Karl J. Mayer · Des Herzogs Hirsauer Untertanenerlebt. Nur dort, so Sabean weiter, wo Herrschaftund Volk aufeinander trafen, bekommt Letztereseine Stimme. Genauer: Zumeist vor Gericht.Wenn die Ordnung bedroht war, wenn dieMenschen untereinander oder mit der Obrigkeitim Streit lagen, wurden ihre Aussagen undStellungnahmen protokolliert. Deshalb werdenfür die Ausführungen zu einem großen Teil dieProtokolle des Klostergerichts herangezogen.Dieses klärte unter Vorsitz des Klosteramtmannskleinere Rechtsstreitigkeiten, beglaubigte Kaufverträge und leitete Feuerversicherungseinschätzungen weiter. Es war also quasi Amtsgericht,Notariat und Dorfverwaltung in einem.Die Protokolle dieses Gerichts – dem neben demKlosteramtmann noch einige Schultheißen ausden Amtsorten und höhere Klosteramtsbeamteangehörten – sind jedoch einseitig, eben weil sieihr Entstehen zumeist einer gestörten Ordnungverdanken. Dies führte auch zu dem Trugschlussbei etlichen Historikern oder Volkskundlern,dass sie im Leben der Untertanen des Herzogsbis weit ins 19. Jahrhundert nur eine einzigeTortur erkennen konnten.7spielte. Es überrascht nicht, dass Besitz, vor allemGrundbesitz, in der vorindustriellen Gesellschaftausschlaggebend für die Existenz der Menschenwar, für die Schichtzugehörigkeit, die sozialeAbsicherung, die Zukunft der Nachkommen.Besitz war also mit entscheidend für die Position,die ein Mensch in der Gesellschaft der frühenNeuzeit in Württemberg einnahm, vor allemnatürlich in ländlichen Gegenden, die von Landund Forstwirtschaft lebten.Wenn man den Besitz der Menschen in denBlick nimmt, haben wir es im Klosteramt Hirsau, dem sowohl Orte im Gäu(etwa Stammheim, Friolzheim) als auch auf dem Calwer Wald(etwa Agenbach, Oberreichenbach) zugehörten,mit etlichen Besonderheiten zu tun. Zunächstunterschieden sich die Erbsitten in den Klosterorten des Calwer Waldes von denen im Gäu. EsNimmt man lediglich die Akten der lokalen oderstaatlichen Verwaltung zur Grundlage seinesUrteils, dann muss man dem zustimmen. Nurwenn man sich verdeutlicht, dass – wie fast zuallen Zeiten – diese Verwaltung vor allem dasNegative, Belastende schriftlich festhielt, aberdas, was das Leben schön und lebenswertmachte, eher selten aufgeschrieben wurde, dannkommt man ins Nachdenken darüber, ob dennalles nur so bedrückend war, wie es uns diearchivische Überlieferung und damit oft auchdie historische Darstellung glauben macht.Besitz: Existenzgrundlage und StreitobjektBlicken wir nun also in die Quellen und greifeneinige Begebenheiten heraus, die uns die Hirsauer Untertanen des Herzogs etwas näherbringen sollen. Beginnen wir mit der Frage,welche Rolle der Besitz für die Menschen damalsDer Würzbacher Kronenwirt und GemeindepflegerKappler neben seiner Frau in der Tracht eines wohlhabenden Bauern des Calwer Waldes(Aufnahme von1931).11