Klaus Pichler · Eine Betrachtung zu zwei Gedenktafeln an die Kriege von 1866 und 1870/71Bismarck betonte noch nach seiner Entlassungden protestantischen Charakter des DeutschenReichs und erklärte am 31. Juli 1892 auf demMarktplatz von Jena:„Ich bin eingeschworen aufdie weltliche Leistung eines evangelischen Kaisertums, und diesem hänge ich treu an.“Die protestantischen Kirchen blieben dem Obrigkeitsstaat eng verbunden, zumal die jeweiligenaristokratischen Landesherren seit Reformationszeiten ihre Titular-Vorgesetzten waren. Noch1920 sandte die Synode der preußischen evangelischen Kirche dem im Exil lebenden WilhelmII. eine Dankadresse für seine Verdienste um dieNation, ungeachtet der fürchterlichen Ereignissedes Ersten Weltkriegs.Damit vertiefte sich die konfessionelle Spaltung,und das neue Kaisertum war ein wesentlicherTeil des Keils, was nicht selten zu groteskenAuswirkungen führte. So war es auf dem Zavelsteiner Friedhof, der sich in der Obhut derKirche befand, nicht gestattet, Katholiken zubestatten, bis dieser 1954 von der bürgerlichenGemeinde übernommen wurde. Dem durch diepreußische Monarchie geprägten Staat fehlte essowohl an Weisheit wie an Weitblick, einenStaat für alle anzustreben. Allerdings leisteteauch der extreme Konservatismus von Papst PiusIX.(Pontifikat 1846-1878) seinen Beitrag beiden konfessionellen Differenzen. Gegen dienachdrückliche Opposition der deutschen Bischöfe setzte er beim Ersten VatikanischenKonzil(1869/70) das Dogma der päpstlichenUnfehlbarkeit bei der Ausübung des kirchlichenLehramts durch, das noch heute ein schwerwiegendes Hindernis bei ökumenischen Bemühungen darstellt.Im Ergebnis misstrauten die beiden großenReligionsgemeinschaften weiter einander, wasab 1871 zum„Kulturkampf“ führte. Obwohl inder Verfassung Religionsfreiheit verankert war,setzte die nationalliberale Partei mit Bismarckan der Spitze eine Reihe von verfassungswidrigenGesetzen zur Maßregelung der katholischenKirche durch, die – bis auf den Vorrang derzivilrechtlichen Eheschließung vor der kirchlichen – sämtliche nach 1878 wieder zurückgenommen werden mussten.Zur Wahrung der Interessen des katholischenBevölkerungsdrittels hatte sich 1871 die Zentrum-Partei gegründet, der im Kaiserreich –neben den Sozialisten – zwangsläufig die Rolleeiner kritischen Distanz zum Staat zufiel.Allerdings opferte das Zentrum in der spätenWeimarer Republik diese Rolle den Verlockungen eines Konkordats. Am 23. März 1933waren es auch die Stimmen der Zentrumsfraktion unter ihren Führern Prälat Kaas und Franzvon Papen, die im Reichstag das Ermächtigungsgesetz ermöglichten. Das Konkordatkonnte dann im Juli 1933 zwischen Hitler unddem Vatikan geschlossen werden. Es hatte dieHoffnung geweckt, dadurch könne die Unabhängigkeit katholischer Einrichtungen gesichert werden. Aber die braunen Machthaberhielten sich nicht daran.Juden waren in der Verfassung des Kaiserreichsgleichgestellte Bürger, dennoch fasste der Antisemitismus rasch Fuß. Zwar ziehen sich Phasenvon mehr oder minder vehementem Antisemitismus von Beginn an durch das Christentum.Aber die Reformation führte – zumindest zeitweise – zu vermehrter Intoleranz, hatte dochMartin Luther in seiner Abhandlung„Von denJuden und yhren Lügen“(1543) gegen diese ineiner Sprache vom Leder gezogen, wie sie erstdie Nazizeit wieder benutzte. Die antisemitischeGrundeinstellung trugen vielfach protestantischeTheologen weiter. So gründete der schon genannte Hofprediger Alfred Stoecker 1878 dieantisemitische Christlich-Soziale Partei, die denBegriff„Verjudung“ einführte. Die antisemitische Einstellung übernahm dann im NS-Reich(neben den Nationalsozialisten) die 1932 vonHitler als nazifizierte Kirche geplante Bewegungder„Deutschen Christen“. Dieser stellte sich1934 die„Bekennende Kirche“ entgegen, derenHauptinitiator der ehemalige U-Boot-Kommandant im Ersten Weltkrieg Pastor Martin Niemöller war.185