Leonid Kanter · Das erste Jahr der französischen Besatzung im Landkreis Calwdes Kreises Calw eine zusätzliche Zuteilung von50 kg Kartoffeln erhalten. Diese war als„eiserneRation“ für die Wintermonate angedacht. Dagegen war aus allen Ortschaften zu vernehmen,dass die Getreideernte nur mittelmäßig ausgefallen sei. Was das Fett angeht, fiel die Menge von11 g pro Tag sehr dürftig aus. Selbst bei diesengeringen Kalorienwerten pro Tag und Erwachsenem deckte die Fettration lediglich 10% desgesamten Kalorienanteils. Umso erstaunlicherist die Aktennotiz, dass Frénot befahl, daskomplette, zum 25. September 1945 eingelagerte Tierfett zur Herstellung von Seife zuverwenden.8 gezeichnet, wobei die beiden wirtschaftlichpotentesten Orte, Stuttgart und Pforzheim,unter amerikanischer Aufsicht standen. Es istüberhaupt fraglich, ob die französische Zoneohne die zusätzlichen Lieferungen aus anderenBesatzungszonen überlebensfähig gewesenwäre.40Zum anderen wird hier das BestrebenFrénots und Wagners deutlich, dieses Defizitdurch Handelsabkommen auszugleichen. Fürdie beiden wichtigsten Protagonisten des KreisesCalw stellte die Behebung der Sachzwänge denGroßteil ihrer Arbeit dar, welche nicht selten zuEnttäuschungen führte und somit neue Herausforderungen nach sich zog.Diese Notiz passt überhaupt nicht in das Bildeines Gouverneurs, der nicht nur versuchte, mitallen Mitteln die Ernährungssituation sicherzustellen, sondern auch diese stets zu verbessern.Ebenfalls erstaunlich ist, dass von Seiten desLandrates kein Widerstand zu vernehmen war,obwohl für ihn nichts wichtiger war als dieErnährung. Eine Erklärung der ungewöhnlichenMaßnahme wäre eine mögliche Sorge um dieallgemeine Hygiene im Kreis.34Denn Hygieneartikel waren Mangelware.35Aus einer Aktennotiz Wagners wissen wir voneinem – nicht näher erläuterten – landwirtschaftlichen Abkommen36mit den Amerikanern.37Dieses sei auf den 1. Oktober 1945 beschränktgewesen und war somit im Begriff, auszulaufen.Der Kreis Calw war bereits vor der Besatzungauf Obst und Gemüse aus„nördlich angrenzenden Gebieten“ wie Pforzheim angewiesenund musste nun mit der jeweiligen Besatzungsmacht verhandeln. Aufgrund einer guten Kartoffelernte bezahlte Calw mit Kartoffeln undbezog bis zum 1. Oktober 1945 Obst, Gemüseund Bierhefe. Angestrebt war außerdem derImport von Zucker, Schweinen und Mehl.38Letzteres aufgrund einer nur durchschnittlichenGetreideernte.Zum einen wurde die französisch besetzte Zoneohne Rücksicht auf wirtschaftliche und„ernährungspolitische“ Ambitionen geschaffen.39DieGrenzen wurden nur vage entlang der AutobahnEine weitere Hilfe wurde aus der amerikanischenBesatzungszone geleistet. Ausschließlich für dieFlüchtlinge der französisch besetzten Zone wurden jeden Monat 2,2 Tonnen Fleisch, 62 Tonnen Mehl und 5 Tonnen Fett geliefert. Diesemonatliche Lieferung war eine spürbare Entlastung für den Calwer Landkreis, die erst inlangwierigen Verhandlungen zwischen Franzosen und Amerikanern realisiert wurde.41Trotz der Bemühung, die vorhandene Erntedurch Importe zu stützen, war die Ernährungslage weiterhin prekär. Die Entnahmen aus derlaufenden Lebensmittelproduktion verschärftendie Versorgungssituation der Bevölkerung. LautRothenberger handelte es sich um eiweiß- undfetthaltige Lebensmittel42, die an sich schonkaum vorhanden waren. Auf der Tagung derLandräte vom 1. Dezember 1945 berichtete derLandesdirektor für Wirtschaft und ErnährungDr. Kilpper über die Fleischversorgung,„dassdie Hälfte des Anfalles für die französischeArmee zur Verfügung gestellt werden muss, 1/3für die Selbstversorger und 1/6 für denNormalverbraucher“43.Ein Beispiel fehlender Kooperation war dasunerlaubte Schlachten von Nutztieren für deneigenen Verzehr oder Weiterverkauf. Diesesrechtswidrige Verhalten war deswegen so gefährlich, weil es das ganze landwirtschaftliche Abgabesystem und gleichzeitig die Autorität44der69