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- Am 24. Mar 1945 wurde ich vom Gouverneuren! Wili- taire Detachement Calw zum neuen Bürgermeister der Stadt ernannt. Ich habe dieses Amt nur auf Bitten von Freunden, die meine politische Einstellung seit Jahren kennen, angenommen, obwohl ich die heute fast unüber­windlichen Schwierigkeiten, die damit verbunden sind, gut kannte. Der Zusammenbruch Deutschlands hat sich auch in Nagold verheerend ausgewirkt, wenn auch der Krieg selbst noch glimpflich an uns vorüberging. Es gibt keine Familie Und kein Haus, das nicht Opfer an Gut und Blut für den größten Wahnsinn der Geschichte gebracht hat. Biele Männer sind tot oder in Gefangenschaft und Hungersnot und Epidemien stehen vor der Tür. Aber das Schlimmste ist: Die vielen Menschen, die jahrelang an die Irrlehren des Nazismus geglaubt haben, sind heute ohne Halt. Noch haben sie nicht begriffen, daß das System des Mordes anMillionenIudenund unschuldigen Menschen, derMassen- verschleppungen und der teuflischen Konzentrationslager ein System der Verbrechen am laufenden Band war. Es brachte uns Deutschen die Verachtung der ganzen Kultur­welt ein. Noch können oder wollen sie nicht verstehen, daß diese Verbrechen Sühne und Wiedergutmachung ver- langen, für welche das ganze deutsche Volk hastet.

Der längst verlorene Krieg der Nazis wurde trotz der größten militärischen Niederlagen in den letzten Jahren unentwegt weitergeführt, Städte, Dörfer, Fabriken und Eisenbahnen sanken in Schutt und Asche und zahllose Menschen verloren die Heimat, wurden zu Krüppeln und fanden den Tod. Nur um ihr eigenes Leben zu verlängern, setzten die Nazis den sinnlosen Krieg fort, vertrösteten das Volk mit Wunderwaffen und leeren Versprechungen und lebten herrliche und in Freuden auf Kosten des Volkes.

Auch in Nagold derHochburg" der Nazis, hetzte man einen Tag vor Ankunst der Franzosen die fast unbewaffneten Lolkssturmmänner gegen eine moderne Armee; wer sich «idersetzte, sollte aufgehängt werden. Die meist älteren und kranken Volkssturmmänner sind heute in Gefangen­schaft, während die Herren Bolkssturmführer wieder nach Nagold zurückkommen. Sie sind rechtzeitig getürmt, zum Teil mit der neuen Feuerspritze, und tun jetzt so, als wäre überhaupt nichts passiert. Soll man sich mehr über ihre Gemeinheit oder über ihre Dreistigkeit wundern? Wird nun einer dieser Burschen eingesperrt, dann erhebt sich ein Wehgeschrei, denn jeder war natürlich unschuldig. Dabei haben wir keine Nazi- oder Gestapo-Methoden, wir wollen keine Privotrache, sondern Justiz. In einem anständigen Staat kann sich jeder verteidigen, selbst einem Nazi gibt mau das Recht dazu. Sie selbst aber billigten es stillschweigend, daß unsere Kameraden ohne eine Mög- lichtest der Verteidigung jahrelang ins Konzentrationslager gesperrt, gefoltert und ermordet wurden.

Was nun? Arbeit und nochmals Arbeit, Ruhe und Ordnung. Nur mit größtem Erschrecken sieht man überall Erscheinungen des Zerfalls und der Verwilderung. Das Unterscheidungsoermögen zwischen Mein und Dein ist westen Kreisen oerlorengegangen. Die von der Hitlerjugend und nazistischen Lehrern irregeleitete Jugend ist auf einem moralischen Tiefstand angelangt und hat hättest- Erziehung nötig. Mädchen und Frauen haben ihre Würde völlig vergessen und geben sich überall preis.

Schieben und Hamstern ist zu einer Selbstverständlich- keit geworden. Einer bekämpft den andern, einer denun­ziert den andern. Die vielen Nazis in der Stadt erheben schon wieder kühn ihr Haupt und glauben, nun sei alles; vorüber und vergessen. ^

Nein:wennnichtdergrüßteTeilderBevölkerungsichernst- lich auf das Notwendige besinnt und das Notwendige tut, dann sehe ich keine Möglichkeit zur Rettung unserer Heimatstadt vor dem völligen Untergang. Es gilt vor allem folgendes:

1. Den Anweisungen der Besatzungsbehörden ist unbe- dingt Folge zu leisten. Zuwiderhandlungen gefährden die ganze Stadt.

2. Jede Hand helfe mit bei der Sicherung der Ernährung. Helft den Bäuerinnen, deren Männer in Kriegsge­fangenschaft sind und deren Gesinde nicht mehr da ist. Leistet den Anordnungen des Arbeitsamts Folge und wartet nicht mit dem Beginn der Arbeit, bis der Nachbar begonnen hat.

3. Lernt wieder unterscheiden was Recht und Unrecht ist. Bringt die gestohlenen Güter dem rechtmäßigen Eigentümer zurück oder liefert sie auf dem Rathaus ab.

4. Kommt zu der Erkenntnis, daß an aller unserer

' inneren und äußeren Not nur der Nazismus, sein«

Führer und Anhänger, die Schuld tragen. >

5. Geht mit Liebe und Skenge an die Erziehung der Kim der, denen die Schule noch verschlossen bleiben muß. Er. zieht sie zum Glauben, zur Wahrheit, zur Freiheit, zu; > Natur und vor allem zur Verachtung der Brutalität! >.

Laßt jetzt die Kritik, denn es ist nicht Zeit dazu. Unter l der Herrschaft der Nazis habt ihr auch darauf verzichtet, ^ obwohl damals etwas mehr Mannesmut, besonders b« ^ der sogenannten Intelligenz, am Platze gewesen wäre,

Die Freiheit, die uns jetzt nach 12 bitteren Jahren dei < Knechtschaft geschenkt wurde, gilt es erst sich wieder zu <. verdienen. Ja wir müssen überhaupt erst wieder begreifet - lernen, was es heißt, ein wirklich freier Mensch zu sein ^

Meiye Mtarbester, die ohne Ausnahme von de« ^ Nazis verfolgt wurden, und ich, wir tun alles, um z« x, retten, was zu retten ist. Der Trümmerhaufen, den um e die Nazis zurückgelassen, haben, ist noch unübersehbar ° Unsere Sorgen sind groß, alles Kleine und Nebensächlich! ^ muß auf später zurückgestellt werden. Wir schwören b«j ^ unserer Arbeit auf kein Patteiprogramm. Wir bilden ein> gemeinsame Front unerbittlicher Nazigegner, die ihr, L Heimat aus den Trümmern retten wollen. Wir reiche« jedem aufrechten, geraden Freund, der Mitarbeiten will k die Hand. Unsere Versprechungen sind klein: Wir versprv ^ chen, unermüdlich daran zu arbeiten, daß die Ernährun, gesichert werden kann, daß Ruhe und Ordnung einkehl! d und daß vor allem ein neuer Geist entsteht, der jede Unter v

drückung, jede Vergewaltigung, -jedes Verbrechen als men ^ schenunwürdig erkennt und brandmarkt. Gegen jeden Der ^ such der Sabotage und Rückkehr in das alt« Nazisystev werden wir mit Strenge und Hätte Vorgehen.

Ob unsere Rettung gelingt, hängt im wesentlichen vo.

Eurer Mitarbeit und Eurem guten Willen ab. Manch ernste Krise wird uns in den nächsten Monaten und Jahrs zur Aufbietung aller Kräfte zwingen. Es wird manchma Hunger, Frieren und anderes mehr geben. Aber der Wieder aufbau wird gelingen, wenn ihr die verbrecherischen Meth», den und Ideen des Nazismus mit Stumpf und Stiel au» rotten helft. Beginnt damit bei Euch selbst zuerst!

Es lebe die Freiheit I Dr. Wolf.

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