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DieZigeunerin.

Samuel Parker wohnte an der Küste der Graf, schafl Kenl und war ein Fischer, d. h. Fischen war eh­emals sein wirkliches und alleiniges Handwerk gewesen. Seit mehreren Jahren trieb er eS nur dem scheine nach, brachte selten Fische aus den Markt, und war dann wegen des 'Verkaufs durchaus nicht ängstlich. Gleich­wohl Hallen Frau und Rinser, was sie brauchten. und Samuel bisweilen mehr, denn ost g »ug verricth er ein Zuviel an Tabak und starken Getränken.»gn haue die Nachbarschaft geflüstert, daß er Alles für Fflch Halle. waS ihm in'S Netz komme, und daß er vcrmmhlich meist Butten" fange, und waS man gefiüsteri, war diesmal Wahrheit, Parker war ein kühner, fleißiger Schmuggler.

Da geschah eS eines Wuiicr Nachmittags, daß Sa­muel Parker auf dem Wege nach seiner Hütte bei'm Hervortrcten au» einem G-hdlz einer Zigeunerin begeg- ncte. die schon geraume Zeit sich in der Gegend aufhiell, bei Tage erschien und des Nachte verschwand, ohne daß man wußte wohin, denn ihre Leute" hatten weit und breit kein Lager. Ihre einzige Begleitung war ein

Säugling, den sie auf dem Rücken trug, und ihren Lc- benS-Unterhalt schien sie sich dadurch zu erwerben. daß sie den jungen Mädchen Männer, den jungen Männern Frauen, den Wirthschafterinncn Glück mit. Bienen und Federvieh und den Müttern für ihre zerlumpten Buben die Würde eines Aldermann oder KirchsptetVorstehcrs pro- phezeitc. Die Zigeunerin war weder alt noch häßlich. Vielleicht zählte sie dreißig Jahre; doch hatten Kummer ,und Sorge ihr Gesicht tief gezeichnet. Ihr AeußereS besaß eine gewisse Hoheit, vbschon sie nur von mittler Größe war. Sie halte den bronztrten Teint, das ovale Gesicht und die dicken dunkeln Locken ihres Volkes. Ihre Augen waren schwarz, groß und voll Ausdruck; eS lag Kraft, List und jener fürchterliche Zauber darin, der sonst den Klapperschlangen eigen sepn sollte. Das Zwielicht wurde dunkler, der Wind erhob sich und schüttelte die Bäume; da trat die Zigeunerin dem Samuel Parker in den Weg und sagte:Soll ich Euch Eure Zukunft ver­künden, Herr?"

Nein." fuhr Samuel mürrisch auf;doch die Eure ' will ich Euch unentgeltlich sagen. Ihr kommt auf die Tretmühle, Ihr La»dstre>cherin, und das wird Euch eine heilsame Motion sepn. Der Bankert aber hinter Euch, wenn der erst alt genug ist. wird er. Dank Eu- erm Unterrichte, eines Tages am Halse baumeln, weil er Jemande-Pferd für da» seinige angesehen oder etwa» Schlimmeres gethan hat."

Die Augen der Zigeunerin sprühten Feuer, ihr Ge­sicht glühte; ihre Lippen spalteten sich und zeigten eine Doppelreihe der Weißesten Zähne; unverständliche Laute, halb Worte, halb höhnische» Gelächter, drängten sich in ihrer Kehle, und der Woge gleich, die höher und

höher schwillt, um desto sicherer zu vernichten, schien sie ihre vollste Kraft zu sammeln. Dann brach sie plötz ich los, mit einer Stimme, die den Wmd zerriß:Böse- wicht, schlechter Bösewicht, ein harmlose« Weib uns ein säugendes Kind bedrohst Du mit den Schrcck-n de« Ge­setzes, Du. der wie ein Naubthier im Dunkeln schleicht, weil Du Dein verfluchtes Gesicht der Sonne nicht zu zeigen wagst, der Du in See gehst, nicht um für Dein Vaterland zu fechten oder Dein Brod Dir ehrlich zu verdienen, sondern um durch schlechte, feige. L>st er zu stehlen ; Du, der Du am Ufer lauerst, zitternd und be­bend, als hörtest Du in jedem Windstöße Kettengeklirr, oder der Du wie ein Maulwurf in den Eingewcidcn der Erde wühlst, damit kein ehrliche» Auge Dich erblicke !"

Parker konnte seine Wuth länger nicht zügeln. Mit einem fürchterlichen Fluche hob er de» Knoienstock und schlcuderie ihn nach dem Kopfe der Zigeunerin. Die aber wich dem Wurfe au», sprang mehrere Schritte zu­rück und ergoß sich dann in einen noch heftiger schäu­mende» Worlftrom.Feigling !" kreischte sie; ..Weiber mögen Dir zu Feinden recht sepn; doch sollst Du erfah­ren, daß Weibe» Rache schwer trifft. Ich kenne Deine heimlichen Höhlen und Löcher und Gänge; wohin die Wellen Dich auch tragen mögen, ich weiß, was Du vor hast; wohin der Mondschein dringt, da folgen meine Boten, und alle Winde sind mir dienstbar und bringen mir Kunde."

Lebhafte Gestikulation begleitete diese, in fast über­natürlichen Lauten gesprochenen Worte. Die Augen der Zigeunerin leuchteten im Halbdunkel und in schmalem Streife lag der Schaum auf ihren bleichen Lippen. ES war Gestalt und Aussehen einer Wahnsinnigen. Plötz­lich von den wilden Lauten zu tieferem, ernsterem, ein­dringlicherem Tone übergehend, fuhr sie fort:Ich kenne die Geschichte Deines Lebens ; waS Du in Deiner innersten Brust verschlossen glaubst, das kenne ich. Wie in einem Spiegel könnte ich Dein verhaßte» Selbst Dir Vorhalten; statt dessen sollst Du Deine Zukunft erfahren. Für Geld nicht, für keinerlei Lohn will ich Dir da» Schicksal nennen, das Deiner wartet. Ehe eine Woche vorüber, wird Dein Herz, schlecht und niederträchtig wie eS ist, sein Lebens- blut verströmen und die Erde ein Ungeheuer weniger haben."

Parkersland unbeweglich. Er wollte die Zigeunerin erwürgen, er konnte nicht; die Füße waren ihm in den Boden gcwurzclt. Noch sah er ihr nach, als sie längst im Gehölz verschwunden war, und immer meinte er ihre Stimme noch zu hören, bis er sich endlich über- zeugte, daß c» der Wind war, der durch die Bäume pfiff. Dann ging er nach Hause, nicht mürrischer, aber trau­riger als früher, und nur, nachdem die Branntwcinflasche im Kreise umhergegangcn und die Kameraden lustige Lieder anstimmten, vergaß er den Vorfall mit der Zi­geunerin.

Am folgenden Tage stachen die Schmuggler in See und fünf Tage später erschien ein Lugger zwei oder drei