Calw, 9. Febr. Gestern Sonntag, nachm. 3 Uhr, hielt Prof. Thoma aus Karlsruhe im Saale desBadischen Hofes" hier einen Vortrag über Versäumnisse und Aufgaben des Protestantismus in der Gegenwart, wozu der Vorstand des hiesigen Zweigvereins des evang. Bundes eingeladen hatte. Redner schilderte zunächst die Gefahren, welche un­serem ev. Volksleben erstehen aus dem Sozialismus und aus dem Ultramontanismus. Dabei steht unsere ev. Kirche machtlos da. Obgleich zwei Drittel un- serer Bevölkerung Protestanten sind, ist im Reichstag dank unserer Üneigennützigkeit das Zentrum die herrschende Partei. Unseren Landesbischöfen sind zum Teil die Hände gebunden, weil sie zugleich eben auch Regenten paritätischer Staaten sind. Die ein- zelnen ev. Landeskirchen stehen scharf getrennt neben einander ohne allen Zusammenhang. Aber es liegt in unserem ev. Volke doch eine große Kraft, welche im allgemeinen Priestertum, in der ev. Gemeinde und in der ev. Familie ruht. Redner deckte die Versäumnisse, welche in diesen Gebieten noch liegen, auf und bezeichnete die Aufgaben, welche den oben genannten Gefahren gegenüber erstehen. In begei­sterten Worten wies er noch auf das Ideal einer allgemeinen deutsch-evangelischen Kirche hin, welche der evangelische Bund nach Kräften wenigstens an­zustreben sucht.

Brandfall: Am 8. Febr. in Isenburg (Horb) dieobere Mühle."

Stuttgart, 6. Febr. Die Bewegung gegen die Aushebung des Jesuitengesetzes ist in Württemberg, soweit sie äußerlich durch Unrerzeichnen und Absenden von Petitionen an den Reichstag zum Ausdruck ge­langt ist, nunmehr abgeschlossen. Dieselbe hat, wie dieMitteilungen des Landesvereins des Evangel. Bundes in Württemberg" berichten, einen weit grö­ßeren Umfang gewonnen, als anfänglich erwartet und gehofft worden ist. Aus nahezu 800 Orten sind über 123 000 Unterschriften gesammelt und an den Reichstag abgeschickt worden.

Stuttgart, 8. Febr. Die beiden Oberschul­behörden des evangelischen Konsistoriums und der katholische Kirchenrat haben glaubwürdigem Verneh­men zufolge sich dahin verständigt, den Volksschul­lehrern des Landes eine von diesen längst gewünschte Erleichterung bezüglich der Konferenzaussätze zu ge­währen. Hienach sollen schon von diesem Frühjahr ab diejenigen Lehrer, welche wenigstens das 40. Le­bensjahr erreicht haben, von der Verpflichtung zur Lieferung von Konferenzaufsätzen ganz befreit und die übrigen Lehrer uur noch jährlich zu einem Auf­satz verpflichtet werden. Bisher mußten alle Volks­schullehrer. welche das 50. Lebensjahr noch nicht erreicht hatten, jährlich 2 (in früheren Zeiten sogar 4) Konferenzaufsätze liefern.

Ulm, 10. Febr. DerUlmer Ztg." zufolge hat der frühere Hauptmann Miller, z. Z. in Zürich, gegen das ihn zu 150 ^ Geldstrafe verurteilende Erkenntnis des Stuttgarter Schöffengerichts (wegen Beleidigung der Generalin v. Schwartzkoppen) Be­rufung eingelegt.

Berlin. Es läuft hier das Gerücht um. der kaiserliche Statthalter Fürst von Hohenlohe habe dem Kaiser sein Entlassungsgesuch unterbreitet, da zwischen ihm und dem Reichskanzler Uneinigkeit über die im Reichslande zu befolgende Politik be­steht. (??)

Bei dem Rücktritt des Grafen Waldersee sollen auch Differenzen mit dem Reichskanzler in Betracht gekommen sein. Graf Waldersce hat, wie es heißt, von den bei den Botschaften beglaubigten Militär-Attaches nicht blos militärische, sondern auch Berichte über die politischen Angelegenheiten der ver­schiedenen Länder empfangen. Diese politischen Be­richte hat der Chef des Generalstabes für sich be­halten und von dem Inhalte desselben dem Reichs­kanzler keine Meldung gemacht. Gegen diesen Zu­stand hat Herr v. Crispi wiederholt Einspruch er­hoben, indem er die alleinige Kontrolle über die po­litischen Angelegenheiten fremder Länder für sich in Anspruch nahm, während Waldersee behauptete, seine militärischeu Dispositionen nur auf Grund der ge­nauen Kenntnis der politischen Verhältnisse der Nachbarstaaten treffen zu können. Ueber diese Mei­nungsverschiedenheit konnten sich beide Herren nicht einigen und dies war einer der Gründe, daß Graf Waldersee von seinem Posten enthoben wurde.

Die Ernennung des Grafen Alfred Schließen wird in Generalstabskreisen, wie aus Berlin versichert

wird, mit lebhafter Befriedigung ausgenommen. Gra ' Schlieffen, seit neun Jahren die rechte Hand deS Grafen Waldersee, ein Mann von unermüdlicher Arbeitskraft und ungewöhnlichen Kenntnissen, gilt kür einen Strategen ersten Ranges. Als Komman­deur des 1. Garde-Ulanen-Regiments zu Potsdam ist er in die besten persönlichen Beziehungen zum jetzigen Kaiser getreten. Graf Schlieffen ist ein stil­ler. ernster Mann, der vor allem seinem Beruf lebt.

Nach dem kommandierenden General des 9. Armeekorps hat nun auch der Kommandeur der 18. Division in Flensburg, Generallieutenant v. Scherfs, seinen Abschied erbeten und erhalten. Das Scheiden dieses hochbegabten Offiziers, dessen Schriften über die moderne Kriegsführung speziell in Frankreich Aufsehen erregt haben, wird mit dem Rücktritt des Generals v. Leszczinsky in Verbindung gebracht.

Berlin, 6. Febr. Der frühere Sultan vom Witu, Fumo Bakari, ist an Gift gestorben, welches sein Bruder ihm aus Rachsucht beibrachte.

Deutscher Reichstag. (Sonnabendsitzung.) Eine Anzahl von Petitionen wird als zur Erörterung im Plenum für ungeeignet erklärt. Es folgt darauf die erste Beratung des Gesetzentwurfs, betr. die Abänderung des Branntwcin- steuergesctzes. Staatssekretär v. Maltzahn erklärt, daß es sich hier nicht um Aenderung der grundlegenden Bestimmungen handle, sondern nur um Beseitigung verschiedener Schwierig­keiten und Erfüllung berechtigter Wünsche. Abg. Buch (Ctr,) verwendet sich im Interesse der kleinen süddeutschen Brannt­weinbrenner f. d. Steuerbefreiung d. Haustrnnkes. Staatssekret, v. Maltzahn erwidert, daß die Erfüllung dieses Gesuchs einen erheblichen finanziellen Ausfall herbeiführen werde. Abg. Holtz (freikous.) spricht seine Befriedigung darüber aus, daß an den grundlegenden Bestimmungen des Branntwcinsteuer- gesctzes festgehalten werde und ist im Ganzen mit dem Ent­wurf einverstanden. Abg. Dr. Barth (freis.) bekämpft die ganze Branntweinsteuergesetzgebung, von welcher nur die Großbrennereien Vorteil hätten und kündigt umfassende Ab­änderungen für die Kommissionsberaiung. Abg. Buhl (natlib.) meint, daß sich bei der Ausführung des Branntweinsteuer- gesctzes Härten ergeben hätten, die thunlichst beseitigt werden müßten. Abg. Zorn von Bulach (Elf.) tritt im Interesse der reichsländischen Brennereien für Steuerbefreiung des Haustrunkes ein. Abg. Wurm (Soz.) behauptet, daß mit der Branntweinsteuer nur die großen Brenner auf Kosten der Arbeiter reich gemacht würden und will von dem ganzen Gesetz nichts wissen. Die Landwirtschaft haben hiervon so gut wie gar keinen Vorteil. Abg. Windthorst erwidert, das Branntwcinstcuergesetz berücksichtige wichtige Erwerbsintercssen und gereiche auÄ besonders den landwirtschaftl. Arbeitern zum Nutzen. Ueber ländliche Verhältnisse könne die Sozial­demokratie gar nicht eintrcten. Davon verstehe sie nichts. Abg. Menzer (kons.) ist für die Vorlage, ebenso Abg. Dr. Löffel (freikous.); Abg. Brömel (freis.) betont ebenfalls, daß die Branntweinsteuer nur den großen Grundbesitzern Vorteil bringe. Die Vorlage wird einer Kommission von Mitgliedern zur Spezialberatung überwiesen.

Berlin, 9. Febr. Die Krankenkassenkommission des Reichstags hat beschlossen, daß die in den Ge­schäftsbetrieben der Krankenkassen, Berufsgenossen­schaften und Versicherungsanstalten beschäftigten Per­sonen versicherungspflichtig sein sollen.

Allen nichtkatholischen Mitgliedern des preußischen Abgeordnetenhauses ist jetzt eine Zuschrift, die Un­terschriften aus allen preußischen Provinzen trägt, zugeschickt worden. In derselben wird unter Hin­weis auf die große Erregung, die die Sperrgelder­vorlage im preußischen Volk hervorgerufen hat, deren Ablehnung gefordert.

Dessau, 5. Febr. Der Hofbankier Kaiser Wil­helms I., Baron v. CLhn, hat beim Herzog von Anhalt und dem Magistrat der Stadt Dessau die Genehmigung nachgesucht, auf seine eigenen Kosten dem Kaiser Wilhelm I. in Dessau ein Denkmal setzen zu dürfen, Baron v. Cohn hat dabei versichert, daß ihm für den gedachten Zweck keine Summe zu hoch sein würde.

Wie aus Gelsenkirchen geschrieben wird, ist die Ursache der Katastrophe auf der Zeche Hi- bernia jetzt aufgeklärt. Sie ist durch verbotswidriges Schießen eines Bergmanns erfolgt. Der Bergmann war davor gewarnt worden, den Schuß loszubren­nen. Er selbst hat drei Tage unter den furchtbar­sten Schmerzen gelegen, bis der Tod ihn erlöste.

Berlin, 9. Febr. Nach Londoner Nachrichten aus Sansibar ist Major v. Wißmann mit den Ein­geborenen von Masindi unweit des Kilimandscharo im Kampfe begriffen.

Bielefeld, 7. Febr. Am letzten Sonntag wur­den in den hiesigen Kirchen die Namen Derjenigen von den Kanzeln verlesen, welche aus sozialdemokra­tischen Motiven ihren Austritt aus der Landeskirche angezeigt hatten. Es waren im Ganzen 26 Perso­nen, darunter mehrere Frauen. An die Veröffent­lichung der Namen knüpfte sich die Bekanntmachung, daß die Genannten in Zukunft nicht als Taufpaten

fungieren könnten, und sodann eine Verwarnung an die Gemeinde, der Landeskirche treu zu bleiben. Bei dem Namen eines jungen Handwerkers stieß plötzlich eine alte Frau, anscheinend seine Mutter, einen Schrei aus und mußte ohnmächtig aus der Kirche getrogen werden.

Schwei).

Laut amtlicher Meldung des Gemeinderats in Rüti (Kanton Glarus) über das Lawinenunglück sind nicht 22, sondern nur 6 Mann verschüttet wor­den; 4 wurden tot aufgefunden, einer lebend, doch stark verwundet; der 6. ist noch nicht aufgefunden.

Befterreich-Ungarn.

Eine wichtige politische Thatsache ist in Wien eingetreten, welche eine Schwenkung der gesamten Regierungspolitik bedeutet. Der erbittertste, unver­söhnlichste Gegner der deutschen Parlamentsparteien im Ministerium Taaffe war der Finanzminister von Duwajewski, ein gewandter und fähiger Politiker, aber auch ein Deutschenfeind, wie kaum ein schlim­merer zu denken ist. Und dabei schien er felsenfest zu stehen. Aber auch ihm ist ein Stärkerer über den Kopf gekommen, Kaiser Franz Josef, wie der Ministerpräsident Graf Taaffe haben eingesehen, daß die Dinge nicht so weiter gehen könnten und eines schönen Morgens hatte der Herr Finanzminister sei­nen Abschied. Sein Nachfolger, Geh. Rat Dr. Steinbach, ist kein ausgesprochener Parteimann und steht den Deutschen sehr sympatisch gegenüber. Der Ministerwechsel wird deshalb in allen deutschen Zei­tungen Oesterreichs mit großer Genugthuung begrüßt. Rückwärtsschraubeu läßt sich kein Staat, auch Oester­reich-Ungarn nicht.

Der Fürst-Erzbischof von Wien, Dr. Gruscha, hat Anlaß genommen, dem Klerus seiner Diözese seinen Wunsch bekannt zu geben, daß sich derselbe von der antisemitischen Agitation fernhalten möge.

Frankreich.

Paris, 5. Febr. In der gestrigen Sitzung der Elektriker Frankreichs berichtete de Meritens über ein neues Verfahren, durch welches man mit Hilfe einer einfachen Voltaischen Säule elektrisches Licht erzeugen kann. Wenn sich die Erfindung bewähren ollte, so wäre damit das Problem billigeren elektri­schen Lichtes und billiger Kraftmaschinen für das Kleingewerbe gelöst.

In Paris ist ein Belgier, namens Theißen, als Spion verhaftet worden. Derselbe soll vor Untersuchungsrichter gestanden haben, daß er an die deutsche Regierung Berichte über den Effektivstaud der französischen' Armee geliefert und Pläne ausge­nommen habe. Seine Briefe seien durch den Kon­dukteur eines Schlafwagens nach Köln befördert worden. Es sind noch zwei weitere Personen als Mitschuldige Theißens verhaftet, aber alsbald wieder reigelassen worden.

Italien.

R o m, 9. Febr. Dre Organe Crispis,Riforma" und Popolo Romano greifen das Ministerium Ru- dini in heftiger Weise an. Die piemontesische Gruppe, die 60 Abgeordnete zählt, ist gleichfalls unzufrieden.

Rom. 9. Febr. 300 Abgeordnete sagten Ru- dini ihre Unterstützung zu. 120 Anhänger Crispis, owie 90 norditalienische Abgeordnete bilden die Op- wsition. Crispi beruft letztere heute zu einer Kon- erenz ein.

Ein römischer Korrespondent desBerl. Tgbl." hat den neuen italienischen Ministerpräsidenten Mar­chese Rudini interwiewt. Rudini sprach gute Hoff­nungen für den Bestand seines Kabinetts aus und verwahrte sich energisch gegen den Vorwurf, ein Reaktionär zu sein.Niemand kann liberaler sein als ich, ja ich bin sogar Demokrat, wenn man hier­unter nicht Jakobiner versteht. Ich bin nichts we­niger als ein Freund des Klerikalismus und halte est am Garantiegesetz. Die grundsätzlichen Verfol­gungen der Kirche scheinen mir aber nicht allein unnütz, sondern sogar antiliberal zu sein. Meine wiederholten Erklärungen über die Tripelallianz, deren loyaler, warmer Freund ich bin, sind in Berlin wohlbekannt, ich ändere meine Ueberzeugungen nicht. Auch für die Allianzpolitik gelten diese meine Ueber­zeugungen.

Rom, 9. Febr. Rudini erklärte heute, er miß­billige durchaus Crispi's Politik gegen den Vatikan und deutele an, daß eine Wandlung in der Kirchen­politik bevorstehe.