Leonid Kanter · Das erste Jahr der französischen Besatzung im Landkreis Calw Die Besetzung Calws Calw wurde am 15. April von der 1. Franzö­sischen Armee besetzt. Der Umstand, dass die Stadt von der Wehrmacht für einen Befesti­gungskampf letztendlich für ungeeignet befun­den und vom Bürgermeister kampflos dem Feind übergeben wurde, ersparte der Bevölke­rung weitere bange Tage der Ungewissheit. Die Erleichterung über die Beendigung der Kampf­handlungen sticht in beinahe allen Zeitzeugen­berichten über das Kriegsende im Kreis Calw hervor. Doch bereits der nächste Morgen sollte die Bevölkerung an den Preis erinnern, welchen man für diesen Frieden zu bezahlen hatte. Soldaten nordafrikanischer Herkunft terrorisier­ten in den folgenden Tagen die Bevölkerung nach Lust und Laune. Unter allen begangenen Verbrechen müssen die Vergewaltigungen 11 besonders hervorgehoben werden, da sie trauma­tische Folgen für die betroffenen Frauen und ihre Familien zur Konsequenz hatten. So stan­den die deutsch–französischen Beziehungen jene Beziehungen zwischen den Siegern und Besiegten zu Beginn unter ungünstigen Vorzeichen. 12 Demontagen und unsinnige Befehle, die die Willkür der Besatzungsmacht unterstrichen, verstärkten diesen Trend. Auf beiden Seiten mussten in den nächsten Monaten große Anstrengungen unternommen werden, um jenes Verhältnis, wenn nicht zu normalisie­ren, so doch auf ein erträgliches Maß, welches die Zusammenarbeit ermöglichte, zu bringen. Die ersten Monate der Besatzungszeit verliefen chaotisch. Die relativ späte Entscheidung, Fran­kreich als Siegermacht eine eigenständige Zone zu übertragen, wirkte sich fatal aus. Während den Großen Drei(USA, Großbritannien und Sowjetunion) ausreichend Zeit zur Verfügung stand, musste Paris in Rekordzeit Besatzungs­pläne entwickeln und Posten besetzen. Dies erklärt, warum vor allem die Vergabe der poli­tischen Posten in sowohl qualitativer als auch quantitativer Hinsicht mangelhaft durchgeführt wurde. Die Zeitnot ging zu Lasten der deutschen Bevölkerung. Sie hatte neben den allgemeinen Alltagsproblemen der unmittelbaren Nach­kriegszeit zusätzlich mit der Besatzungsmacht, insbesondere mit ihrem Auftreten gegenüber den Deutschen zu kämpfen. 13 Die französischen Besatzer griffen in den ersten Monaten der Besatzung zu Maßnahmen, die auf Ablehnung und nicht selten gar auf Empörung stießen. Das über Jahrzehnte, ja, über Jahrhunderte entstan­denedüstere Franzosenbild vomErbfeind wurde dadurch bestätigt. Gouverneur Hubert Frénot(Zeichnung des Calwer Malers Kurt Weinhold, 1945) Selbstverständlich traf das harte Urteil über die fachlich untauglichen Beamten in der Besat­zungszone nicht auf alle Franzosen zu. Besonders am Beispiel Calw ist ersichtlich, welchen Einfluss die Kenntnis des besetzten Landes mitsamt seiner Kultur und Menschen auf eine gelungene Zusammenarbeit zwischen Besatzern und Besetzten haben kann. In Calw ist der Name Hubert Frénot untrennbar mit der konstrukti­ven Kooperation verbunden. 64