Leonid Kanter · Das erste Jahr der französischen Besatzung im Landkreis Calwgeiz bei der Schaffung der Suppenküchen, nochmals erwähnt werden. Beide Projekte wärenohne die beiden Politiker nicht zustande gekommen.Nicht nur, dass der Landrat es wagte, demGouverneur in einigen Punkten zu widersprechen, er machte seinerseits sogar Vorschläge. DieMeinungsverschiedenheit zeigt aber auch deutlich, wie sehr die Kreisbevölkerung Wagner amHerzen lag. Dass er sich am Ende sogar in dieserAngelegenheit durchsetzen konnte, zeigt seinewahre Größe als Vertreter der Kreisbevölkerung.Auch wenn Frénot immer wieder der Bevölkerung mit kollektiven Strafen drohte, muss manzur Kenntnis nehmen, dass es bei den Drohungen blieb. Wagner versuchte, Ruhe undOrdnung im Landkreis aufrechtzuerhalten. Ihmbereiteten mögliche – aufgrund von schlechterErnährungslage verursachte – Unruhen großeSorgen. Deshalb versuchte Wagner die Bevölkerung immer wieder zum Durchhalten zu animieren und keine unnütze Kritik zu üben. Denn„Worte allein helfen und bessern nichts“57. AlsWagner in den 1960er Jahren rückblickendeinen Bericht über seine Tätigkeit als Landratverfasste, beschrieb er die damaligen Herausforderungen treffend:„Von der Härte dieser Zeitkann man sich heute kaum noch eine Vorstellung machen.“58Anmerkungen und Quellennachweis* Dieser Beitrag wurde zuerst als Seminararbeit ander Universität Stuttgart im Sommersemester 2012eingereicht. Der Autor möchte an dieser Stelleinsbesondere Herrn Dr. Karl Mayer, dem Leiter desStadtarchivs Calw, für die wertvollen Hinweisewährend der Erstellung der Hausarbeit danken.Der Text wurde von Michael Barth lektoriert unddaraufhin von Martin Frieß und Dr. Karl Mayerumfangreich überarbeitet und korrigiert.1Hier ist besonders auf die im Jahr 1988 erschieneneDissertation von Rainer Hudemann hinzuweisen. Mitdieser Arbeit rückte Rainer Hudemann die Neuordnungsansätze der französischen Besatzungsmacht inden Vordergrund. Rainer Hudemann: Sozialpolitik imdeutschen Südwesten zwischen Tradition und Neuordnung 1945–1953. Sozialversicherung und Kriegsopferversorgung im Rahmen französischer Besatzungspolitik, Mainz 1988.2Stadtarchiv Calw(StAC), NL Wagner, Nr. 1und 2.3Michaela Weber, Calw – Geschichte einer Stadt.Politisches Leben nach 1945, Calw 2006, S. 16,siehe dort Fußnote 39.4Die Zurückhaltung der französischen Armee ist mitihrer defensiven Ausrichtung zu erklären. Für einenAngriffskrieg waren die Ressourcen nicht vorhanden.5Volker Koop, Besetzt. Französische Besatzungspolitik in Deutschland, Berlin-Brandenburg 2005,S. 13.6Zum Archiv in Colmar siehe: Edgar Wolfrum, Dasfranzösische Besatzungsarchiv in Colmar. Quelleneuer Einsichten in die deutsche Nachkriegsgeschichte 1945–1955, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 40(1989) S. 84–90.7Der Begriff der Ausbeutungspolitik ist an denBegriff der Ausbeutungskolonie eng angelehnt.Siehe: Theodor Eschenburg, Jahre der Besatzung1945–1949. Stuttgart 1983.8 Diese durch und durch pathetischen Worte verwendete de Gaulle vor der Konsultativen Versammlung;Ralph Erbar(Hrsg.), Quellen zu den deutschfranzösischen Beziehungen 1919–1963. Freiherrvom-Stein-Gedächtnisausgabe, Darmstadt 2003,S. 127.9De Gaulle, ebenda.10So de Gaulle in der Neujahransprache 1945, ebendaS. 122.11Stadtarchiv Calw(StAC), 704/05. Die„Liste derim Krieg gefallenen, durch Kriegseinwirkung oderin Gefangenschaft Verstorbenen oder Vermisstenaus der Stadt Calw“ enthält drei Personen mit demTodesdatum des 16.04.1945 bzw. 17. April 1945.Zwei Frauen fielen einen Tag und ein Mann zweiTage nach der Übergabe der Stadt in Calw„durchKriegseinwirkung“. Dieser zynische Euphemismusverdeckt die Tatsache, dass Mutter(43) und Tochter(21) vergewaltigt und ermordet wurden. DenRentner Christian Zipperer(65) ereilte vermutlichdas gleiche Schicksal beim Versuch eine Vergewaltigung zu verhindern.12Die Nazipropaganda nutzte jede Gelegenheit, den75