Nach G. Bessert^) ist von diesen Orten nur Stammheim als Urpfarrei anzusehen; dort dürften daher für unsere Gegend die ersten fränkischen Iltissionare gearbeitet haben 33 ).
Die Alamannen widerstrebten lange der Lehre des Christentums, schon deshalb, weil ihnen diese durch die fränkischen Eroberer gebracht wurde. Der größere Teil der alamannischen Bewohner des Neckargebiets soll damals abgezogen sein, um in Oberschwaben und am Bodensee neue Wohnsitze zu suchen und dort den alten Göttern weiter zu dienen. Langsam gelang es aber den christlichen Sendboten, auch die Alamannen zu ihrer Lehre zu bekehren. Die dadurch veränderten Anschauungen zeigen sich dem Archäologen heute noch in dem Befund der Gräber dieser Zeit. Da die Kirche die alte Sitte, den Toten Waffen, Schmuck und sonstige Gebrauchsgegenstände ins Grab zu geben, eifrig bekämpfte, fehlen in den Gräbern der christianisierten Alamannen diese Beigaben. Lange hielten aber unsere Vorfahren auch an dieser Sitte noch fest; dies zeigen die Funde im Reihengräberfriedhof zu Oberffacht (Kreis Tuttlingen), dessen Gräber dem 6. und 7. Jahrhundert angehören. Die überaus reichen Fundstücke von Oberffacht zeugen aber weiterhin von hohem Kunstsinn und einer ungeahnten technischen Fertigkeit der Alamannen dieser Zeit^).
Bei diesem Zeitpunkt endigt die Vorgeschichtsforschung, die bei dem Fehlen schriftlicher Quellen nur auf Grund der Bodenfnnde und eines durch viele Generationen hindurchgeretteten Sprachschatzes mühsam ihre Schlüsse zu ziehen vermag.
Die Nazariuskirche.
Die Geschichte Hirsaus beginnt nicht erst mit der Gründung des Aure- liuskloffers im Jahre 830, wie nach den Geschichtsdarstellungen im allgemeinen anzunehmen wäre, sondern schon in der zweiten Hälfte des 8. Jahrhunderts. Nach dem größeren Gründuugsbericht des sogenannten Codex Hirsaugiensis waren zur Zeit der Klostergründung am Platze schon zwei Gebäude vorhanden, nämlich ans der Spitze eines vorspringenden Hügels, nahe des Gründungsortes, ein dem hl. Nazariuö geweihtes Kirchlein und an der Stelle der Klostergründung selbst ein nicht näher be- zeichneteö WaldhaucD). Das letztere ist weiterhin belegt durch eine noch
32 ) Die Urpfarreien in Württemberg. Bl. f. Württ. Kircbengesch. 1887, Nr. 11, S. 83.
33 ) Man hat längst Nachweise dafür, daß schon vor der durch die Franken eingesetzten Missionstätigkeit das arianische Christentum wenigstens vereinzelt bei den Alamannen Eingang gefunden hatte (vgl. W. Yeeck, Die Alamannen - Schwaben im Lichte der archäologischen Forschung in Monatsschrift Württemberg 1929, Nr. 9, S. 414ff.).
M ) W. Veeck, Der Alamannenfriedhof von Oberflacht, S. 9 ff.
J ) Cod. Hirsaug. folg. 2 a.
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ältere Notiz in der vita Aurelii des AbteS WilliranE). Das einstige Vorhandensein dieses Waldhauses ist daher nicht anzuzweifeln, ebensowenig das der Nazariuskirche, die erst Ende des 16. Jahrhunderts durch baulichen Zerfall ihr Ende fand 2 3 4 5 6 7 8 ).
Die Zweckbestimmung des Waldhauses ist nicht bekannt, kann heute auch nicht mehr mit Sicherheit ermittelt werden. P. WeizsäckerH dachte dabei an ein dem Grafen Eclafcid zugehöriges Jagdhaus. Ein Nachweis hierfür ist aber nicht zu erbringen, da die beiden obigen Quellen hierüber keinen Aufschluß geben. Dagegen war es mir möglich, bezüglich Standort, Zugehörigkeit und Bestimmung der Nazariuskirche genauere Erhebungen anzustellen. Bei Betrachtung dieser vorklösterlichen Anlage ist zunächst festzustellen, daß diese den Namen Hirsau noch nicht geführt hat. Der heutige vom Kloster übernommene Name des Dorfes wurde erst nach 830 dem Aureliskloster beigelegt. Dies geht deutlich daraus hervor, daß die ältesten Quellen unserer Geschichte, die beiden Lebensbeschreibungen des hl. AureliusH, für den Platz der Klostergründung noch keinen Namen nennen.
Bis herein in die neuesten Erzeugnisse der Geschichtsliteratur, soweit diese Hirsau betreffen 3 ), sindet sich mit und ohne Umschreibung der von Gustav Bossert geprägte Satz'): „Der andere Teil von Hirsau, der Pletfchenau hieß, hatte ein Nazariuskirchlein, dessen Heiliger klar genug von Lorscher Besitz zeugt." Zunächst sollte mit der völlig irrtümlichen nnd verwirrenden Bezeichnung bezüglich des Standorts der Kirche endlich einmal gebrochen werden. Wohl war auch in dem heutigen OrtSteil Pletfchenau eine Kirche, von der in einem späteren Abschnitt die Rede sein wird; diese war aber nicht dem hl. Nazarius, sondern dem Apostel Bartholomäus geweiht. P. Weizsäcker 3 ) und nach ihm Fr. Lutz 3 ) haben sich zwar hier an die Angaben des Gründungsberichts^") gehalten und haben das Nazariuskirchlein nicht in der Pletfchenau, sondern auf der Spitze des Hügels nahe der Aureliuskirche gesucht. Beide bleiben aber den Nachweis schuldig, daß noch irgendwelche Spuren auf eia kirchliches Gebäude an dieser Stelle Hinweisen. Da auch nirgends eine Widerlegung der irrtümlichen Bezeichnung: „Nazariuskirchlein in der Pletfchenau" zu ffnden ist, pffanzte sich der alte Irrtum bis heute fort.
2 ) In Acta Sanctorum Novembris IV, S. 137 ff.
3 ) Vgl. M. Crusius, Annales Suevici, pars II, liber II, cap. V.
4 ) Urgeschichte des Klosters Hirsau (W'ürtt. Vjsh. N. F. XXIII, 1914, S. 229 ff.).
5 ) In Acta Sanct. Nov. (ältere): 8. 134 ff. (jüngere) S. 137f.
6 ) G. Hoffmann, Kirchenheilige in Württemberg, S. 25 (1932), K. Weller, Württ.
Kirchengeschichte, I. Bd., S. 85 (1936) u. a.
7 ) Württ. Kirchengeschichte, S. 69 (1893).
8 ) a. a. 0. S. 236.
s ) Die erste Klostergründung in Hirsau, W’ürtt. Vjsh, 1933, I u. II, S. 55.
7 ") Cod. Hirsaug. fol. 2 a.
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