Hydrographie. Beschreibung einzelner Flussgebiete, Enz-Nagold.

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Die Grösse der vorbezeichneten Flussgefälle ist nur als ein Näherungswert aufzufassen, da in den Gefällslinien auf kürzere Strecken erhebliche Abweichungen stattfinden. Bei Niederwasser hängt das Gefäll vorwiegend von dem Zustande der Sohle und von der veränderlichen Lage der Kiesbänke ab, auch wird der Stromstrich teilweise länger als die Kilometerteilung. Bei Hochwasser hingegen bedingen hohe Ufergelände, sowie natürliche und künstliche Einengungen des Ueherschwemmungsgebietes eine Abnahme des Gefälls nach oben, eine Zunahme desselben nach unten. Ungleichheiten in der Gefällslinie des freien Flusslaufs und durch Wehrstauungen werden mit steigendem Wasser geringer, auch wird die Länge des Stromstrichs bei Hochwasser öfters wesentlich kürzer.

Bei einem Vergleich der in Beilage 4 gezeichneten Gefällslinien der Enz und Nagold zeigt sich die Thalsohle der Nagold als die natürliche Fortsetzung der Thalsohle der unteren Enz. Das Nagoldthal ist als Hauptthal aufzufassen, es ist gleichmässiger ausgebildet und viel tiefer erodiert als das Thal der Enz oberhalb Pforzheim.^Die Grösse der bei Pforzheim in diesen beiden Thälern wirkenden Erosion kann zu Vergleichungszwecken, weil ihre geologischen, klimatischen und Bewal­dungsverhältnisse annähernd die nämlichen sind, durch das Produkt aus der in derselben Zeit abgegangenen Wassermasse und der Abflussgeschwindigkeit ausgedrückt werden. Da erstere dem Produkt aus der Grösse des Einzugsgebiets und der jährlichen Niederschlagsmenge, letztere der Quadratwurzel aus dem mittleren relativen Gefäll proportional ist, so ist dieses Verhältnis ungefähr

= 326 ' 1095 = -. Die Erosionskraft ist also bei Pforzheim im Nagoldthal beinahe doppelt

80 __stark: wie im Enzthal. Dieser viele Jahrtausende hindurch wirkende Mehraufwand an Kraft hat im Nagoldthal im Gegensatz zum oberen Enzthal die tiefere und damit auch die oben, in der Schwarzwaldhochebene gemessene, breitere Auswaschung und Abschwemmung bewerkstelligt.

Für die durch Erosion erfolgte Ausbildung der heutigen Gefällslinie waren folgende verschieden­artige Faktoren von wesentlichem Einfluss: die Grösse der sekundlichen Wassermenge, die der Fluss an der betreffenden Stelle abführt, die Löslichkeit bezw. Verwitterbarkeit der Gesteinsschichten, die die Uferwände und den Thaluntergrund bilden, die Neigung dieser Gesteinsschichten zum Flussgefäll, die Einmündung stark Geschiebe führender Nebenflüsse u. a. m. Die verwickelten Beziehungen, die zwischen diesen Faktoren bestehen, verhindern, dass die Gefällslinie einem bestimmten geometrischen Gesetz folgt, wie dies manchmal angenommen wird.

Die Darstellung des Uebersichtslängenprofils in der Beilage 4 und die Unregelmässigkeit der Gefällabnahme in den vorstehenden Tabellen fordert zu einer vergleichenden Betrachtung auf. In diesen beiden Zusammenstellungen wurden als Abgrenzung der einzelnen Längenprofilteilstrecken die Mündungsstellen der Nebenbäche angenommen; es sollte sich daher unter gleichen sonstigen Ver­hältnissen das Flussgefäll an jedem Trennungspunkt gleichmässig ändern. An denjenigen Stellen, wo dies nicht der Fall ist, ist die Ursache der Unregelmässigkeit in dem Vorhandensein einer der andern obengenannten Faktoren zu suchen.

^'So drückt sich z. B. in der Gefällslinie der oberen Enz die doppelte Granitkuppe zwischen dem Kegel- und Kälberbach, sowie zwischen dem Güters- und Rennbächle, in derjenigen der Nagold das Vorkommen von Granit zwischen Schwein- und Langenbach ganz augenfällig in der Art aus, dass an den Granit flussaufwärts eine Flussstrecke mit geringerem, flussabwärts eine solche mit stärkerem Gefäll sich anschliesst. In der gefällslinie der unteren Enz erzeugen die in der Fluss­sohle anstehenden Muschelkalkschwellen bei Mühlhausen ebenfalls bedeutende Unregelmässigkeiten.^

Aber auch ausgesprochene Schichtengefällsänderungen sind im Längenprofil ersichtlich. Der Gefällwechsel der Buntsandsteinschichten bei Nagold, wo das Nagoldthal vom Schwarzwaldquerthal ins Schwarzwaldlängsthal übergeht, und ebenso derjenige der Muschelkalkschichten der unteren Enz bei Bietigheim, wo diese wieder ins rheinische Spaltensystem eintritt, übt unverkennbaren Einfluss auf das Flussgefäll aus.

Querschnittsverhältnisse.

Mit dem Lauf in den verschiedenen Formationsgliedern ändern sich nicht allein der landschaft­liche Charakter und die Gefällsverhältnisse des Flusslaufs, sondern auch die topographischen Ver­hältnisse im allgemeinen und die Querschnittsverhältnisse des Flussthals im besonderen.