Klaus Pichler · Eine Betrachtung zu zwei Gedenktafeln an die Kriege von 1866 und 1870/71gründet. Im Calwer Wochenblatt vom Samstag,dem 21. Januar 1871, erfolgt die Darstellungdieses Ereignisses völlig unspektakulär ohnenationalen Überschwang. Die Frontseite derAusgabe nimmt eine„Amtliche Bekanntmachung“ ein, welche eine Wechselsteuer zumThema hat. Lediglich unter den„Nachrichtenvom Kriegsschauplatz“ findet sich eine vomneuen Kaiser gezeichnete Proklamation, und erwird ab diesem Zeitpunkt als Kaiser betitelt.Dagegen werden die Kapitulation von Paris undder damit verknüpfte Waffenstillstand mit großer Schrift in Fettdruck verkündet.Nach dem Waffenstillstand mit dem Vorfriedenvon Versailles trat am 10. Mai nach langwierigenVerhandlungen der Friede von Frankfurt inKraft. Frankreich musste die deutsch- undzwei-sprachigen Gebiete von Elsass und Lothringen an das neue Deutsche Reich abtreten, wobeidie Annexionisten-Befürworter auch die Abtretung der rein französischsprachigen Region umMetz durchsetzten. Die Territorien wurden zumneuen Reichsland Elsass-Lothringen zusammengefasst. Außerdem hatte Frankreich Reparationen in Höhe von 5 Milliarden Francs zu leisten.Die Ausrufung des Deutschen Reichs in derPrunkresidenz französischer Könige und napoleonischer Kaiser sowie die Annexion ElsassLothringens provozierten den französischenNationalstolz. Mit dem Diktat-Frieden vonVersailles, der 1918 den Ersten Weltkrieg beendete, wurde dies schließlich vergolten.Blickt man zurück auf das ferne Vorbild des(zweiten) Deutschen Kaiserreichs, dann wird einentscheidender Unterschied deutlich: In denKönigen und Kaisern des Heiligen RömischenReiches Deutscher Nation sahen die Menschen– zumindest in dessen Blütezeiten – die irdischeRepräsentanz des Rechts. So lautete das Regierungsmotto des letzten großen Staufers FriedrichII.(1194-1250)„Pax et Justitia“(Friede undRecht). Dieses neue Reich dagegen wurde aufeiner Basis von Illegitimität und unverbrämtemGewalteinsatz errichtet.Vor allem protestantische Pastoren in Preußen deuteten dieKapitulation vom 2. September1870 als Gottesurteil und stilisierten diese zum„Sedanstag“hoch. Als sich der pietistischeFriedrich von Bodelschwingh(Gründer der Bethel‘schen Anstalten) schon 1871 für denSedanstag einsetzte, begann dieIdee an Popularität zu gewinnen. Für ihn wie für die meistenPastoren gehörten Thron undAltar zusammen. Der nachmalige Hofprediger Adolf Stoecker jubelte dreiWochen nach der Kaiserproklamation:„Dasheilige evangelische Reich deutscher Nationvollendet sich, … in dem Sinn erkennen wir dieSpur Gottes von 1517 bis 1871.“ Zwar hattensich die Katholiken, die ein Drittel der Bevölkerung des neuen Kaiserreichs umfassten, imDeutsch-Französischen Krieg nicht weniger„national“ verhalten, umso verstörender wirkten nundie Parolen vom Sieg des Protestantismus undvom evangelischen Kaisertum. Der katholischeMainzer Bischof Wilhelm Emanuel von Ketteleruntersagte daraufhin 1874 seinen Geistlichenjede Art von Mitwirkung an den Sedansfeiern.So wurde der Sedanstag faktisch ausschließlichin den evangelischen Kommunen Deutschlandsbegangen und entwickelte sich zu einem Feiertagmit Militärparaden einschließlich Bekenntnissenunerschütterlicher Loyalität zur Monarchie.Auch in Zavelstein fanden Sedansfeiern statt.184