungen zuerst genannt und erhält, abgesehen von verschiedenen „Zehrungen" einen Gulden dreißig Kreuzer jährlicher Besoldung, der Pfleger für das Reichenbacher Amt wird dagegen — obwohl er mehrere Orte zu betreuen hatte — mit einem Gulden jährlich entlohnt.
Zn der Helizenalegende, nach der Fassung von Hieronymus Walchs), ist unter Berufung auf Rkartin Crusius^) angegeben, die Stifterin habe als Witwe in Ottenbronn gelebt. Ihre Kirche (St. Razarius) fei von ihr „unten am Ottenbrunnifchen Berg (wo anjetzo die Klosterbediente wohnen und der Viehof genennet wird) sampt einer bequemen Wohnung" erbaut worden. Sie habe „dazu Wiesen, Waid und Wald verordnet". Vergleichen wir damit die oben angegebenen aktenmäßigen Feststellungen, wonach auch die spätere Bartholomäuskirche noch zu Anfang des 47. Jahrhunderts in Ottenbronn begütert war, ebenso die weitere Tatsache, daß nach denselben Belegen Ottenbronn als Hauptort der Pfarrei bezeichnet werden muß, so dürfte der Helizenalegende immerhin ein gewisser Wahrheitskern zuerkannt werden^). Rach den bisherigen Darlegungen ist ja die Razariuskirche als der ursprüngliche, die Bartholomäuskirche aber als der spätere kirchliche Mittelpunkt der vorgenannten Orte anzu- sehen^). Deshalb ist auch die Ibertragung des Güterbesitzes von der alten auf die neue Kirche anzunehmen.
Wechselvoll ist der GeschichtSveclauf unserer Bactholomäuskirche. Erst 4399 wird sie, zusammen mit der DitzingerRkarienkirche und der Kirche zu Döffingen, erstmals dem Kloster Hirsau einverleibt^). Das Abhängigkeitsverhältnis war wohl nur von kurzer Dauer, denn die in der Speierer Bistumsmatrikel von 4470 genannte„pastoria in Bletznawe" bezeichnet eine selbständige Pfarrpfründe^). Tatsächlich wird die Bartholo- mäuükirche auch 4474 — wieder zusammen mit den Kirchen zu Ditzingen und Döffingen — durch den päpstlichen Legaten Kardinal Markus dem Kloster Hirsau zum zweitenmal einverleibt^). Von diesem Zeitpunkt ab verblieb die Kirche anscheinend bis zur Reformation im klösterlichen AbhängigkeitsverhältniS.
17 ) Eigentliche und gründl. Beschreib», des uhralten Minerischen Bads bey Liebenzell etc., S. 15f.
18 ) Orat. de Oppid. Calwens., pag. 7f. j
19 ) Vgl. M. Crusius, Annales Suevici, pars II, lib. II, cap. 5. Nach meinem Dafürhalten ist die Helizenalegende die phantastisch ausgeschmückte und um mehr als ein Jahrhundert zurückdatierte Gründungsgesehichte der Nazariuskirche.
20 ) Vgl. hierzu die Ausführungen im zweiten Abschnitt.
21 ) Vgl. V. Emst, das Oberamt Leonberg, S. 688.
a2 ) Vgl. Franz X. Glasschröder, a. a. O. S. 79f.
2S ) Incorporations-Urk. beim Staatsarchiv Stuttg., Repert. Kloster Hirsau, B. 73.
32
Etwa gleichzeitig wie beim Kloster wurde auch bei der Pfarrkirche zu Pletzschenau die neue Lehre eingeführt. Der erste Tanseintrag im älteste» Kirchenbuch der Pfarrei von 4569 betrifft ein Kind des ersten Vorstehers der evangelischen Klosterschule, Heinrich Weickersreutter, wobei — ein Beispiel des friedlichen Zusammenlebens zwischen den Protestanten und dem Rest des Hirsauer Konvents — der im Kloster verbliebene katholische Abt Ludwig Velderer die Patenstelle übernahm^). Von 4664 ab folgen dann Einträge über Taufen von Kindern auü: Ottenbronn, Reichenbach, Kollbach, Unterkollbach, Eberspiel, Hof Lützenhardt und Würzbach sowie über solche von Kindern der Klosterbeamten und Bediensteten, und denen des Müllers und Mesners in der Pletzschenau. Rach der Reformation scheint auch eine Reuregelung des alten Güterbesitzes der Bartholomäuskirche erfolgt zu sein. Ein 4562 gefertigtes Lagerbuch des Heiligen, das wohl die Erneuerung alter Güterbestandsaufnahmen enthielt, wurde, wie die späteren Znventarien angeben, von dem Merklingec Amtsschreibec Rikolaus Rockhenbauch «»gefertigt^). Der Umstand, daß nicht der Hirsauer, sondern der Merklinger Amtsschreiber diese Reuanlegung besorgte, läßt Unstimmigkeiten bezüglich etwaiger Abgrenzungen einzelner Güter und Rechte zwischen der Hirsauer Klosterverwaltung und der Pfarrei St. Bartholomäus vermuten^). Die Aufstellung jährlicher Heiligenrechnungen mit genauer Rachweisung sämtlicher Einnahmen und Ausgaben begann erst mit dem Jahre 4589 27 ).
Die Einnahmen des Heiligen waren sehr bedeutend. Sie setzten sich zusammen aus den sogenannten „ablösigen und unablösigen Hellerzinsen" (4646/47 waren die ersteren an 26, die letzteren an 72 Stellen einzunehmen), Zinsen für ausgeliehene Gelder, Abgaben für verliehenes oder aufgegebenes Bürgerrecht (bei Zu- und Wegzug von Einwohnern der zur Kirche gehörigen Orte), Strafen, Opfergeldern, Erlöse aus verkauften Früchten vom Ertrag der Kirchengüter und anderem. Die Verwaltung war völlig selbständig und unabhängig von der des Klosters. Die fertiggestellten Jahresabrechnungen wurden jedoch von dem evangelischen Abt und dem Vogt des Klosters im Beisein „eines WaisengerichtS ordentlich abgehört", das heißt rechnerisch und inhaltlich nachgeprüst.
Ein „Znventarium" ist mehreren Heiligenrechnungen angefügt. Dessen Reichhaltigkeit läßt erkennen, daß die Pletzschenaukirche mit allen kirch-
21 ) Vgl. Geistliches Lagerbuch der Pfarrei Pletzschenau, S. 3.
25 ) Heiligenrechg. 1683 undversch. folg. Jahrg. b. Rathausarchiv Hirsau.
2e ) Anscheinend waren auch Unstimmigkeiten zwischen Ottenbronn — dem Hauptort der Pfarrei — und dem Kloster vorhanden.
27 ) Die ältesten Heiligenrechnungen haben sieh bisher nicht aufgefunden. Die von mir Vorgefundenen Rechnungen der Jahre 1616/17 und 1617/18 tragen die Nummern 27 und 28. Erhalten haben sich außerdem noch, jedoch nicht lückenlos, eine Reihe Rechnungen vom Ende des 17. und Anfang des 18. Jahrhunderts.
3 33