Karl J. Mayer · Des Herzogs Hirsauer Untertanen der Unterschicht zumindest in Ohmenhausen im 19. Jahrhundert, zu zwei Dritteln voreheliche sexuelle Kontakte hatten, die der Oberschicht nur zu einem Drittel. Die Gerichtsprotokolle enthalten auch in Hirsau etliche Auseinandersetzungen bezüglich unehe­licher Geburten und deren vor allem finanziellen Folgen. Sie sind in der Regel nicht sehr spannend zu lesen. Eine solche Auseinandersetzung vor Gericht aber soll dennoch herausgegriffen wer­den, auch um die mitunter nur mangelhaft entwickelte Moral der Klosteramtsbewohner zu veranschaulichen. Es geht um den Fall des Jacob Helber aus Walddorf, Altensteiger Amts. 20 Helber war jung verheiratet, als er vor dem Klostergericht Klage erhob. Seine Frau Barbara hatte ein uneheliches Kind mit in die Ehe gebracht, das zum Zeit­punkt ihrer Verehelichung mit Jacob Helber bereits dreieinhalb Jahre alt war. Wer war der Vater dieses Kindes, das Frau Helber mit in die Ehe gebracht hatte? Sie beichtete ihrem jetzigen Ehemann Jacob, es sei das Kind des Friedrich Wurster aus Agenbach, Klosteramt Hirsau. Helber schrieb Wurster daraufhin einen Brief, in dem er ihn mit dem Sachverhalt konfrontierte mit dem Ziel, ihn dazu zu bringen, nachträglich seine finanzielle Verant­wortung zu übernehmen. Der Brief ließ an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. Helber schrieb an Wurster, seine Frau habe ihmgeof­fenbahrt, dass Wurster siewie sie noch auf dem Agenbach gewesen, einmal berauscht habe, im Rausch sie in sein Bett getragen, und sodann zu seinem Willen gebraucht, oder, wie die Worte des Briefes lauten, genothzüchtigt habe. Als Beleg für die Richtigkeit dieser Anschuldigung wies Helber darauf hin, dass Wurster nach der Geburt des Kindes der ledigen Mutter Geld hatte zukommen lassen, offensichtlich um sich von der Verantwortung loszukaufen. Wurster verteidigte sich. Bei der ersten Verhand­lung über die Vaterschaft des unehelichen Kin­des drei Jahre zuvor habe die Mutter angegeben, Ulrich Hamann sei es gewesen, was der aller­dings abgestritten habe. Auch die Behauptung, er, Wurster, habe der Frau Geld gegeben, damit sie ihn nicht belastete, sei falsch. Die 18 Laub­taler(französische Silbermünzen), die er der Helberin gegeben habe, seien kein Schweigegeld gewesen, sondern ein zinsloses Darlehen, wie Bürgermeister Jacob Keller von Agenbach bestä­tigen könne. Er, Friedrich Wurster, lasse auf seinen guten Namen nichts kommen, und außerdem habe die Kindsmutter auch den Hel­ber erst geheiratet als sie erneut schwanger war. Sie sei somit quasi eine Wiederholungstäterin, was die uneheliche Empfängnis ihrer Kinder anbelangte. Wurster stellte zudem die berech­tigte Frage, woher die Klägerin denn wissen wolle, wer der Vater des dreijährigen Kindes war, wenn sie zum Zeitpunkt des Geschehens berauscht gewesen war. Das klagende Ehepaar ruderte daraufhin etwas zurück. Es sei richtig, dass Wurster die jetzige Barbara Helber nicht mit Geld zum Schweigen habe bringen wollen und auch die 18 Laubtaler seien tatsächlich ein Darlehen gewesen, aller­dings mit dem Vermerk, dass man nach dessen Annahme nichts weiter von Wurster fordern werde. Am Ende der Beweisaufnahme baten beide Parteien um ein Urteil des Klostergerichts. Auch aus heutiger Sicht wird man dem daraufhin erfolgten Freispruch Wursters von der Vater­schaftsklage eine gewisse Plausibilität nicht absprechen können. Barbara Helber hatte nicht gerade einen vorbildlichen Lebenswandel, und dass sie zunächst einen anderen als Vater genannt hatte, spricht ebenfalls nicht gerade für sie. Aber es bleiben Zweifel. Die Familie Wurster in Agenbach war durchaus wohlhabend. Es ist denkbar, dass der Beklagte tatsächlich vier Jahre zuvor die mittellose, jetzige Frau Helber miss­braucht und geschwängert und die Konse­quenzen, vor allem eine Ehe oder Unterhaltszah­19