pitän White zu übergeben und eine Antwort zurückzu-- bringen. — „War der Schreiber ein Herr oder eine Dame?" forschte der Kapitän. — Der Bursche wußte es nicht, wußte bloß, daß er flink scyn, und wenn er in drei Viertelstunden zurück wäre, eine halbe Krone bekommen solle.
Dies und ein nochmaliges Lesen des Billets weckten den schlummernden Löwen. „Jemand halt sich von mir flir beleidigt," sprach der Kapitän für sich. „Es ist eine Anfrage, eine Aussonderung. — Zu spät emgetroffen? was soll das heißen? — Mag's heißen, was cs will — kurze Mittheilung — kurz oder lang, erste oder lezte, wic's beliebt — soll Gelegenheit dazu haben." Und damit beschied erden Boten, er werde ungesäumt erscheinen.
Seine Aufregung möglich bezwingend, gieng der Kapitän in den Garten zu seiner Frau und sagte ihr, daß ein eben erhaltener Brief ihn nach der Stadt rufe, er sich aber nur kurz verweilen und bald zurück scyn werde. Mistreß White sah hierin nichts Ungewöhnliches und gab dem Gatten einen herzlichen Kuß aus den Weg. Schnell saß er im Wagen, nicht jedoch ohne, halb aus Ritterlichkeit, halb aus Vorsicht, sein Pistolenkästchen unter den Sitz geschoben zu haben. Es geschah für den Fall, daß er in einen sogenannten Ehrenhandel verflochten würde, obgleich er keine Ahnung hatte, was die Veranlassung scyn konnte. Das hingegen wußte er, daß, wenn es dazu käme, er in einer GarnisonSstadt einen „Freund" finden werde; denn Freunde sind nie leichter gesunden, als wenn es ein feindliches Rencontre gilt. Im Fluge erreichte er das Gasthaus zum rothen Löwen, rief den Wirth bei Seite und fragte, wer und wo der Herr sey der ihm mittelst eines Erpressen einen Brief geschickt.
„Ein Herr?,, versezte der Wirth, bitte um Verzeihung, dermalen logirt kein Herr bei mir; meines Wissens hat eine Dame de» Brief geschickt." Der Kapitän lachte über seinen thörichten Argwohn und seine thörichtere Pi- stolcnvorsicht. „Eine Dame?" sagte er; „recht schön! Führen Sie mich zu ihr." — Der Wirth stellte ihn sofort einer hübschen jungen Dame als Kapitän White vor und verließ daö Zimmer.
Der Kapitän verbeugte sich; die junge Dame wollte aufstehen, brach aber in Thränen aus. Ein Weib in Thränen machte den Kapitän zur Turteltaube. Er bemühte sich, sie zu beruhigen, sie weinte noch heftiger. Er sezte sich neben sie und sagte: „Wie soll ich mir das deuten, Madame? Woher dieser Schmerz, diese Aufgeregtheit? Kann ich mich doch nicht erinnern, je das Vergnügen gehabt zu haben, Sie zu sehen." — „Mich? Nein, nein, mich haben Sie nie gesehen! Wollte Gott, Sic hätten cs! Elend, Verzweiflung wäre Ihnen, wäre denen erspart gewesen, die Sie mehr lieben als sich selbst!" 7" ^ verstehe Sie nicht," versezte der Kapitän; „habe
ich sic beleidigt, habe ich irgend Jemand gekränkt, der Ihnen nahe steht? — „Nein, nein," sagte die Dame ruhiger und nahm das Tuch von den Augen; „Sie sind der Beleidigte, der Gekränkte, ich die Gekränkte, die
Betrogene, Sie und ich, wir Beide, Sie und Ihr schuldloses Kind!" — „Gerechter Gott!" rief der Kapitän, „was heißt das? — was kann das heißen?" — „Alles! erwicderte die Unglückliche; „hätt' ich'tz zu hindern vermocht, ich hätt' es gethan, schon um meinetwillen hätt' ich'ö gcthan. Nun ist's zu spat; Ihre Tochter ist an Heinrich Fihpatrick vermählt." — „Ja, ja, und nun —"
— „Nun ist sie elend auf ewig!"
„Sind Sie bei Sinnen, Madame?" rief der Kapitän. „Womit wollen Sie solche Rede rechtfertigen?"
— „Sic war Ihr Liebling," fuhr die Dame fort, „war Ihr einziges Kind, Ihre und der Mutter Freude, ein unschuldiges, herrliches, reines, tugendhaftes Mädchen. Sv schildert sie jeder. Ich habe die Hcimath ihres Glücks gesehen, den Garten, den sie geliebt, die Blumen, die sie gepflegt. Erst heute Morgen kam ich an Ihrem Hause vorüber — zu spät, zu spät für uns Alle! Sie ist verloren — sie und ich sind vernichtet!" — „Sie und mein Kind ? Was haben Sie mit meiner Tochter gemein ? Reden Sie, erklären Sie sich, der Tod kann —" — „Wird sein Opfer finden," unterbrach die Unbekannte; „wie soll ich's Vorbringen, was Ihr cdlcS Herz brechen wird?" — „Lasset Sie mich Alles Wissen," sagte der Kapitän; „was ist's?" — „So gebe der Allmächtige Ihnen Kraft, es zu tragen. Heinrich Fitzpatrick — ich bin sein ihm angetrautes Weib."
Kapitän White stand sprachlos; Zorn und Unglauben kämpften in ihm; er wendete sich von der Unheimlichen ab. „Ueberzeugen sie sich," sagte diese und reichte ihm ein Pergament. — Es war der Trauschein. Der Kapitän las ihn, drückte die geballte, Faust an die Stirn und verbeugte sich zum Weggehen. — „Nicht so, nicht so!" rief die Unglückliche und stürzte ihm zu Füßen. „Schonung, Schonung fürihn! Er war meine erste, meine einzige Liebe, ist noch mein Gatte!"
Einen Blick voll Haß und Wuth schleuderte der Kapitän auf die Knicende. „Lassen Sie das Gesetz ihn strafen," fuhr diese fort; „vergessen Sie nicht, daß wir Beide schon unglücklich genug sind." — „Wir Beide!" wiederholte der Kapitän; „Sie sind unglücklich, ich habe mein Kind unglücklich gemacht; mein einziges Kind habe ich mir vom Herzen gerissen, den Liebling meines Daseyns um Glück und Leben betrogen. Lassen Sie mich - die Strafe soll ihm werden!"
Vergebens umschlang die Schluchzende seine Knie. Er machte sich los, eilte die Treppe hinab, gebot dem Diener, Mistreß White zu melden, daß er vor Abend nicht zurückkehren werde, sprang in den Wagen, ließ den Pferden die Zügel und jagte nach Croydon, der nächsten Poststadt auf der Straße nach Richmond. Frische Pferde brachten ihn schnell an's Ziel.
Mariens Zofe stand in der Thür des Hotels, als ber Kapitän vorfuhr. Seine Ankunft überraschte, sein Aussehen erschreckte sie. Er folgte ihr auf das Zimmer ihrer Herrschaft. Beide waren auSgegangen, wollten aber um vier Uhr zurück seyn. Auf dem Sopha lag eine an-