Arabella Unger · Ein Pilger in der Ewigkeit, ruhend in Schwarzwalderde seinem Professor Carl Blecher für eine ihm überlassene Mappe, deren Inhalt er wegen seines Gesundheitszustandes nicht abschreiben konnte. Er berichtete von seinem Plan, am 18. Juli Leipzig zum Zwecke der Heilbehandlung in Schömberg zu verlassen. Bezüglich seines gesund­heitlichen Zustandes meinte er, dem Professor Gutes berichten zu können. Er sei jetzt so weit, sich in den Schwarzwald begeben zu können, um dortvöllige Genesung zu finden. Es muss offen bleiben, ob dieser zur Schau getragene Optimis­mus seiner inneren Einsicht in den eigenen Zustand entsprach. So begab sich Nitu in Begleitung eines indischen Arztes nach Schömberg, das damals gerade dabei war, als heilklimatischer Kurort bekannt zu werden. Er soll dort in der Neuen Heilanstalt Schömberg(heute Psychiatrische Fachklinik Schömberg) behandelt und in der Villa Elven untergebracht worden sein. Inzwischen wurde man sich innerhalb der Fami­lie des Ernstes von Nitus Zustand bewusst. In einem Brief an Mukul Dey vom 2. Juli 1932 erinnerte Tagore an die Begleichung seines Vergütungsanspruchs aus dem Verkauf eines seiner Bilder, weil er seine Tochter Mira nach Deutschland schicken müsse, von wo er Infor­mationen habe, dass deren Sohn an Schwind­sucht leide. Charles F. Andrews, der damals gerade in Großbritannien weilte, reiste nach Schömberg, um den herbeigeeilten Eltern Nitus beizustehen. Die Hoffnung auf Heilung sollte sich nicht mehr erfüllen: Nitu starb bereits am 7. August 1932 an einer Lungenentzündung. Die Todesnach­richt erreichte den Großvater(telegraphisch) am darauf folgenden Tag. Zu dieser Zeit las dieser gerade in Andrews persönlichem Lebenszeugnis What I owe to Christ (Was ich Christus ver­danke). Letzterer antwortete noch am selben Tag, dass ihm[Tagore] nunmehr der schwerste Teil zugefallen sei, nämlich zurückzubleiben, zu warten und zu wissen, dass das Leiden weiter­geht, und doch selbst nicht helfen zu können. Noch am 8. August schrieb der Dichter: Am Unglückstag sage ich dem Stift: Bereite keine Scham. Halte nicht vor aller Augen Den Schlag, der nicht aller ist. Verstecke nicht das Gesicht in der Dunkelheit, Verschließe nicht die Tür mit einem Riegel. Entzünde ein helles Licht mit allen Farben. Sei nicht geizig. Schon am 6. August hatte Tagore in Vorahnung des Todes ein Gedicht verfasst, das er an die Durbhagini (die vom Schicksal Geschlagene) adressiert hatte. Er imaginiert darin, wie seine Tochter vor ihm steht und er ihr nicht ins Gesicht zu sehen vermag. Ihre Augen sind voller Tränen und es verbleibt nur die ständige Frage in ihnen beiden: Warum, oh warum? Die Beerdigung fand am 8. August 1932 in Schömberg statt. Sie wurde von Andrews gelei­tet. Trotz des Schmerzes, der ihn angesichts des Gegensatzes der Schönheit der Schwarzwald­landschaft und des dortigen Grabplatzes einer­seits und der Tragödie andererseits bedrückte, war es ihm dank der Kraft seines Glaubens möglich, zahllose Trostbriefe zu versenden, unter anderem auch an den damaligen britischen Premierminister Ramsay MacDonald, einen alten Freund Shantiniketans. Auf dessen Kon­dolenzbrief antwortete Tagore am 24. September 1932:Er[Nitu] war jung, liebenswert und vielversprechend. Meine Trauer gilt ihm als auch seiner Mutter, die schwer getroffen ist. Nachdem ich jedoch eine lange Wegstrecke im Leben zurückgelegt habe, habe ich die Lektion des Todes gelernt und bin darin geübt, mich mit dem Unvermeidlichen abzufinden. Schon vor­her, am 28. August 1932, hatte Tagore an seine sich auf der Rückreise befindliche Tochter Mira geschrieben, dass trotz aller Brüche die Welt weiter gehe. Es komme darauf an, den Lauf der Welt zu akzeptieren. Entscheidend sei nur, dass man geliebt habe.Ich habe Nitu sehr geliebt, möchte aber die Trauer um ihn nicht vor der ganzen Welt trivialisieren. Ich muss selbst damit 19