Hansjörg Straub Verhängnisvoller Fallschirmsprung 1944 bei Schietingen Der britische Spion, der seine Jugend in Deutschland verbrachte In der Nacht vom 10. auf den 11. April 1944 bestieg ein junger Mann in England ein Kampf­flugzeug, das ihn in sein Heimatland bringen sollte, ein Land, das gegen die Welt im Krieg stand. Das Flugzeug, eine Handley Page Halifax der Royal Airforce, startete in Tempsford, einem kleinen Flugplatz in der englischen Grafschaft Bedfordshire, etwa 80 km nördlich von London. Der junge Mann, Frank Chamier, war in Beglei­tung eines Funkers namens Wilhelm Reschke, und ihr Ziel war der Ostrand des nördlichen Schwarzwalds zwischen Nagold und Horb am Neckar. Die beiden Männer, die mit Fallschir­men landen sollten, kannten sich bereits seit einigen Monaten, offenbar aber nicht gut genug. Denn für Frank Chamier wurde dieser Begleiter zum Verhängnis. Philipp Frank Chamier wurde am 3. Januar 1909 als zweites Kind von Frederic Chamier und dessen Ehefrau Elena geb. Stallforth in Frankfurt geboren. Die frühe Kindheit verbrachte er mit den Eltern und der zwei Jahre älteren Schwester in Frankfurt und Wiesbaden, die Jahre zwischen 1914 und 1919 in der Schweiz, in Zürich und am Lago Maggiore, wo er schon als Kind meh­rere Sprachen lernte. Man sprach in dieser Umgebung Deutsch, Italienisch, Französisch und Englisch, wie man das überall macht, wo Menschen aus vielen Ländern zusammenkom­men, die durch gemeinsame Interessen verbun­den sind, aber ihre eigene Kultur nicht verleug­nen müssen. Die Täler um Ascona wurden damals von vielen bildenden Künstlern, Musi­kern, Tänzern und Schriftstellern aufgesucht (auch von Hermann Hesse), von denen nicht wenige als Pazifisten und Kriegsdienstverweige­rer vor der Einziehung in den Weltkrieg geflüch­tet waren. Die Begegnung mit diesen Menschen muss den jungen Frank Chamier tief geprägt haben. Chamiers Mutter war zu Kriegsbeginn 1914 gezwungen, Deutschland zu verlassen. Die im Jahr 1880 in Mexiko geborene Tochter einer wohlhabenden Kaufmannsfamilie hatte in ihrer Jugend ein Schweizer Internat besucht und war seit dem Jahr 1906 mit dem in Sidney geborenen englischen Ingenieur und Unternehmer Frederic Chamier verheiratet, der als Geschäftsführer und Direktor der Deutschen Beck-Bogenlampen­Gesellschaft in Frankfurt tätig war. Die Firma wurde 1906 gegründet, aber noch im selben Jahr erhielt sie aus Berlin Konkurrenz durch ein Firmenkonsortium, das unter dem Namen OSRAM mit der Herstellung der Glühfaden­lampe die modernere und effektivere Technolo­gie nutzte. Bis zur Auflösung der Firma Beck­9