Seit 4872 durchschneidet die Bahnlinie Calw—Pforzheim, nahe des Hirfauer Bahnhofs, die Spitze jenes Hügels, auf dem sich das Kirchlein einst erhob. Archäologische Nachweise hierfür dürften daher kaum noch zu erbringen fein. Am Ort selbst ist jede Erinnerung an diese älteste christliche Kultstätte Hirsaus entschwunden. Auf der Suche nach aktenmäßigen Hinweisen auf ein dortiges kirchliches Gebäude fand ich nun in Kauf- und Lagerbüchern des späteren Hirsauer Klosteroberamts aus den fahren 4699—1802 wiederholt die Flurbezeichnung „beim Kapelle" für das Gelände des vorspringenden Hügels nahe der Auceliuskirche. So verkaufte am 5. Juni 4784 „Gnädigste Herrschaft an Johann Ntichael Lodholz, Küfer und Bierbrauer dahier, ein Viertel Platz zu einem Hausbau beim Kapelle unterhalb der Hengstetter Staigs)". Das am dortigen Platze erstellte Gebäude ist nach dem Steuerbuch von 4 785 12 ) das heutige Gasthaus zum „Waldhorn". Demnach lebte unter dem bürgerlichen Hirsau zu Ende des 48. Jahrhunderts noch die Erinnerung an ein kirchliches Gebäude an der im Gcündungsbericht^) genannten Stelle fort. Die bisherige Unklarheit bezüglich des Standorts der Nazariuskirche dürfte für den Ortskundigen damit behoben fein.
Durch einen besonders glücklichen Zufall wurde in jüngster Zeit ein bisher in Privatbesitz befindliches Ociginalgemälde (angeblich von 4450) mit einer Darstellung der Aureliuskirche bekannt^). Wir sehen auf diesem Gemälde ostwärts der Kirche den oben genannten Hügel und auf dessen Spitze ein kleineres kirchliches Gebäude sowie einige Nebengebäude. Ein weiterer Beweis für die richtige Lagebezeichnung der Nazariuskirche im Gründungsbecicht^) dürfte damit gegeben sein.
Der Titelheilige unserer Kirche soll nach G. Bossert 16 ) eil» deutlicher Zeuge für einstigen Lorfcher Besitz in Hirsau sein. Die Hirsauer Nazariuskirche ist jedoch im Lvrscher Schenkungsbuch nirgends aufzufinden, auch ist dort eine sonstige Vergabung von Grundbesitz aus unserer Gegend nicht notiert. Der Name des Titelheiligen allein kann aber nicht als Beweis dafür angesehen werden, daß diese Kirche im Besitz des Lorscher Klosters gestanden hätte. Aus den Lorscher Schenkungsurkunden kennen wir eine Reihe von Nazariuskirche« l7 ), von denen zwar ein Teil in den Besitz des
“) Closter Hirsau, Kaufprotoeollum von 1776—1791, fol. 230 (Rathausregistra- tur Hirsau).
12 ) Closter Hirsau, Steuerbuch, begonnen 1777, fol. 207 (Rathausregistratur Hirsau).
") Cod. Hirsaug. fol. 2 a.
14 ) Abbildung im Versteigerungskatalog von Hugo Ilelbing, Frankfurt a. M., Nr. 41, S. 27 u. Tafel Nr. 7.
15 ) Cod. Hirsaug. fol. 2a.
u ) S. Anmerkung Nr. 7.
17 ) In Handschuhsheim (C. L. nr. 327), Zazenhausen (C. L. nr. 2420), Menzingen (C. L. 2207), Eutingen (C. L. 3230), Eppenheim (C. L. nr. 772). Nur die zwei ersteren Kirchen gingen nach den Schenkungsurkunden in den Besitz des Klosters Lorsch über.
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Klosters überging, jedoch erst, nachdem diese Kirchen schon vorher dem hl. NazariuS geweiht worden waren. Bei den übrigen Nazariuskicchen ist eine Vergabung an das Kloster Lorsch überhaupt nicht nachzuweisen; sie werden in den Schenkungsurkunden nur erwähnt anläßlich der Vergabung angrenzender Güter. Diese Tatsache zeigt deutlich, daß der Titelheilige einer Kirche nicht ohne weiteres als Beweis für deren Zugehörigkeit zu einem bestimmten Kloster angesehen werden kann^).
Im Kloster Lorsch an der Bergstraße ruhten seit 765 die aus Rom überführten Gebeine des hl. NazariuS. Sie verhalfen dem dortigen Kloster zu weitausgedehntem Güterbesitz und damit auch zu großer« Ansehen. Es wurde daher Ende des 8. und Anfang des 9. Jahrhunderts in Schwaben und Franken manche Kirche dem Lorscher Heiligen geweiht; so mag auch der Grundherr unserer Gegend, dem Zuge der Zeit folgend, den hl. NazariuS als Schutzpatron seiner Kirche erwählt haben. Die übliche Annahme von Lorscher Besitz in Hirsau ist jedoch abzulehnen, solange es nicht gelingt, irgendwelche klare Nachweise hierfür zu erbringen.
Wer war der Stifter unserer Nazariuskirche? Nach einer durch Crusius^) auf uns gekommenen Legende soll eine verwitwete Gräfin Helizena schon 645 die erste Kirche in der Gegend des späteren Hirsauer Klosters gegründet haben. Diese Legende ist geschichtlich nicht verwertbar; sowohl die Zeitangabe für die Gründung wie auch eine Reihe der geschilderten Begleitumstände bei der Stiftung selbst müssen als unhaltbar abgelehnt werden. Dennoch enthält die Helizena-Geschichte einen wenn auch nur geringen Wahrheitskern, wie unten gezeigt werden soll. Bei der Frage nach dem Stifter unserer Kirche verdient dagegen eine Stelle in BertholdS Annalen 2 ") volle Beachtung. A. Mettler hat in jüngster Zeit bereits darauf Hingewiefen-H. Nach dieser Annalenstelle würden die Anfänge Hirsaus in die Zeit Pippins (744—768) zu fetzen sein. Da für die Gründung des AureliuSklosterS durchweg die Zeit Ludwigs des Frommen (genauer das Jahr 830) angegeben ist, war anscheinend schon Berthold 22 ) erstaunt über die von ihm irgendwo aufgefundenen andersartigen Gründungsdaten. Ec drückt sich daher sehr vorsichtig aus (zum Jahr 4075): „. . . In derselben Herbstzeit wurde das Kloster Hirsau — schon in alter Zeit, wie man sagt unter König Pippin von einem gewissen Erlefrid, einem sehr edlen und frommen Senator ... gestiftet . .. unter Verleihung eines ... Freibriefs Gott dem Herrn . . . übergeben." Hat
ls ) Vgl. I). Neundörfer, Studien zur ältesten Geschichte des Klosters Lorsch, S. 58.
19 ) Annales Suevici, pars II, lib. II, cap. V.
20 ) MG. SS. V, S. 281.
21 ) Forschungen zu einigen Quellen der Hirsauer Bewegung, Württ. Vierteljahrs!« f. Landesgescli. XL, 1934, 3 u. 4, S. 186 ff.
22 ) Oder der unbekannte Fortsetzer von dessen Chronik vgl. A. Mettler, a. a. O. S. 186f. u. Anmerkung Nr. 110 u. 111.
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