Leonid Kanter · Das erste Jahr der französischen Besatzung im Landkreis Calw Bons ausgeteilt werden. Jeder sollte einen Liter einer nahrhaften Suppe zum Preis von 30 Pfennig erhalten. Um diese Menge an Suppe herstellen zu können, musste man zusätzlich jeden Monat 2,25 Tonnen Suppeneinlagen, 10,5 Tonnen Kartoffeln, 300 kg Fett, 1,5 Tonnen Suppengrün und 4,5 Tonnen Mehl beschaffen. Die Einrich­tung der Suppenküchen glich einem Kraftakt, wenn man die Menge an Portionen und der aufzutreibenden Lebensmittel im Verhältnis zu der Ernährungssituation und sich daraus erge­bender Möglichkeiten setzt. Doch die Mühe lohnte sich, was man am Erfolg dieser Einrich­tungen sah. Bereits am 20. Juli 1946 ließen die Bürgermeister der betroffenen Städte um eine Mengenerhöhung von durchschnittlich 100 Por­tionen bitten. 49 Ende Juli 1946 erschien imSchwäbischen Tagblatt ein Bericht mit dem TitelLandräte tafeln und tagen. Es wurde der Vorwurf in den Raum gestellt, die Landräte ließen es sich gut gehen, während die Bevölkerung nichts oder wenig zu essen habe. Die Wirkung des Berichts war so verheerend, dass Wagner unverzüglich Frénot über den Artikel benachrichtigte. In der Bevölkerung, die immer wieder Wagners Durch­halteparolen zu hören und zu lesen bekam, machte der Bericht schnell die Runde und beschädigte Wagners Ansehen. So überrascht seine Reaktion, als er strengere Kontrollen von der Zensurbehörde in Bezug auf das Thema Ernährung erwartete. Wagner war nicht dafür bekannt, dass er Ursache und Wirkung verwech­selte. Der Bericht des Kreisernährungsamtes, der am 22. Juli 1946 erschien, zeichnete ein wechsel­haftes Bild der Ernährungssituation. Zwar wür­den die Landwirte stets gewissenhaft ihrer Abga­bepflicht nachkommen. Doch sei diese vorbild­liche Einstellung in Gefahr, da viele Landwirte von einer Verbesserung der Ernährungslage ausgingen. Diese Vermutung wies das Kreis­ernährungsamt scharf zurück, da selbstverständ­lich ein Mensch von 950 kcal am Tag nicht leben könne. Die Ablieferungspflicht der Land­wirte bleibe bestehen. Die Ablieferungspflicht kann am Beispiel der Eierablieferung präzisiert werden. Der Legeleis­tungsfaktor der damaligen Hennen dürfte zwi­schen 0,4 und 0,5, also zwischen 150 und 180 Eiern pro Henne und Jahr gelegen haben. Somit musste etwa jedes dritte Ei abgegeben werden. Dem Einsatz des Gouverneurs Frénot ist es zu verdanken, dass die Ablieferungsmenge von 60 auf 48 Eiern pro Henne und Jahr reduziert wurde. Allerdings waren die Behörden in Tübin­gen nicht bereit, den Rückgang des Hühnerbe­standes von 60 000 auf 50 000 zu akzeptieren, da dieser in so kurzer Zeit als zu hoch eingestuft wurde. 50 Der Bericht schließt mit einer guten Meldung. Der Anschluss an die neue Ernte wurde erreicht. Fünf Tage später fand in Biberach die nächste Landrätetagung statt, auf der der genannte Artikel am Anfang der Sitzung zur Sprache kam. Staatsrat Dr. Carlo Schmid bedauerte, dass die Zeitungskampagne() auf die politische Ebene verschoben und als Mittel zum poli­tischen Kampf benützt worden ist. Er zog die Konsequenzen aus diesem Vorfall und kündigte an, die Mahlzeiten in Zukunft einfacher gestal­ten zu wollen. Gleichzeitig zeigte er politisches Fingerspitzengefühl, indem er um Verständnis für die Bevölkerung warb, die seit etwa einein­halb Jahren unter der schlechten Ernährungslage leide. Zugleich war Dr. Schmid optimistisch, dass sich die Situation in absehbarer Zeit deut­lich verbessern würde. Jugend und Kultur Auch die Förderung der Jugend und der Kultur waren Wagner und Frénot ein wichtiges Anlie­gen. Mitte September 1945 entstanden Tanz­nachmittage für die Calwer Jugend, deren Durchführung an keinerlei Bedingungen, als Mittel des politischen Drucks, geknüpft war. Frénot brachte der Jugend so viel Vertrauen entgegen, dass er darauf verzichtete, französische Truppen zur Vermeidung von Schlägereien 71