Rainer Loose ·„In engen Thälern zwischen hohen und steilen Gebürgen …“produzierte. Dass die Engländer preiswerterproduzierten, hatte mit dem dortigen technischen Fortschritt zu tun. Im VereinigtenKönigreich gab es um 1820 schon etliche mechanische Spinnereien, die das Leinengarn in verschiedenen Qualitäten und zeitsparender herstellten. Und es wurden immer mehr! So auchin den Zollvereinsstaaten Preußen und Sachsen,den nächsten Konkurrenten der württembergischen Leinenweberei.Diesen Ländern hinkte Württemberg weit hinterher. Die„Kommission für Verbesserung derLeinwandgewerbe“(sie existierte von 1826 bis1841) glaubte in der nachlässigen und unzureichenden Bleicherei und Appretur der Leinentücher eine wesentliche Ursache für die Krise zukennen. Sie schickte ihr Mitglied FriedrichBreunlin(* 1797 in Neuenbürg, † 1880 inWeissenau) zu Bleichern im In- und Ausland,wo er neue Verfahren kennenlernen sollte. Dasneu erlangte Wissen stellte er dann allen Bleichanstalten zur Verfügung. Im WürttembergischenSchwarzwald machte davon 1835 der Inhaberder Bleicherei Lutz aus Calmbach(OberamtNeuenbürg) Gebrauch.14Die neue Einrichtungder Calmbacher Bleiche arbeitete daraufhin soeffizient und zuverlässig, dass Lutz sich nichtscheute, für eventuelle Beschädigungen der ihmanvertrauten Leinentücher zu haften; ein damalsungewöhnlicher Vorgang.Auch im Nordschwarzwald trug man sich mitdem Gedanken, eine mechanische Flachsspinnerei zu errichten. Die Kaufleute August Sprengeraus Calw und Christoph Eberhard Benckiser ausPforzheim wollten 1837 unter Vermittlung desCalwer Unternehmers und Landtagsabgeordneten Johann Georg Doertenbach ein dem Staatin Herrenalb gehörendes Gebäude erwerben unddarin eine mechanische Flachsspinnerei einrichten. Aber weil über den Kaufpreis und die erforderliche Wasserkraft keine Einigung erzieltwerden konnte,15wurde die mechanische Muster-Flachsspinnerei in Urach angesiedelt und1838 mit einem zinsgünstigen Darlehen von150 000 Gulden aus der Staatskasse unterstützt.16Tau- oder Wasserröste – Was ergibtbessere Leinwand?Die mechanische Muster-Flachsspinnerei inUrach sollte nach den Vorstellungen der Regierung die Flachserzeugung und –verarbeitung aufeine höhere Stufe heben und somit Auswirkungen auf den Flachsanbau und die Flachsbereitung insgesamt haben. Die Oberämter Neuenbürg, Nagold und Calw gehörten zu denRegionen des Landes, in denen vorzüglicherFlachs gedieh, wie Johann Daniel Georg Memminger in seiner Beschreibung Württembergsvon 1820 festhält.17Die Züricher Firma Escher,Wyss und Compagnie, welche die UracherFlachsspinnerei errichtet hatte, hoffte, für denBetrieb ihrer Spinnmaschinen stets ausreichendheimischen Flachs auftreiben zu können.Agenten der Uracher Flachsspinnerei reisten imLand umher und besuchten u. a. auch denLiebenzeller Flachsmarkt. Dabei stellte sichjedoch heraus, dass nicht nur zu wenig einheimischer Flachs verfügbar war, sondern auch fastausschließlich schlechtes Gespinst und Garnerzeugt wurden. Die Schweizer Unternehmerkritisierten dies scharf gegenüber der Regierungund sahen sich deshalb gezwungen, Garn undFlachsgespinste in Belgien zu kaufen. Dort warder Flachs zudem um ein Viertel billiger als daswürttembergische Erzeugnis. Sie gaben zu verstehen, dass sie auf Abhilfe hofften, allein umihre vertraglichen Verpflichtungen einhalten zukönnen.Nach langwierigen Recherchen glaubten dieCentralstelle, das Landwirtschaftliche InstitutHohenheim und die Gesellschaft für Beförderung der Gewerbe zu wissen, warum die Gewinnung feiner Fasern, wie sie in Württemberggehandhabt wurde, anders als die Verfahren inden Niederlanden und Belgien, nicht für diemoderne Maschinenspinnerei taugte. Eigentlichkeine neue Erkenntnis! Denn die schlechteQualität des württembergischen Leinengespinstes hatte schon der erste Hohenheimer DirektorJohann Nepomuk von Schwerz(1818-28)erkannt und daher wiederholt Ackerbauschüler32