Die Aufnahmeurkunde sicherte den Waldensern viele Freiheiten und Vorrechte zu. Sie durften nach dem reformierten Kirchenbrauche leben und halten das Recht, Schultheiß, Pfarrer und Lehrer selbst zu wählen. Die Guter wurden ihnen „zu einem puren Geschenk" überlasten. In den ersten 15 Jahren hatten sie keinerlei Steuern und Abgaben zu bezahle». Von aller Leibeigenschaft sollten sie und ihre Kinder frei sein. 1726 wurde die Markung von Neuhengstell mit Grenzsteinen „vermarkt". Als arme Leute kamen die Bewohner NeuhengstettS, und trotz allen Vorrechten und allem Fleiß blieben sie es. Die Markung war zu klein und zudem unfruchtbar; der kalte Lettenbodcn, eine Verwitterung des unteren Muschelkalks, liefert nur magere Erträge; die Äcker erhielten eine schwache Düngung, denn das wenige Vieh, das die Waldenser besaßen, wurde aus Mangel an Futter in den Wald getrieben. Im 18. Jahrhundert fanden die Neuhengstetter in den Betrieben der Ealwer Zeughandlungskompagnie einigen Verdienst. Keller schrieb: „Ohne das Wollespinnen in den Ealwer Fabriken müßte die Neuhengstctter Kolonie bei dem schlechten Boden, den sie hat, wieder auswandern". Nach der Auflösung der Ealwer Zeughandlungskompagnie wurde die Strumpfwirkerei in Neuhengsiett betrieben, später aber wieder eingestellt. Auch die Arbeiter der zahlreichen Gerbereien in Calw waren meistens Neuhengstetter. In Anbetracht ihrer mißlichen Lage erhielten die Neuhengstetter von Holland und England lange Zeit ansehnliche Hilssgelder. Der Dreißigjährige Krieg harte einen großen Teil der Acker in herrenlose Öde verwandelt. Auf den Markungen von Simmozheim und Altheng- ftett scheint dres ganz besonders der Fall gewesen zu sein. Dies war der Grund, warum die Waldenser gerade auf den beiden Markungen ihren Plan angewiesen bekamen. Als die Bevölkerung zunakm, wurden die Ddflächen wieder bester ausgenützt. Die Althengstetter und die Simmozheimer'beklagten ihren Verlust und führten lange Prozesse um Wcidgerechtigkeiten uno Steuern. So klagt 1722 Ait- hengstett: „Die Neuhengstetter haben die Weidenutzung, und wir müsten die Steuern von einem Gebiet bezahlen, das uns gar nimmer gehört." Schließlich erreichten die beiden Nachbargemeinden nach fast 52jäbrigem Streite, daß ihnen Neuhengstett 1746 über 1222 Gulden nachbezahlen mußte. Doch wurde dem Dorfe Ratenzahlung gestattet und der Amtsschaten erlassen. Althenqstett gab sich noch nicht zufrieden und beklagte sich über die verlorenen 24Z Morgen Weibe und 262 Morgen Wald.
Ursprünglich hatten die Waldenser das Recht, deutschen Familien den Zuzug in ihr Dorf zu verbieten. Spater machten sie keinen Gebrauch mehr von diesen Bestimmungen, und bald kam es zu Heiraten zwischen Waldensern und Deutschen, so daß es heutzutage kaum noch eine Familie gibt, in deren Adern rein waldensisches Blut fließt. Bis zum Jahre 1826 konnten die Waldenser ihre bürgerlichen und kirchlichen Angelegenheiten nach ihrem Belieben regeln, sie bildeten sozusagen kleine Republiken innerhalb des Herzogtums. 1826 hob König Friedrich ihre bürgerlichen Vorrechte auf, I82o verloren sie auch ihre kirchliche Selbständigkeit. Sie schloffen sich unter Beibehaltung ihrer reformierten Gebräuche der evangelischlutherischen Landeskirche an und gaben die französische Sprache auf.