Leonid Kanter · Das erste Jahr der französischen Besatzung im Landkreis CalwMilitärregierung in Frage stellte. Kaum eineandere Besatzungsmacht investierte so viel in dieAußendarstellung und das Ansehen, wie diefranzösische. Folglich war man bemüht, dasSchwarzschlachten mit allen Mitteln zuunterbinden.45Die erste ernsthafte Beschäftigungmit dem unerlaubten Schlachten gab es in denletzten beiden Wochen des Jahres 1945. Frénotbefahl alle Schwarzschlächter zu verhaften undihre Namen durch Anschläge zu veröffentlichen.Hier hoffte man vor allem auf die abschreckendeWirkung des öffentlichen Tadels. Eine Wochespäter folgte die Veröffentlichung sämtlicherSchwarzschlächter im Nachrichtenblatt. Nachdieser demütigenden Prozedur ordnete Frénot an,die Schwarzschlächter dem deutschen Gericht„zwecks Strafverfolgung“ zu melden. Nach diesenumfassenden Maßnahmen schweigen die Quellenzum Problem des Schwarzschlachtens. Es istjedoch anzunehmen, dass weiterhin diesbezüglichVersuche auf Grund der prekären Ernährungslageunternommen wurden.1946 verschlechterte sich allmählich die Versorgungslage. Vor allem die bescheidene Getreideernte bereitete dem Landrat große Sorgen, während die amerikanischen Getreide- bzw. Mehllieferungen noch nicht ausgehandelt waren. DerBericht der Landrätetagung am 2. Februar 1946legt die prekäre Situation offen. Die Brotversorgung reiche bis April aus, es sei denn, die Brotrationen würden gesenkt. Im Monat Februar wurdekeine Butter ausgegeben, weil von den eingelagerten 800 Tonnen 600 Tonnen an die französischeArmee abgegeben werden mussten. Die Verteilung von Butterersatz, wie zum Beispiel Margarine oder Öl, wurde in Aussicht gestellt, warallerdings zum Zeitpunkt der Tagung noch nichtgenehmigt. In der Fleischversorgung verhalte essich ähnlich wie in der Brotversorgung, dieMenge reiche also nur bis April. Ein Rückgriffauf die vorhandenen Fleischreserven würde denNutzviehbestand weiter minimieren.Je geringer die Lebensmittelrationen ausfielen,desto schlechter wurde die Stimmung in derBevölkerung. Es wurde nun verstärkt denunziert,was zu dem Gerücht führte, dass französischeOffiziere Diebe seien. Es ging so weit, dassWagner zum Verhör bei Major Pinson in Tübingen antreten und mehrfach beteuern musste,dass er„mit der ganzen Sache nichts zu tunhabe“. Diese – eines Landrates unwürdige –Prozedur ließ Wagner erstaunlich ruhig über sichergehen. Vereinzelt tauchten nun anonymePlakate46auf, die die Calwer Jugend zum Verzicht der Teilnahme bei den Tanzveranstaltungen aufriefen.47Trotz eines verstärkten Aufgebotes der Militärregierung gelang es nicht, denUrheber der Plakate ausfindig zu machen.Doch es blieb nicht bei relativ harmlosen Plakaten. Am 4. Februar 1946 wurden im CalwerZentrum spät abends 17 Schriftzüge mit schwarzer Farbe angebracht. Dabei wurden die ehemaligen Mitglieder des Kreisvertrauensrates Dr.Weber, Dr. Gaupp, Rebmann, Dagne und Riepals„Bonzen, Denunzianten und Nazikinder“beschimpft und für dieselben der Strang gefordert. Nun war Frénots Geduld am Ende. Wagner verfasste mehrere Aufrufe an die CalwerBevölkerung mit der Bitte, die Schuldigen denzuständigen Behörden zu melden, ansonsten seimit schwersten Belastungen für die Bevölkerungzu rechnen. Dass die Strafen trotz der bescheidenen Erfolge bei der Tätersuche ausblieben, istder Einsicht des Gouverneurs zu verdanken, derin dieser schwierigen Situation kein Öl ins Feuergießen wollte. Bei einer Rede vor der CalwerJugend rügte Wagner die„kleinen Elemente“,welche versuchten„Unruhe in die Bevölkerungzu bringen“. Nichtsdestotrotz lobte er denGroßteil der Bevölkerung, welcher fleißig seinerArbeit nachgehe und gesetzeskonform sei. Wagner betonte, dass die Beziehung zwischen derBevölkerung der Stadt Calw und der Besatzungsmacht trotz der wenigen unerfreulichen Vorfälleausgezeichnet sei.Die Stimmung besserte sich langsam, als Wagnerzusammen mit Frénot die Einführung der Suppenküchen gelang.48Insgesamt wurden 5000zusätzliche Rationen für den Kreis geschaffen. Essollte eine Liste von Bedürftigen aufgestellt und70