355

Da kam auf hohem Rotz ein Reitersmann des Wegs daher. Der fragte ihn freundlich, was ihm denn fehle, daß er so weine. Da erzählte ihm der Alte alles, was geschehen war. Der Ritter aber bekleidete ihn mit seinem eigenen Mantel, setzte den Zitternden, der nicht mehr ge­hen konnte, auf sein Pferd und führte es am Zaum den Berg empor. Es war schon dunkel und keiner war mehr zu erkennen. Der Ritter pochte ans Tor, das schon geschlossen war, und bat um Herberge für sich und den Alten. Der Diener riet ihnen, sie sollten weiterziehen, damit ihnen kein Unheil widerfahre. Der Ritter aber wünschte den Schloß- Herrn zu sprechen. Der kam und fragte barsch nach ihrem Begehr.Wir suchen Herberg für eine Nacht", war die Antwort. Da schrie der Zwerg: Marsch fort, Gesindel, elendes Bettelvolk, oder ich Hetze die Hunde auf Euch!" Jetzt erkannte der Ritter, wie wahr der Bettler gesprochen. Heißer Zorn übermannte ihn, er packte den Höckerigen, band ihm Hände und Füße und henkte ihn auf am Sattelknops seines Pferdes. Da ist der Zwerg, fluchend und zappelnd, eines elendiglichen Todes ge­storben. In diesem Augenblick ertönte lauter schauerlicher Gesang aus der Tiefe, der dauerte eine geraume Zeit, während dessen es war. als brauste das wilde Heer der Hölle über den Hof hin, und als man sich umsah, da war der Leichnam verschwunden. Die Diener aber, die ihren Herrn zuvor hatten beschützen wollen und von des Ritters Schwert zurückgescheucht worden waren, standen starr vor Entsetzen. Da trat dieser in den Schein einer Fackel und gab sich als der Bruder des Toten zu erkennen.

Noch am selbigen Abend stieg der neue Schloßherr zum Keller hin­ab. Da fand er einen Haufen Goldes, das der habgierige Zwerg aus dem Gestein und Sand des Flusses ausgeschmolzen hatte.Ha", rief der Riese, führt dieser Fluß Gold mit sich, so soll erNagold" heißen. Den Schatz aber wollen wir Gotte weihen, damit er geheiligt werde. So will ich ein Kirchlein davon stiften an der Stelle der Steige, da ich den Bettler gefunden. Eine Zuflucht soll sie sein jedem Pilger und eine Gabe soll liegen im Eotteskasten für jeden Bedürftigen. Freies Kirchspiel­gericht gelobe ich den Bürgern der Stadt." So ward die Kirche ge­baut, die in alter Zeit unterhalb des Schlaffes gestanden hatte. Der schauerliche Gesang aus der Tiefe aber sei später noch manchmal ge­hört worden, immer wenn ein schweres Unglück, Krieg, Pest oder Hungersnot, das deutsche Land bedrohte, so vor dem Bauernkrieg und vor dem dreißigjährigen Krieg und ehe der fremde Kaiser vom Westen her die Welt eroberte.

Das Lichtlein auf dem St. Annaberg

Früher soll oft am Hällesberg und Annaberg ein rotes Licht oder, nach anderen, eine Feuerflamme gesehen worden sein. Es heißt, im Kloster auf dem St. Annaberg sei eine Nonne lebendig eingemauert worden und die habe sich als Licht oder Flamme gezeigt, noch lange, nachdem das Kloster abgebrannt war.

Eine andere Sage erklärt das Lichtlein anders. Da sei ein Edel­fräulein auf der Burg zu Altensteig gewesen, eine Braut. Die habe

23 *