Karl J. Mayer ·„Zu neuer Blüte empor“drei Themen Kirche, soziale Frage und dieBeschleunigung des täglichen Lebens hat bestätigt,dass die Zeiten sich geändert haben, auch in Calw.Die Kirche stand unter dem mehrfachen Druckneuer konfessioneller Splittergruppen auf dereinen, der Sozialdemokratie auf der anderen Seite.Diese wiederum war augenscheinlich noch auf derSuche nach einer schlagkräftigen Organisation,wobei die sich wandelnde Berufswelt gerade derProletarier eine selbstbewusste Arbeiterschaft dringend erforderlich machte. Der Alltag, vor allem inder Berufswelt, wurde immer schneller und durchorganisierter. Auch in Calw begannen die Menschen darunter zu leiden,„nervös“ zu werden.Doch – darauf sei hingewiesen, ohne dass andieser Stelle darauf genauer eingegangen werdenkann – die Jahre zwischen der Kircheneinweihung 1888 und dem ersten Streik in der Deckenfabrik im Jahr 1907 waren auch Jahre desWachstums, des vermehrten Wohlstands. DieMenschen mussten mit den neuen Herausforderungen oft unter Schmerzen zu leben lernen.Aber in Calw – das scheint unbestreitbar – wardie Bereitschaft vorhanden, sich diesen Herausforderungen zu stellen. Schnell gingen dieWogen hoch, doch schnell fand man auchwieder zur Normalität zurück und raufte sichzusammen: Kirche, Fabrikanten, Stadtverwaltung und Arbeiter.Bei aller Hast: Zum Flanieren an der Nagold blieb dochnoch Zeit.Bestätigte sich also die Feststellung Stälins, dieStadt stehe vor neuer Blüte? Ja und nein. Ganzsicher erlebte Calw nie mehr eine Rückkehr zurwirtschaftlichen und politischen Bedeutung derStadt in herzoglicher Zeit. Aber es war auf demWeg zu einer gesellschaftlichen, wirtschaftlichenund politischen Stabilität, die sie mehr oderweniger sicher durch die gewaltigen Problemedes 20. Jahrhunderts brachte.Quellennachweis und Anmerkungen1Der vorliegende Beitrag ist die überarbeitete Fassung eines Vortrags, den der Verfasser am 16.Oktober 2013 im„Haus der Kirche“ in Calw imRahmen einer Veranstaltung der Nachmittagsakademie der Evangelischen ErwachsenenbildungNordschwarzwald gehalten hat. Der Vortrag warTeil einer Veranstaltungsreihe zur Erinnerung andie Einweihung des Neubaus der Calwer Stadtkirche im Jahr 1888.2Zur Einweihung der Kirche vgl. das Material inStadtarchiv Calw(künftig zitiert als StAC), AktenI, Nr. 67; zum Bau selbst u.a. auch die KirchenbauRechnung, 1886–1889, ebda., Nr. 66. Im„CalwerWochenblatt“ vom 12. Juli und vom 14. Juli 1883war ein ausführlicher Bericht über den schlechtenBauzustand der Kirche erschienen sowie ein Rückblick auf die Renovierungspläne seit dem Jahr 1859(!). Vgl. insgesamt zum Neubau auch Ehmer,Hermann: Kirchengeschichte III. 19. und 20.Jahrhundert(Calw – Geschichte einer Stadt, Band23), Calw 2009, S. 65ff. sowie Rheinwald, Ernst:Zur Geschichte der Stadtkirche in Calw, in: DieKirche zu St. Peter und Paul in Calw und ihrePfarrer, herausgegeben zur Feier des 50jährigenBestehens der heutigen Kirche, Calw 1938, S.13–63, hier S.58ff.3Ein Bericht über die Festlichkeiten in„CalwerWochenblatt“, 9.10.1888.132