381
gefangene Zeichnung von Fihpatricks Hand, daneben Mariens Nähkästchen. Der Anblick des leztcrn drängte dem Kapitän das Wasser in die Augen. — „Sie werden zu Tisch hier bleiben?" fragte die Zofe. — White antwortete nicht. — „Jcb hoffe, Mistreß White ist wohl?" fragte jene. — „Wohl?" erseztc der Kapitän; „o ja, Mistreß White ich gesund und noch glücklich. Aber ich muß meine Tochter sehen. Wohin sind sie gegangen?" — „Das weiß ich wirklich nicht zu sagen." — „Schon gut, ich werde sie finden."
Damit verließ der Kapitän das Hotel und gicng in den anstoßenden königlichen Park. Kaum war das eiserne Gitter hinter ihm in's Schloß gefallen, als er in kleiner Entfernung Marien am Arme des Gatten erblickte. Ein Bild der Schönheit und des Frohsinns wandelte sie neben ihm. Da gewahrte sie den Vater, und raschen Sprungs lag sie in seinen Armen. Er drückte sie an seine Brust und küßte ihre Stirn. Fitzpatrick bot ihm die Hand; er ließ sie unberührt. — „Ist meine Mutter hier?" fragte Marie; „o wie gut sind Sie, uns zu besuchen." — „Gott schütze dich!" antwortete White und legte ihren Arm in den seinigen; erlaube mir, dich in's Hotel zu führen; ich habe dann mit Kapitän Fitzpatrick zu sprechen." — „Mit Heinrich?" fragte Marie. — „Bleiben Sie hier, mein Herr," wendete sich White zu diesem; „ich bitte, mich hier zu erwarten; in wenigen Minuten bin ich zurück." , '
Fitzpatrick erblaßte und blieb. Marie zitterte. „Mein gutes, gutes, unglückliches Kind," sagte der Kapitän; geh' auf dein Zimmer: hier ist deines Bleibens nicht, du mußt mich nach Hause begleiten " — „Nach Hause, Vater? O dann ist meine Mutter krank! Aber Heinrich — " — „Nichts von ihm!" fiel der Vater schaudernd ein; „kein Wort, meine Tochter, kein Wort von ihm!" Und als sie das Hotel erreicht, sagte er weh- müthig: „Geh auf dein Zimmer, Kind; ich denke, ich werde bald bei dir scyn." Einen zweiten Kuß drückte er auf ihre Stirne und kehrte in den Park zuruck.
Wo er Fitzpatrick verlassen, traf er ihn, auf und ab gehend. Schnell trat er zu ihm, hielt ihm den Trauschein vor und rief: „Ist dies Dokument ächt, mein Herr? Antwort, ist dies Dokument ächt?" — „Ich vermuthe das," sagte Fitzpatrick. — „Antwort, erkennen sie das Dokument für ächt?" — „Ich — wirklich erlauben Sie, Kapitän —" — „Niederträchtiger, verworfener Bösewicht ! nur dein Blut kann das Verbrechen sühnen; hier verrätherischer Bube, vertheidige dich!"
Schäumend riß Kapitän White die Pistolen aus der Tasche, schleuderte die eine zu Fihpatricks Füßen, nahm die andere und spannte. „Hören Sie mich," rief Fih- patrick! nur eine Minute hören Sie mich!" — „Keine andere Sylb, Elender, als Ja oder Nein: ist das Dokument ächt?" — „Ja, aber hören Sie —"
Ein Blitz, ein Knall, und nur zu richtig hatte die Kugel getroffen. Ein blutender Leichnam lag der durch'S Herz geschossene. Die Lust befriedigter Rache leuchtete
aus Whites Augen, kein Mitleid war in seinem Herzen, keine Reue berührte ihn, mit teuflischem Wohlgefallen betrachtete er sein blutiges Werk. Der Schuß zog zwei Parkwärter herbei; einige Personen, die Augenzeugen gewesen , näherten sich; bald stand ein Kreis um den Kapitän. Plötzlich wechselten seine Mienen; die Gcsichtszüge wurden schlaff, die Augen matt, das Bewußtseyn der That schien ihn zu verlassen. Einen Moment später wieder gesammelt, sagte er: „Ich hab's gethan, doch wage Keiner, mich anzuruhren. Ich habe ihn getödtct, wie der Vater den Verderber seines Kindes tödtcn muß. Nun geschehe, was nicht zu ändern. Unrecht Hab' ich nicht gethan."
Der Thorhüter erkannte in dem Getödteten den jungen Mann, der im Hotel gewohnt und seit einigen Tagen mit einer Dame den Park besucht, und ein hcrbeigcru- fener Polizeidiener erklärte dem Kapitän, daß er ihn in Haft nehmen müsse. Diese Erklärung durchzuckte den Kapitän, ohne ihn zu erschrecken. Es war der Gedanke an Marien, an ihren Schmerz, an ihre Verlassenheit, was ihn erschütterte, ihm Thranen über die Wangen brachte. Alle Umstehenden fühlten mit ihm, für ihn.
Unerwartet änderte sich die Scene. Mistreß White, befremdet von der Meldung des DienerS und überrascht, daß ihr Gemahl nach einer Unterredung mit einer unbekannten Dame in einem Zustande hoher Aufregung den Weg nach Richmond genommen, befahl ihren Wagen, eilte nach der Stadt, erhielt die Bestätigung dessen, was sie geahnt, und folgte ihrem Gemahl mit aller Bangigkeit des liebenden Weibes im schnellsten Rosseslauf. Fünf Minuten schneller, und das Gräßliche wäre vieUeicht unterblieben. Athcmlos brach sie durch den Kreis, hing sie an der Brust des Gatten. „Mcin Weib, meine Fanny!" stammelte dieser; „Gott der Allmächtige sey gelobt, um unserer armen Marie willen!"
Zwei Stunden nachher hatte der Friedensrichter entschieden, daß Kapitän White nach Kingston, wo eben die Assisen gehalten wurden, in's Gcfangniß abzusühren sey, und bei der Todtenschau gaben die Geschworenen das Verdick: vorsätzlicher Mord. — Der Umstand, daß Kapiän White so fort vor die Assisen kam, belebte seine Hoffnung auf Freisprechung. Das Verdick der Coroners- Jury achtete er für leere Form, sah darin ein Urtheil, das in Ermanglung mildernden Nachweises und auf den Grund unleugbarer Thatsache nicht anders scyn könne. Gleich uncrschüttert, eine Folge der Ucbcrzcugung, daß er zu dem, was er gethan, gereizt worden, und daß jeder Geschworene, der Gatte und Vater sey, seine That entschuldigen müsse, horte er das Ertenntniß der großen Jury auf Annahme der Klage. Auch dieses Erkenntniß ruhte auf einseitigen Angaben, war die gesestichc Wirkung dcö außer Zweifel gestellten Thatbcstandeü. Der Gang der Untersuchung, die sorgfältige Erörterung aller einschlagcnden Verhältnisse, die durch ihren Ernst tief ergreifende Rede deS VcrtheidigerS hoben seine Hoffnung zur Gewißheit. Da übcrbrachte der Vormann der Geschworenen nach kurzer Berathung das — Schuldig, be-