Joachim Schneider · 500 Jahre Hirsauer Annalen des Johannes Trithemius und ihr Bild vom Fürsten Richter eingesetzt, habe Gelehrte und Rechts­kundige für diese Aufgabe ausgewählt; aus dem Adel habe er sittlich und im Lebenswandel einwandfreie Richter herangezogen, nicht Räu­ber, Diebe, Ehebrecher oder Schänder von Jung­frauen, nicht Ausbeuter und übel Beleumundete. Auch wenn Eberhard selbst der Wissenschaft unkundig war, das heißt kein Latein konnte, habe er gleichwohl große Freude an der Konver­sation mit Gelehrten gehabt. Keiner unter den Fürsten, die Trithemius kannte, habe an seinen Hof so viele hervorragende Gelehrte gerufen wie Eberhard im Bart. Immer habe er Theologen, Gelehrte im kirchlichen und weltlichen Recht, in der Geschichte und der Medizin erfahrene Männer an seiner Seite gehabt, für die er dann schließlich auch die hohe Schule in Tübingen gegründet und reichlich ausgestattet habe. Vergleichen wir nun dieses Portrait mit demjeni­gen, das in der 1501 abgeschlossenen Chronik von Johannes Naukler(Vergenhans) erscheint, des langjährigen Lehrers und Rates Eberhards, so fallen bemerkenswerte Unterschiede ins Auge: Die Würdigung Eberhards bei Naukler ist deutlich vielschichtiger, auchschwierige Eigenschaften Eberhards im Umgang werden dort beschrieben, eine angeblichewilde Jugend Eberhards wird nicht verschwiegen. 19 Die Nauklersche Chronik lag Trithemius durch die Vermittlung seines Hirsauer Schülers Basellius vor, als er an seinen beiden Klosterchroniken arbeitete. 20 Vielleicht dadurch beeinflusst hat Trithemius jene drei Taten Eberhards, die Naukler hervorgehoben hatte: die Gründung der Universität Tübingen (Ann. II, 497), die Gründung des Schönbuch­Klosters(537f.) sowie die Vereinbarung über die Wiedervereinigung der beiden württembergischen Länder(512), in den Hirsauer Annalen jeweils an ihrem chronologischen Ort eingeschoben. Doch das Fürstenportrait bei Trithemius ist doch im Ganzen deutlich stärker topisch, formelhaft und didaktisch-moralisch geprägt. Trithemius kam es vor allem darauf an, die Heranziehung untadeliger Richter sowie hervorragender gelehrter Räte als Berater zu betonen sowie die Kirchenfrömmigkeit des Herrschers herauszustellen. Zusammenfassung Die gegenüber der Sponheimer Chronik neuen Nuancen der Hirsauer Annalen in der Fürstendar­stellung liefen zum einen auf die noch verstärkte Akzentuierung von Bildung und Wissenschaft, zum anderen aber und vor allem auf eine ethisch­religiöse Vergeistlichung fürstlicher Herrschaft hinaus, und zwar bei geistlichen wie auch bei weltlichen Fürsten seiner Zeit. Thesenhaft könnte man formulieren, dass in diesen Fürstenportraits einmal mehr die doppelte Zielsetzung des Huma­nismus: eine neue ethisch-religiöse wie auch eine wissenschaftlich-kulturelle Fundierung aller Lebensbereiche aufscheint. Diese Ziele sollen Richtschnur politischen Handelns werden, und damit werden die Ideale und Orientierungen herkömmlicher Fürstenspiegel entscheidend weiter entwickelt. Ähnliche Bestrebungen der Fundie­rung eines neuen Fürsten-Ideals wie in den Hir­sauer Annalen werden auch in annähernd gleich­zeitigen Texten des Trithemius-Freundes Jakob Wimpfeling fassbar, so in dessen Fürstenspiegel ‚Agatharchia für Philipp den Aufrichtigen von der Pfalz von 1498 oder, zeitlich den Hirsauer Annalen noch näher stehend, in dessen Mainzer Bischofs­katalog von 1515. Bei Trithemius allerdings drin­gen solche Ideale anhand bekannter Fürsten breit gestreut in die zeitgenössische Geschichtsschrei­bung ein. Sie sind dabei keineHirngespinste des Autors, sondern werden wie selbstverständlich aus bekannten Zügen jener Fürsten heraus entwickelt, wobei diese dann freilich auch regelmäßig über­höht werden kein ungewöhnlicher Zug von Geschichtsschreibung seit alter Zeit, da jene immer dazu diente, den Ruhm bedeutender Politiker zu begründen und dabei die Geschichte zur Lehrmeis­terin nachfolgender Generationen zu machen. Dazu kommt hier eine neue, spezifische Auffas­sung vondeutscher Geschichte des Reiches, die sich im Handeln eines vielstimmigen Konzerts der bedeutenden fürstlichen Akteure der Zeit um 1500 widerspiegelt. Im Einzelnen noch weiter zu untersuchen bleibt, ob bei Trithemius auch im Kontext seiner Fürsten­portraits gegenüber etwa den Texten Wimpfelings 115