Denis Drumm · Das Hirsauer Geschichtsbild im 12. Jahrhundert kritischer Edition herauskamen, entschied sich der Herausgeber, Dietrich von Gladiss, dazu, die Hirsauer Urkunde als Fälschung zu titulieren. Eine Festlegung, die in der Folge häufig in Zweifel gezogen wurde. Man hatte ab diesem Zeitpunkt geradezu das Gefühl, dass zahlreiche Forscher großen Aufwand betrieben, dieses Urteil zu widerlegen. Noch folgenreicher war ein Buch des österreichischen Historikers Theodor Mayer. 29 Darin untersuchte er frühstaatliche Strukturen im Mittelalter sowie das Verhältnis zwischen Adel und Königtum. Um den Wandel im 11. Jahrhundert im Verhältnis zwischen diesen Gewalten erklären zu können, betrachtete Mayer vor allem Vogteirechte und Immunitäts­bestimmungen, die er als maßgeblich für diesen Umbruch hielt. Somit kamen klösterliche Do­kumente, die eben beides enthielten, in den Fokus einer an sich rein verfassungs- und rechts­geschichtlichen Untersuchung. Für Mayer stellte das Hirsauer Formular sein Musterargument dar, das er durch die gesamte Studie als solches benutzte. Er stand nur methodisch vor einem Problem: Er musste das Hirsauer Formular für echt erklären. Nach zahlreichen Vergleichen mit anderen klösterlichen Dokumenten stand für Mayer fest, dass man in Hirsau aus bestehendem Material kompiliert und dadurch auf keinen Fall etwas erfunden habe. Für ihn war hiermit der endgültige Beweis für die formelle Echtheit der Urkunde erbracht. Diesen Schluss haben in den folgenden Jahrzehnten dutzende Forscher direkt zitiert, denn Mayers Urteil gilt, mit wenigen Ausnahmen, bis heute als gültiges Urteil zum Hirsauer Formular. Kanzlei. So kam er zu dem Schluss, dass es sich beim Hirsauer Formular in der heute überliefer­ten Form um eine täuschend genaue Nachzeich­nung einer echten Urkunde handle, die nur wenige Jahre danach angefertigt wurde und die inhaltlich nicht verändert worden sei. Das ist dahingehend wichtig, da sich nun ab dieser Zeit beide Urteile über die Urkunde durchgesetzt hatten: Mayers inhaltliche Echtheit und Gawliks formell echte Nachzeichnung. Folgenreich war nun, dass Gawlik sich an einer verfassungsrecht­lichen Deutung des Befundes versuchte. Auf der Rückseite des Hirsauer Formulars findet sich nach einer archivarischen Beschreibung des Inhalts und der bereits bekannten Datierung der Satz:forme illius privilegii adhuc habentur due partes(sinngemäß:Abschriften dieses Privilegs werden bis heute in zweifacher Ausfertigung besessen). Dies ist ein vielzitierter Satz, denn er scheint offensichtlich zu belegen, dass das Hir­sauer Formular sogar in zwei Varianten im Der wohl zentrale Beitrag, der versuchte diesen Befund auch aus diplomatischer Sicht zu unter­suchen, stammt aus dem Jahre 1975, und auch dieser blieb folgenreich. 30 Alfred Gawlik hatte es sich zur Aufgabe gemacht, neben der inhalt­lichen Echtheit der Urkunde, die seit Mayer als gegeben galt, nun auch die formelle Echtheit zu betrachten. Er setzte sich dabei mit einigen Kritikpunkten auseinander, besonders in Hin­blick auf die Schrift, das verwendete Siegel und auch typische Gepflogenheiten der königlichen Rückseite des Hirsauer Formulars(Hauptstaatsarchiv Stuttgart, H51 U6, verso) 84