Ulrich Boeyng Zwischen Stauwehr und Steckdose Die Geschichte der Stromversorgung im Landkreis Calw Man kennt diesen Scherz aus atomstrom-bewegten Zeiten: Auf die provokante Frage:Woher kommt der Strom? folgt achselzuckend die Antwort: Strom? Natürlich aus der Steckdose! Inzwischen und spätestens seit der Fukushima-Katastrophe vom März 2011 und seit dem Berliner Beschluss zum Ausstieg aus der Atomkraft im Mai 2011 ist dieses Desinteresse einer öffentlichen Diskus­sion über die Versorgungssicherheit sowie über den Ausbau und die Verteilung des regenerativ erzeugten Stroms gewichen. Dabei geht es wie so oft um Projektkosten in Milliardenhöhe. Auf dieser abstrakten Diskussionsebene ist inzwi­schen allen klar, dass hinter jeder Zim­mersteckdose letztlich ein mit Kohle, Gas, Atomenergie, Wind- oder Wasserkraft angetrie­benes Kraftwerk oder auch die Solaranlage auf dem eigenen Dach steht. Welche Technik ver­birgt sich nun aber tatsächlich hinter der eigenen Steckdose? Woher kommtmein Strom? Und wann hat es inmeinem Ort begonnen? Der folgende Beitrag versucht, darauf eine Antwort zu geben. Das unerwartete Fazit bereits vorweg: Parallel zur öffentlichen Diskussion vollzieht sich weitge­hend unbemerkt im Landkreis Calw und ver­mutlich auch in vielen anderen Kreisen ein stiller Umbau bei der Erzeugung und Versorgung mit elektrischer Energie aus Wasserkraft. Im Landkreis Calw werden die Wasserkräfte der Nagold, der Enz sowie etliche ihrer Neben­flüsschen und Bäche für die Erzeugung von Strom genutzt. Mit demstillen Umbau ist gemeint, dass in vielen dieser Elektrizitätswerke (E-Werke) die Turbinen und oft auch die daran angeschlossenen Generatoren am Ende ihrer betriebswirtschaftlichen Laufzeit sind. Die man­gelnde Rentierlichkeit ist vor allem durch den hohen Wartungsaufwand bedingt, der alle paar Jahre umfangreiche Reparaturen an den direkt vom Wasser beaufschlagten Schaufelrädern der alten Turbinen erfordert. Ein Austausch der alten gegen neue, in der Regel wesentlich leistungsfähigere Turbinen ist also nach gut 100 Jahren Betriebsdauer in vielen Fällen betriebs­wirtschaftlich gesehen sinnvoll. Oft ist mit dem Austausch der Technik inner­halb der Wasserkraftwerke auch der Umbau der Wehre und Wasserzuläufe zu den Kraftwerken verbunden. Und schließlich wirkt sich der stille Umbau bis in die örtliche Nahversorgung mit Strom aus. Der Ersatz der Freileitungen und alten Dachständer durch Erdkabel macht oft auch die alten Turm-Trafostationen überflüssig, 23