Durchgangsbahn ohne Durchgang Zur Verkehrsgeografie der Calwer Schwarzwaldbahn Hans-Joachim Knupfer, Leonberg "Wenn es richtig ist, dass nur die Eisenbahnen gut rentiren, die mit alten Römerstraßen zusammenfallen, dann darf diese Linie sich wenig Hoffnung auf Rentabi­lität machen": So führte Oscar Fraas anno 1880 zwar seine Beschreibung der Nagoldtalbahn an, die heute unter dem etwas missverständlichen BegriffKultur­bahn zwischen Horb, Calw und Pforzheim vermarktet wird(unter dem Produktname Kulturbahn werden an­derswo Theaterzüge und dergleichen vermarktet). Doch sinngemäß darf man Fraas' Zitat auch auf die benach­barte Schwarzwaldbahn Stuttgart Calw anwenden. Eine Römerstraße führte nämlich von Stuttgart über Leonberg in Richtung Pforzheim, aber nicht nach Calw. Die Schwarzwaldbahn überquert von Zuffenhausen aus die Lößebene, um ab Ditzingen vorerst dem Glemstal inmitten der steilen Muschelkalkfelsen am Hang zu folgen, eine in Württemberg fast einmalige Trassierung selbst die felsenreiche Donautalbahn nützt üblicher­weise den Talgrund und nicht den Hang. Auch die Scheitelstrecke zwischen Weil der Stadt und Calw ist einmalig: Nirgends sonst im Land werden per Schiene auf so kurzer Luftlinie insgesamt so große Höhenunterschiede bewältigt, auch nicht bei den beiden als erstes ins Gedächtnis kommenden Mittelgebirgs­bahnen in Württemberg, der Geislinger Steige und der Zollernbahn. Allen drei gemeinsam ist ein Scheitel­punkt, Stuttgart Ulm hat mit Amstetten und Beimers­tetten sogar zwei. Die Schwäbische Alb wird von zwei weiteren Bahnen überquert, der Brenzbahn und der Gäubahn bei Spaichingen, aber beide und eigentlich auch die Geislinger Steige verlaufen über Talpässe, bei denen der Scheitelpunkt kaum in Erscheinung tritt. Nach der von der Geografin Margarete Oberreuter an­gegebenen Einteilung sind Bahnstrecken mit Neigungen zwischen 1:200 und 1:100 Hügellandbahnen, solche mit Neigungen stärker als 1:100 gelten als Gebirgs­bahnen. Fast alle Hauptstrecken in Württemberg haben jedoch eine maximale Neigung von 1:100 oder flacher. Das sind die Ausnahmen: Kinzigbahn(1886) 1:43 Geislinger Steige(1850) 1:44,5 Zollernbahn(1878) 1:45 Gäubahn(1879) zwischen Stuttgart und Hasenberg(Westbahnhof) 1:52, dann 1:60 Schwarzwaldbahn(1872) 1:60 auf kurzen Abschnitten 1:55 Tauberbahn(1869) Mergentheim Crailsheim 1:70 Remsbahn(1861) zwischen Cannstatt Fellbach 1:80(sonst 1:100) Enzbahn(1868) bei Wildbad 1:80(sonst 1:100) Die Übersicht zeigt, dass die steilste Hauptstrecke im Lande nicht die viel gerühmte Geislinger Steige ist, son­dern die Kinzigtalbahn zwischen Alpirsbach und Loß­burg. Die ununterbrochene Länge ihres Neigungsab­schnittes ist übrigens knapp zehn Kilometer lang und damit um ein Drittel länger als der der Geislinger Steige, der also zu Unrecht eine Spitzenposition unterstellt wird. Der Rekord, den längsten ohne waagerechte Un­terbrechung verlegten Steigungsabschnitt zu besitzen, kommt der Schwarzwaldbahn zwischen Calw und Alt­hengstett zu: 10,7 Kilometer geht es da"am Stück" hinauf oder hinab. Das ist wahrscheinlich sogar in ganz Deutschland einmalig. Württembergs Schwarzwaldbahn ist somit, chronologisch gesehen, zumindest die dritte und gleichzeitig auch die längste Gebirgsbahn des Landes, wenn man die definitive Länge des eigentlichen Steilabschnittes zum Maßstab macht. Geislinger Steige, Zollernbahn und Stuttgarter Gäubahn sind Hangbahnen, die ihre Richtung insgesamt stetig beibehalten. Würt­tembergs"klassische" Gebirgsbahn, die sich in Serpen­tinen den Hang hinaufschraubt, rein geografisch sozu­sagen auf der Stelle tretend, jedoch wichtige Höhenme­ter zurücklegend, ist die Calwer Schwarzwaldbahn. Die Brennerbahn in Österreich gab den Technikern das Vor­bild für sie ab. Dass Althengstett mit 511 Höhenmetern den höchstgelegenen Bahnhof in der ganzen Metropol­region Stuttgart bildet, unterstreicht den anspruchs­vollen Charakter und die Wichtigkeit einer reaktivier­ten Schwarzwaldbahn als ganzjährig wettersicherer, kalkulierbarer Verkehrsverbindung. Hinterland im Süden Dass in Calw aus heutiger Sicht zwei vom Charakter her eingleisige Hauptstrecken mit ganz unterschiedlichen Grundrichtungen T-förmig aufeinandertreffen und kein "Kreuz" bilden, ist verkehrsgeografisch"verdächtig", denn warum wurde so etwas gebaut? Zahlreiche auf­wändige Eisenbahnbauten auf kleinem Raum, für dieses Einzugsgebiet überdimensioniert erscheinend... Wer von Horb oder Pforzheim nach Stuttgart will oder umge­kehrt, fährt direkt per Gäubahn oder Hauptbahn, aber nicht via Calw"über's Eck". So bleibt der Schwarzwald­bahn statt eines überörtlichen Aufkommens nur die regionale Andienung eine Durchgangsstrecke ohne Durchgangsverkehr! Das sieht sehr nach einem"zufälli­gen" Bahnknoten aus, weniger verkehrlich als chronolo­gisch begründet. Um nochmals Oberreuter zu zitieren: Die Schwarzwaldbahn"wurde als Hauptbahn gebaut, weil damals über den Bau von Nebenbahnen noch keine gesetzliche Regelung getroffen war". Doch schon Oscar Jakob wies 1895 ausdrücklich darauf hin, dass entgegen der ersten Planung dann der zu erwartende Holztrans­port"durch mäßige Steigungen und größere Krümmun­7