nachträglich bekannt wird, gelegentlich ihrer treulichen Anwesenheit in Lüneburg zum Bürgermeister: „Das antisemitische Treiben ist mir und Meinem Gemahl in der Seele zuwider."
Berlin, 1. Juni. Die Ankunft des Kaisers in Potsdam erfolgte programmmäßig um ein Uhr. Die Schulen bildeten auf der Länge des Weges Spalier. Das Publikum begrüßte den Kaiser durch Hochrufe, auch in Spandau jubelte dem Kaiser eine große Menschenmenge zu. Der „Kreuzzeitung" zufolge hat der Kaiser das Gesetz über die Verlängerung der Legislaturperioden vollzogen, die Publikation aber nachträglich untersagt.
Berlin, 2. Juni. Berichte aus Potsdam besagen, daß dem Kaiser die Fahrt dorthin sehr gut bekommen ist. Mackenzie bewohnt das Zimmer, in dem der Kaiser geboren wurde, und es wird dafür Sorge getragen, daß dem englischen Arzt in jeder Beziehung die größtmöglichste Auszeichnung zu teil wird.
Potsdam, 2. Juni. Das Befinden des Kaisers ist vortrefflich. Die Aerzte hoffen von dem Aufenthaltswechsel weiteres Fortschreiten der Besserung im Allgemeinbefinden.
Dr. Mackenzie hat, der „Voss. Ztg. zufolge, seine seit längerer Zeit beabsichtigte kurze Reise nach England, um seine Familie und einen Teil seiner dortigen Patienten zu besuchen, zunächst auf unbebestimmte Zeit verschoben. Gerade jetzt möchte der Kaiser, da die Besserung in seinem Befinden täglich Fortschritte macht, Mackenzie am wenigsten entbehren und hat ihm daher den Wunsch ausgesprochen, für die nächste Zeit von seiner Reise abzusehen.
An freiwilligen Gaben für die Ueberschwemm- ten in Nord deutsch! and sind eingekommen bei dem Zentralkomite 3 085000 anderweitig 3100000 vlL im Ganzen also 6 200000
Oetzerreich-Ungaln.
Wien, 29. Mai. Der Prinz-Regent Luitpold von Bayern verabschiedete sich heute nachmittag von dem Kaiser, dem Kronprinzen, dem Erzherzog Ludwig Viktor und dem Herzog von Nassau.
Gleich am Tage der Tisza-Rede wurde in Pest bekannt, daß ein gutes Drittel der Industriellen, welche sich für Paris gemeldet hatten, zurückgetreten sei; heute weiß man, daß schon mehr als die Hälfte offiziell abgesagt hat, und es würde wirklich zum Staunen sein, wenn sich die Zahl der ungarischen Aussteller im Marsfeld schließlich auf zehn herauswachsen wird!
Frankreich.
Paris, 29. Mai. Heute liegt der Wortlaut der Rede des Herrn Tisza vor und es erhellt aus demselben, daß der ungarische Minister in seinen Erklärungen nicht im Geringsten die internationalen Rücksichten außer Acht gelassen, mit keinem Worte die berechtigte Empfindlichkeit Frankreichs verletzt hat. Das verhindert aber natürlich die Pariser Hetzblätter nicht, ihre wütenden Angriffe gegen die österreichischungarische Regierung fortznsetzen, den Minister in gemeinster Weise zu beschimpfen und wie gewöhnlich die albernsten Lügen über die Genesis der von den ungarischen Ministern abgegebenen Erklärungen zu verbreiten. Daß Fürst Bismarck den Minister zu seiner Rede und die ungarische Regierung zu ihrer ablehnenden Haltung gegenüber der Pariser Weltausstellung veranlaßt habe, wird selbstverständlich von der gesummten Pariser Presse weiter behauptet und von dem Publikum auch geglaubt.
Paris, 1. Juni. Die Morgenblätter loben fast alle die gestrige Rede Goblets wegen der Bestimmtheit und Würde und besonders wegen der Bekundung der Friedensliebe Frankreichs, an der nun niemand mehr zweifeln dürfe. Die meisten Blätter betrachten den Zwischenfall für geschlossen. Nur die „Autorits" hebt hervor, daß Kalnoky nur den Eindruck, den die Worte Tiszas in Frankreich gemacht, nicht die Worte selbst, bedauert habe, daß demnach die Erklärungen desselben keine Genugthuung seien, zumal die Haltung der öffiziösen Presse Oesterreichs beweise, daß Tisza den Inhalt der Rede aufrechterhalte. Der „Gaulois" ist mit der Rede Goblets einverstanden; bezüglich der auswärtigen Lage erklärt er aber, daß für die innere Ruhe Frankreichs niemand eine Garantie übernehmen könne.
Die Franzosen sind ganz entzückt über die „Bestimmtheit und Würde", mit welcher Goblet auf die „Frechheiten" des „Bismarckknechtes" Tisza geantwortet hat. Aber ein Tropfen Wermut ist doch
j in den Freudenbecher geflossen. Die mit ihrer „Welr- ^ ausstellung" nächstens nahezu aus ihre eigene Jndu- i strie beschränkten Herren jenseits des Rheins entdecken nachgerade, daß die „Aufklärungen", welche Kalnoky ! dem Botschafter Decrais gab, alles weniger sind als Entschuldigungen, daß der Graf vielmehr lediglich ! sein Bedauern nicht über die Rede Tiszas, sondern l über die Aufahme dieser Rede in Frankreich ausgedrückt hat. Was eigentlich eine versteckte Sottise ist, denn Kalnoky gibt selbst damit zu verstehen, daß er mit Tisza ein Herz und eine Seele ist und die Franzosen Dummköpfe sind, wenn sie sich über eine Behandlung beschweren, die sie verdient haben.
Paris. 31. Mai. Die deutsche Botschaft -fertigte gestern und heute nahezu 500 Pässe aus. Sie hat in Berlin um eine Verstärkung des Kanzleipersonals gebeten.
Paris, 31. Mai. Um keinen Zweifel über seine Revanchegedanken zu lassen, hat Boulanger i den Wählern der Charente empfohlen, für Paul ! Deroulede, den Apostel und Sänger des Krieges ge- ! gen Deutschland zu stimmen. Boulanger sagt in ! seinem Manifest : „Für Deroulede stimmen, heißt für mich stimmen." Der „Gaulois" bekämpft Deroulede, weil sein Name eine kriegerische Bedeutung habe.
Paris, 2. Juni. Infolge der deutschen Paß - maßregeln hat die Pariser Handelskammer durch ein Rundschreiben ausgefordert, den Handels- und Gewerbestand zu veranlassen, keine Reisenden mehr nach i Deutschland auszuschicken und die von Deutschland ! eingehenden Angebote abzulehnen, i ' Paris, 2. Juni. An der elsaß-lothringischen ^ Grenze sind gestern 27 paßlose Reisende gezwungen ^ gewesen, umzukehren und die Reise aufzugeben.
^ Die F r a n z o s en haben Pech mit ihrer Ne-
! volutions-Ausstellung. Jetzt hat auch die kaiserlich ! chinesische Regierung durch ihren Gesandten in Paris ! erklären lassen, daß sich das Reich der Mitte nicht ! beteiligen werde. Den Chinesen ists am wenigsten ! zu verdenken!
! Pa »is. Bezeichnend für die von Graf Taaffe - betriebene Versöhnungs-Politik in Oesterreich ist die Art und Weise, wie ein Teil der französischen Presse ! sich anläßlich des Zwischenfalles Tisza über dieselbe ! äußert. So schreibt die „Paris": „Seltsames Land, j dieses Oesterreich-Ungarn, wo zwei Rassen herrschen, j zwei Minderheiten, wo 13 Millionen Deutsche und Magyaren. 21 Millionen Slawen und 3 Millionen Lateinern das Gesetz aüferlegen. Die Unterdrückten haben allerdings ausgehört, sich zu fügen; die Slawen zumal fühlen sich als Mehrzahl und scheinen entschlossen, auch zu zeigen, daß sie die Stärkern sind. Deutsche und Ungarn, so viele Jahre Feinde, sind von der gleichen Furcht erfüllt (!) und da der Bund ihrer beiderseitigen Schwäche sie nicht stark macht, haben sie Hilfe und Schutz im Auslande gesucht, die Deutschen natürlich in Berlin, und die Ungarn sind ^ ihnen gefolgt und hoffen Beistand von Bismarck gegen Rußland, den Beschützer der Slawen." Nach ftanzösischer Auffassung ist die Teilung Polens, nur in etwas anderer Form, in Oesterreich-Ungarn bereits im Gange : Rußland nimmt die Slawen, Deutschland die Deutschen, und die Magyaren sind rettungslos verloren, feit sie es mit Frankreich verdorben haben ! Ein anderes Blatt, die „France" meint, die Ablehnung der monarchischen Staaten, sich an der zur Verherrlichung der französischen Revolution projektierten Weltausstellung zu beteiligen, rühre daher, wert diese Regierungen den Eindruck der wunderbaren Bilder auf die Phantasie ihrer Unterthanen fürchteten, die die Jahrhundert-Feier der französischen Revolution notwendig Hervorbringen mußte- Wie man sieht, sind die Franzosen des heutigen Jahrhunderts auf dem besten Wege, kindisch zu werden.
Belgien.
Brüssel, 26. Mai. Am heutigen Tage wurde das Preßkomitse für die diesjährige Weltausstellung ernannt. Präsident desselben ist Baron von Haulle- ville. Ein geräumiger Lesesaal nebst zugehöriger Bibliothek wird dem Preßkomitse zur Verfügung gestellt und wird dieser Lesesaal alle bedeutenden Tagesblätter der Welt in sich vereinigen. Die ausländischen Journalisten, welche durch Vermittlung des Komitees für die Dauer der Ausstellung ihre Zutrittskarten erhalten, werden in diesem Lesesaale mit ihren belgischen Kollegen Zusammentreffen und sich daselbst über Alles Erforderliche informieren können.
Italien.
Aus R o m wird geschrieben: Als Beitrag zur
400jährigen Jubelfeier der Entdeckung Amerikas wird die italienische Regierung die Schriften des Christof Kolumbus sammeln und auf Staatskosten herausgeben lassen. Ein Ausschuß unter dem Vorsitze von Cesare Correnti ist ernannt und beauftragt, sich mit dieser Aufgabe zu befassen.
Rußland.
Ein schönes Osterei hat Zar Alexander seinem allezeit getreuen Hofminister Grafen Woronzoff- Daschkow geschenkt. Es war zwar ausgeblasen, enthielt aber an Stelle des Dotters eine kaiserliche Anweisung auf 1 Mill. Rubel. Der Graf war in Geldnöten; er hat große Güter, kann aber sein Getreide nicht verwerten.
Rumänien.
Bukarest, 28. Mai. Der durch den am letzten Sonntag in Harlan, Distrikt Botoschani, statt- . gehabten Brand verursachte Schaden beläuft sich auf ; 72 Million Franks. 260 Häuser, von denen nur die wenigsten versichert waren, sind bis auf den Boden ^ niedergebrannt. Ueber 400 Familien sind obdachlos ! und das Elend ist groß, da fast alle Nahrungsmittel ^ von den Flammen verzehrt wurden.
! Asien.
Dem „Ostasiat. Lloyd" zufolge wollen die einheimischen Christen Japans die Regierung darum angehen, das Christentum als eine der Staatsreligionen Japans anzuerkennen.
Kleinere Mitteilungen.
Rottenburg, 80- Mai. Der verheiratete Taglöhner Joseph Hauer hier fiel heute durch Unvorsichtigkeit in den glühenlen Zementofen der Hammerschmiede und verbrannte sogleich.
Eßlingen, 29. Mai. Die „Eßl. Ztg. schreibt: Daß die Dohle (Llonsänla tnrrirun) ein Raubvogel ist, der nicht bloß in den Gärten schädlich wird, beweist folgender Vorfall. In voriger Woche bemerkte ein Taubenzüchter hier, daß eine Dohle (nicht Dahle, wie sie hier öfters fälschlich genannt wird) in seinen Taubenschlag eingedrungen und sämtliche, auch die Brnttaubcn, daraus verscheucht hatte. Rasch schloß er von unten den Schlag, bis er jedoch hinauskam, hatte der freche Eindringling bereits durch etliche Schnabelhiebe einem halbflüggen jungen Täubchen den Garaus gemacht. Durch schnelles summarisches Verfahren wurde dem Räuber sofort von ihm der Kragen umgedreht. Darum — Tod den Dohlen!!
Augenleiden durch zu enge Halskrageu. Das Tragen zu enger Halskragen ist von Acrzten schon öfter als Ursache von Augenentzündungen bezeichnet worden. Der bekannte Augenarzt Professor Dc. Förster zu Breslau hat nun neuerdings seine Erfahrungen hierüber mitgeteilt, nach welchen auch ihm über 300 Fälle von chronischen Augenleiden aus seiner Praxis bekannt sind, welche einzig hierin ihren Ursprung haben.
Durch eine Gasolin-Explosion in einem Warenmagazin zu Frederick (Maryland) wurden 12 Personen getötet, 75 verletzt, darunter viele lebensgefährlich.
Ileöerlistet.
Erzählung eines amerikanischen Entdeckungsbeamten.
Nachdruck verboten.
(Schluß.)
Ich sah sogleich, daß ich es mit einem tollkühnen und verwegenen Burschen zu thun habe, und machte keinen Versuch, meine Drohung auszuführen.
. „Wohlan denn," sagte ich, „wollen Sie mir erklären, weshalb Sie hiehec gekommen sind?"
! „Ja, das will ich," erwiderte der Mann, in- ! dem er den Mantel zurückschob und ein ganz mit ' gebranntem Kork geschwärztes Gesicht enthüllte. „Ich ^ bin gekommen, um Ihnen zu sagen, wer den Ju- ! welenladen in der ** Straße beraubt hat und Sie, der sich für einen so geschickten Spürhund hält, aus- ! zulachen. Nichts Anderes brachte mich hieher als ! die Absicht, Ihnen das zu sagen, Sie zu verhöhnen ! und Ihnen Trotz zu bieten."
Ich war sogleich ganz Aufmerksamkeit.
„Sie sind in den letzten Tagen ungemein thä- ^ tig gewesen, und Sie gelten für ziemlich geschickt im ! Diebefangen," fuhr der Bursche in unverschämtem ! Tone fort, „aber Sie haben sehr wenig herausgebracht, nicht wahr? Sie sind vollständig überlistet ! worden, und ich bin gekommen, um Ihnen ins Ge- ^ sicht zu lachen."
Ich wußte wohl, daß der wirkliche Dieb, wer ^ er auch sein mochte, vor mir stand, aber in meiner Lage hatte ich für jetzt keine Aussicht, ihn festzn- i halten.
„Ha, ha, ha," lachte der Bursche, „ich will mich hängen lassen, wenn dies nicht ein köstlicher ^ Spaß ist. Hier stehen Sie, ein prahlerischer Poli- j zeischerge, der mehrere Tage lang in Verkleidung