der Kirche und der Familie in Betracht kämen. Jedenfalls dürften wir die Erziehung unserer Kinder dem Staate nicht opfern, sonst kommen wir dahin, was die Sozialdemokratie anstrebe. Was die geistliche Schulaufsicht anbelangt, so liege kein Bedürfnis vor, sie aufzugebcn. Auch hier heiße es: »tznists. non movere". An die allgemeine Debatte reihten sich dann noch persönliche Bemerkungen der Abgg. v. Gült­lingen, Schnaidt und Gröber, die auch zum Teil eine große Schärfe atmeten. Gegenüber den gestrigen Bemerkungen des letztgenannten Abgeordneten, die sich sowohl gegen den Mi­nister als die Oberschulbehörde richteten, nahm der Präsident v. Hohl heute noch Anlaß, nachdem er sich die Stenogramme hatte vorlegcn lassen, sein Bedauern auszudrücken. Der Minister v. Sarwcy verteidigte seinerseits noch die Oberschul­behörde und ging auch mit dem Abg. v. Gültlingen ziemlich scharf ins Gericht. Bei der Abstimmung über den Art. 1 der Vorlage nahm die Kammer, unter Ablehnung der übrigen Anträge, mit 57 gegen 26 Stimmen die fakultative Einführung der Ortsschulinspektion durch Nichtgeistliche in Gemeinden mit mehr als 25 Volksschulklassen einer Konfession an. In der Minorität befanden sich geschlossen die katholischen Mit­glieder der Kammer mit Ausnahme der beiden Minister v. Mittnacht und v. Schmid, die für die Regierungsvorlage stimmte». Von protestantischen Abgeordneten stimmten drei gegen die Vorlage, und zwar Graf Adelmann, Frhr. v. Gültlingen und Prälat v. Walcker. In der heutigen Nach­mittagssitzung nahm man sodann anstandslos die übrigen Artikel des Entwurfs an und bei der Schlußabstimmung stimmten 55 Abgeordnete mit Ja und 23 mit Nein. Der Landtag wird erst am 30. d. Mts. geschlossen werden, da die Geschäfte sich nicht bis zum 27. d. Mts. erledigen lassen.

Stuttgart, 22. Mai. Heute morgen hat sich der Redakteur desBeobachters", Max Spangen- bcrg, aus dem Fenster seiner im dritten Stock be- legenen Wohnung herausgestürzt. Der herbeigerufene Arzt hatte die Ueberführung ins Katharinenhospital angeordnct, doch starb der Verunglückte noch ehe dieselbe zur Ausführung gebracht werden konnte. Redakteur Spangenberg, ein Mann in den dreißiger Jahren, verheiratet und Vater zweier Kinder, litt seit längerer Zeit an Melancholie.

Stuttgart, 22. Mai. Der erschütternde Tod des Redakteurs desBeobachters" Max Spanaen- berg, hat in den weitesten Kreisen ausrichtige Teil­nahme gefunden. Spangcnberg war früher ständiger Korrespondent derFranks. Ztg." in Darmstadt und Berlin. Während seines kurzen Aufenthalts in Stutt­gart wußte xr unter seinen Parteigenossen sich die größte Achtung zu erwerben; seine journalistischen Arbeiten wurden namentlich wegen der sachlichen und nicht in subjektiven Angriffen gipfelnden Polemik bei Freund und Feind geschätzt. Wie in der Landes­versammlung der Volkspartei mitgeteilt wurde, hat derBeobachter" unter der Leitung Spangenbergs einen Aufschwung genommen. Seit mehreren Wochen hatte er sich wegen eines nervösen Leidens beurlau­ben lassen und da sich an ihm unzweifelhaft Spuren von Schwermut zeigten, so ist seine That als die eines Geistesgestörten zu betrachten.

Großes Aufsehen erregt die eben bei Robert Lutz in Stuttgart herausgegebene neue Brochüre des früheren Hauptmanns Edmund Miller. Sie führt den etwas absonderlichen Titel:An die deutschen Bundessürsten, an die deutsche Armee, an das gesamte deutsche Volk! Ein Aufschrei mißhan­delter Soldaten deutscher Landeskinder", und be­handelt das Kapitel der Mißhandlungen nach ver­schiedenen Richtungen.

Stuttgart. Wie man hört, hat die tierarz- i-eilichc Hochschule in Stuttgart Strafklage wegen Beleidigung gegen die Redaktion der sozialdemokra- lffcheuSchwäbischen Tagwacht" erhoben, weil in d esem Blatte neulich die Zöglinge der Tierarznei- s.üule alsViehstndenten" bezeichnet worden sind, dl ns den Ausgang dieses Prozesses darf man ge­spannt sein.

Bruchsal, 21. Mai. In Folge einer im Spät­jahr vorgenommenen Besichtigung durch das Kom­mando der hiesigen Freiwilligen Feuerwehr'an den hervorragendsten, insbesondere den staatlichen (Straf­anstalten und Schloßgebäude) wurde die Anschaffung einer zweiten 18 Meter hohen Leiter als notwendig erachtet. Im vorigen Monat wurde nun die von I. G. Lieb in Biberach (Württemberg) erbaute und vor einigen Tagen gelieferte sogen. Balance-Leiter cn:er gründlichen Prüfung, wozu auch die Mitglieder der Löschdirektion zur Anwohnung eingeladen waren, n kerzogen, welche in allen Teilen zur besten Zufrie­denheit aussiel. Wir wollen als Hauptsache nur hervorhcben, daß sich bei der Gesamtbelastung mit 5 !>; Kilog. nur eine Neigung von 10 Centimtr. ergab. D:e vorzüglichsten Dienste, welche freistehende Leitern sv.aohl beim Lösch- als beim Rettungsdienst der F.uerwchr zu leisten geeignet sind und vielfach ge­leitet haben, sind längst allgemein anerkannt. Zu

Rettungsmanövern ist namentlich die fahrbare Leiter rascher hilfsbereit als eine gewöhnliche Leiter und bietet ungleich mehr Sicherheit als jene. Selbst bei den schwierigsten örtlichen Lagen wird mit ihr erfolg­reiche Hilfe gebracht. Die mechanische Leiter kann, weil sie verschiebbar ist und in jeder Höhe festgestellt werden kann, auch an jedem Gebäude, wo ein Brand ausbricht, in Thätigkeit treten. Bei Rettungsmaß­regeln kann dieselbe durch ihren Neigungsmechanis­mus nach links und rechts balancirt, bezw. geneigt werden, enge Gassen, unebene Bodenfläche bieten keine Schwierigkeit. Das hiesige Feuerlöschwesen ist durch dieses Lösch- und Rettungsgerät vorteilhaft ergänzt worden. Dem Kommando und Verwaltungs­rat der hiesigen Feuerwehr, welcher sich die Hebung und Förderung des Feuerlöschwesens so erfolgreich angelegen sein läßt, insbesondere aber auch dem Erbauer der vorzüglichen Leiter, Herrn I. G. Lieb in Biberach, sei der beste Dank ausgesprochen.

Die in Mannheim tagende allgemeine deutsche Lehrer-Versammlung hat zum Arbeiterschutz-Gesetz folgende Resolution gefaßt: Die Versammlung begrüßt die von der Reichsgesetzgebung beschlossene Befreiung der schulpflichtigen Jugend von der Arbeit in Fabriken mit lebhafter Befriedigung, sie hält aber eine Aus­dehnung dieses Schutzes der Kinder auch auf andere gewerbliche Ausnützung für erforderlich. Die Ver­sammlung begrüßt die reichsgesetzliche Zulassung der Fortbildungsschule und die Verpflichtung der Heran­wachsenden Jugend zum Besuch derselben, auf Grund von Beschlüssen der Gemeinden und größeren Kor­porationen mit Freuden. Sie richtet aber nun an die Schul- und Gemeindebehörden die dringende Bitte, der weiteren Ausdehnung des Schulunterrichts ihre thatkräftige Unterstützung zu leihen."

Am Mittwoch ist in München die 41. Ver­sammlung der deutschen Philologen und Schulmänner in Gegenwart des Prinzen Rupprecht und der Spitzen der Behörden eröffnet worden. Die Versammlung war von etwa 700 Mitgliedern besucht.

Die Dresdener Buchdruckergehilfen haben nach derFrkf. Ztg." in Rücksicht auf den Streik der Wiener Buchdruckergehilfen beschlossen, die Aus­führung von nach Dresden gegebenen Wiener Druck­aufträgen zu verweigern. Der Wiener Streik nimmt übrigens stark ab.

Magdeburg, 21. Mai. Der Ende voriger Woche hier verstorbene Rentner Karl Schulze hat unsere Stadtgemeinde zur Universalerbin seines be­deutenden Vermögens eingesetzt, welches dem Ver­nehmen nach eine Million Mark übersteigt.

Das erste deutsche Sängerfest, welches an den Pfingsttagen in Straßburg abgehalten worden ist, hat nicht nur in künstlerischer Beziehung einen groß­artigen Verlauf genommen, sondern auch der poli­tische Endzweck, das Band zwischen Einheimischen und Eingewanderten durch die Macht des deutschen Liedes enger zu knüpfen, ist voll und ganz erreicht worden. Es ist dies ein Erfolg, über den sich jeder Deutsche aufrichtig freuen darf und hoffentlich werden die von 3 zu 3 Jahren stattfindenden Wiederholungen der Säugerfeste stets dieselben Wirkungen erzielen. Unter den festlichen Veranstaltungen sind noch be­sonders der imposante Festzug und die wahrhaft großartige Huldigung vor dem Statthalter hervor­zuheben. Den ersten Preis für Kunstgesang hat der Männergesangverein Metz errungen.

Major v. Wißmann ist wieder in Deutschland eingetroffen. Vor seiner Abreise aus Zanzibar sind ihm von den Deutschen daselbst, wie von den Of­fizieren der von ihm errichteten Schutztruppe sehr wertvolle Geschenke dargebracht worden.

Berlin. In Lehrerkreisen hat die Verfügung des preußischen Kultusministers, in welcher die Be­willigung eines allgemeinen Urlaubs für die Lehrer- Konferenz abgelehnt wird, Mißstimmung erregt, die sich insbesondere gegen die Begründung richtet, daß die Störung des Unterrichtsbetriebes vermieden werden könnte, wenn die Lehrer ihre Versammlungen in die gemeinsame Ferienzeit legten. Es wird hierzu aus Lehrerkreisen geschrieben:Der Wunsch des Ministers, die Versammlungen in die Ferien zu verlegen, um jede Störung des Unterrichtsbetriebes zu vermeiden, wird von den Lehrervereinen geteilt. Die Provinzial- Versammlungen werden deswegen auch ausnahmslos zu einer Zeit abgehalten, wo wenigstens der über­wiegende Teil der Lehrer Ferien hat.

Laut einer Zuschrift an dieWeser-Ztg." aus

Hannover findet das Gerücht, daß Herr v. Ben­nigsen zum Nachfolger des Staatssekretärs von Bötticher ausersehen sei, jetzt in weitesten Kreisen Glauben. Wie dieHamb. Nachr." melden, ist als Maybachs Nachfolger Eisenbahnpräsident Thie­len in Hannover bereits ernannt.

Am Sonntag, den 31. Mai, werden in Berlin Vertreter der nationalliberalen Partei aus ganz Deutschland zusammentreten, um die Stellung der Partei zu den wichtigsten Fragen unseres öffentlichen Lebens zu erörtern. Die Hauptrede wird Herr von Bennigsen halten, der im Entwerfen von Situations­bildern ein unübertroffener Meister ist und auf dessen Darlegungen man mit Recht gespannt sein darf.

Berlin, 20. Mai. Der preußischen Armee ist vom 1. Juni wiederum eine Anzahl türkischer Offi­ziere zur Dienstleistung überwiesen. Dieselben sind, obgleich sie in ihrer Heimat zum Teil schon die Charge eines Colassi bezw. Hauptmanns bekleidet haben, sämtlich als Sekonde-Lieutenauts u 1u auits der Armee angestellt und gleichzeitig einzelnen Trup­penteilen, deren Uniform sie zu tragen haben, zur Dienstleistung überwiesen.

Endlich haben dieHamburger Nachrichten" das Wort ergriffen, um sich von jeder Gemeinschaft von jener berüchtigten Broschüre, in welcher an der öster­reichisch-ungarischen Armee kein gutes Haar gelassen wird, loszusagen. Der Moniteur von Friedrichsruhe wendet sich dabei mit großer Schärfe gegen jene Leute, deren Haß gegen den Begründer des Deut­schen Reiches so groß ist,daß sie jede Veröffent­lichung, die ihnen zur Schädigung seines Rufes ge­eignet erscheint, ihm ohne Weiters in die Schuhe schieben, unbekümmert darum, ob sie durch die offen zu Tage liegende Unsinnigkeit der Unterstellung ihr Urteil und ihre Ehrlichkeit aufs schwerste kompro­mittieren." Der Verfasser jener Schrift ist ein Herr v. Levctzow, der früher in Schleswig diente, später österreichischer Offizier wurde, aber bald seinen Ab­schied erhielt. Cr soll sie aus Rache geschrieben haben.

Der in der Schweiz verstorbene Rentier Heinrich Schmilinsky setzte seiner Vaterstadt Hamburg als Universalerbin seines Vermögens von etwa 5 000 000 -/A für Wohlthätigkeitszwecke ein.

Defterreich-Angarn.

Am Donnerstag begannen in Wien die Unter­handlungen zwischen den Delegierten Deutschlands, Oesterreich-Ungarns und der Schweiz über den Ab­schluß eines Handelsvertrages. Die bedeutungsvolle Wendung, die in unserer Zollpolitik eingetreten ist, wird durch dieses Haudiuhandgehen der beiden Kaiserreiche und überdies durch die Thatsache, daß zum Ort der Verhandlungen die österreichische Haupt­stadt bestimmt worden ist, vor aller Welt bekundet. Die Verhandlungen sollen mit thunlichstcr Beschleu­nigung geführt und darauf sofort in Handelsvertrags- Verhandlungen mit Italien und dann mit Belgien eingetreteu werden. Fürst Bismarck ist zwar nicht im Zweifel darüber, daß der deutsch-österreichische Handelsvertrag vom Reichstag angenommen wird, aber dies wird ihn, wie aus einer Erklärung seines Leiborgans hervorgeht, nicht hindern, nach seiner Ueberzeugung zu handeln und in die Reichstags­verhandlungen einzugreifen. Der Altreichskanzler würde jedenfalls gut thun, seine Kräfte für andere Dinge aufzusparen, meint die Hildb. Dorfztg.

Wien, 20. Mai. Der Weltpostkongreß ist heute Mittag vom Handelsminister Marquis v. Bacquehem mit einer Anjprache eröffnet worden. Der deutsche Vertreter, Staatssekretär v. Stephan, dankte namens der Versammlung für den herzlichen Empfang und bemerkte, das Werk des Weltpostvereins sei ein Werk des Friedens und der Gesittung.

Belgien.

Im Kohlenbecken von Lüttich, abgesehen von Seraing, gilt der Streik als vollständig beendigt, dagegen sind im Kohlenbecken von Charleroi am Mittwoch noch etwa 29 000 Mann ausständig ge­wesen. Man nimmt jedoch an, daß der Streik auch hier nicht mehr lange sortdauern wird.

In Verviers sind in der Freitagsnacht in einem Eisenbahnwagen 8 Pferde verbrannt. Sie gehörten zu dem Zirkus Corradini, welcher sich nach Luxemburg begeben wollte.

Serbien.

Die Königin Natalie von Serbien, deren Name gegenwärtig wieder in Aller Munde, schildert