/ jedermann einen Vortvsg über die berührten Gegen­stände zu veranstalten beschloß; noch dankenswerter war die Bereitwilligkeit und Güte des Herrn Ober­regierungsrats von Dieffenbach, der zu die­sem Zweck seine tüchtige sachkundige Kraft zur Ver­fügung stellte. Daß der Bortrag einem Bedürfnis entgegen kam, erhellte aus dem zahlreichen Besuch von hiesigen (und auch auswärtigen) Gewerbetreiben­den. Der verehrte Redner warf zuerst einen Rück­blick auf die Zeit, wo es der Polizei überlassen blieb, ob sie bei einem Unfall einschreiten wollte oder nicht, und wo selten Bestrafung, noch seltener Entschädigung erfolgte, welchem Uebelstand 1869 die Fabrikin- spektoren und weiterhin durch das von Lasker angeregte Haftpflichtgesetz abzuhelfen gesucht wurde. Das letztere rief die Unfallversiche- rungs- und Gegenseitigkeitsgesellschaften hervor, welche dem Geschäftsunternehmer den größe­ren Teil seiner schweren Verantwortung sollten tra­gen helfen. Da aber die genannten Gesellschaften häufig nicht sehr bereit zum Bezahlen von Entschä­digungen waren und es oft lieber auf einen Prozeß ankommen ließen, da auch die Entschädigungen zum Nachteil für schwache Charaktere in einer Summe ausbezahlt wurde, so erschienen weitergehende und positivere Maßregeln notwendig. Infolge der kai­serlichen Botschaft wurde der Krankenversiche­rung s z w a n g (' /b des Betrages vom Arbeitgeber, s vom Arbeiter, Entschädigung innerhalb der ersten 14 Wochen), ferner das Unfallversicherungs­gesetz (Entschädigungen von der 14. Woche an) eingeführt. Durch letzteres wird die Zugehörigkeit der einzelnen Gewerbetreibenden zu ihren Genossen­schaften bestimmt, der Verletzte erhält sofern seine Verletzung eine unmittelbare oder mittelbare Folge des Betriebs ist, zunächst ohne Rücksicht auf die Schuldfrage durch die Post eine vorläufige Rente, bis ein abschließendes Urteil über den Grad der Er­werbsunfähigkeit möglich ist, worauf dann die end- giltige Festsetzung der lebenslänglichen Rente erfolgt. Dieselbe beträgt bei gänzlicher Erwerbsun­fähigkeit -/z des seitherigen Einkommens (bei über 4 Tagesverdienst nur ffs), bei teilweiser einen entsprechenden Bruchteil. Im Fall der Tötung er­hält eine Witwe außer den Beerdigungskosten 20°/o, ein Kind kbR» des Einkommens; ebenso wird nach dem Tod eines Sohnes, welcher der Ernährer seiner Eltern war, an letztere 20°/« bezahlt. Je nach dem Ergebnis der Untersuchung werden die Unternehmer zum Ersatz der Kosten herangezogen: das Haftpslicht- gesetz tritt in Kraft. Die Verwaltung der Ge­nossenschaften mit ihren Verwaltungsmitgliedern und Vertrauensmännern ist verwickelt, und die Unter­suchung über einen Unfall wird mit Berücksichti­gung bezw. Zuziehung aller derjenigen Personen geführt, die irgend ein Interesse an dem Fall haben. Falls zwischen den entgegengesetzten Interessen kein Einklang zu erzielen ist, so steht der Beschwerdeweg an das Schiedsgericht (Us aus Arbeitgebern, s aus Arbeitern unter dem Vorsitz eines Beamten) und endlich der Appell an das Reichsversiche­rung samt offen, bei welch letzterem auch Arbeiter beteiligt sind. Mag man über dieses Gesetz auch manches zu klagen haben, den Vorteil hat es, daß dem Arbeiter ein Recht auf Entschädigung zu- steht, und er nicht auf Almosen angewiesen ist. Nun ist noch ein neues Gesetz im Werk, das In validi- täts- und Altersversorgungsgesetz, das auf besonder» Wunsch des Kaisers ausgearbeitet wird und bis jetzt erst in seinen Grundzügen bekannt ist. Das-! selbe soll auch die Kleingewerbetreibenden und ihre Arbeiter und Lehrlinge umfassen, wird also große ! Schwierigkeiten bieten. Es sollen nach dem Entwurf! jedem 70jährigen Arbeiter ohne Rücksicht auf seine! Erwerbssähigkeit 120 jedem völlig invaliden ^ Arbeiter ohne Rücksicht auf sein Alter 120 ^ mit Aufbesserung nach je 5 Jahren bis zu 225 ^ jähr­liche Rente gewährt werden. Die Mittel sollen zu je ^ 3 vom Arbeitgeber, vom Arbeiter und vom Reich getragen werden. Das schwierige Berwaltungsge- schäft (man denke z. B. an den Einzug der täglichen 2 von den häufig wechselnden Arbeitern!) soll durch die Berufsgcnvssenschaften mitbesorgt werden, wobei man etwa an die Führung von Miwkenbüchcrn (ähnlich wie die Poslsparkassenbücher) denkt. Die großen der Durchführung eines derartigen Gesetzes cutgegenstehenden Schwierigkeiten wurden von dem Redner anerkannt, wie sie auch in dem nach dem Bortrag stattgefnndcncn sehr lebhaften Zwiegespräch

noch hervorgehoben wurden; da aber diejenigen die Weisen sind, welche durch Irrtum zur Wahrheit.rei­sen, so hoffen wir mit dem Herrn Oberrcgierungsrat, daß unter allmählichen Verbesserungen schließlich doch etwas Brauchbares zustande kommen werde. Dem Dank aber, den der Vorsitzende der Versammlung dem geehrten Herrn Redner für seinen überaus lehr­reichen Bortrag zollte und dem die Anwesenden ein­mütig zustimmten, wollen wir auch öffentlich hiemit Ausdruck geben.

Altenstcig, 19. Febr. Wie man von zu­verlässiger Seite erfährt, soll mit Beginn des neuen Etatsjahres das hiesige Forst amt aufgehoben wer­den. Es würden sodann die Reviere Simmersfeld, Enzklösterle und Hofstett dem Forstamt Neuenbürg, .das Revier Altensteig dem Forstamt Wildberg und das Revier Pfalzgrafenweiler dem Forstamt Freuden­stadt zugeteilt werden. Da Altensteig schon seit 1604 Sitz desForstamts ist, wird die Auflösung desselben in Stadt und Bezirk vielfach bedauert. (W.Ldsztg.)

Ulm, 18. Febr. Gegenwärtig sind hier falsche Banknoten im Umlauf im Wert von 50, 20 und 5 ^ Die elfteren unterscheiden sich von den echten dadurch, daß sie 3 mm größer, während die 5 Marknoten um 5 mm kleiner sind. Außerdem ist das Papier an diesen Falsifikaten Heller und der Druck nicht ganz klar.

München, 19. Febr. In diplomatischen Krei­sen wird Graf Rantzau (Schwiegersohn Bismarcks) als Nachfolger des zurückgetretenen preußischen Ge­sandten in München bezeichnet.

Frankfurt, 21 . Febr. Nach derFrkf.Ztg." verließ der Kronprinz gestern das Bett, mit Appetit und empfing nachmittags den Prinzen von Wales. Er ist guter Laune und von der Genesung überzeugt. Man macht Inhalationen von Borsäure und Eucalyptus. Das Wetter ist entsetzlich, hoher ! Seegang.

! Kaiser Wilhelm empfing am Freitag mittag ! die anläßlich seines 70jährigen Jubiläms als Chef ! des russischen InfanterieregimentesKaluga" in Ber- ! lin cingetroffene Deputation des genannten Regimen­tes und unterhielt sich huldvoll mit allen Mitgliedern der Abordnung. Als um diese Zeit die Schloßwache aufzog, trat der Kaiser mit den russischen Offizieren ans Fenster. Der Jubel des zahlreichen Publikums war ein unbeschreiblicher und lächelnd schaute der Kaiser auf die frohbewegte Menge. Die russischen Offiziere schienen von der gewaltigen und eigenarti­gen Dewonstration ganz überrascht zu sein und man konnte ihnen ansehen, wie tiefen Eindruck die Kund­gebung auf sie machte.

(Deutscher Reichstag. Freitagssitzuug.s Auf der Tagesordnung steht: Dritte Beratung des Sozialistenge­setzes. Kriegsminister Bronsart v. Schellendorf erklärt frühere Behauptungen des Abg. Bebel über das Vorleben des Poli- zeiagcuten Haupt für unbegründet. Abg. Bebel erkennt an, daß er sich geirrt habe und geht daun auf das Sozialisten­gesetz ein. Die Sozialdemokratie sei nicht revolutionär, sie habe ja sogar das deutsche Reich gezwungen, die sozialistische Maske vorzunehmen. Für diese Aeußerung wird Redner vom Präsidenten zur Ordnung gerufen. Bebel kommt denn auf die Spitzelaffaire zurück und behauptet abermals, die deut­schen Regierungen unterhielten im Auslande Agents Provoka­teurs. Minister v. Puttkamer und Geh.-Rat Held weisen diese Ausführungen zurück, Bebel könne nicht den geringsten tat­sächlichen Beweis dafür erbringen. Abg. Achelhäuser (natlib.) erklärt sich für Verlängerung aber gegen Verschärfung des Gesetzes, die von Ueberfluß sei, und für eine kräftige Förde­rung der Sozialpolitik. Abg. Bamberger (freis.j beklagt, daß der Präsident den Ministern eine größere Redefreiheit als den Abgeordneten gewähre, Präsident v. Wedell bestreitet das. Abg. Gehlert ffreikons.s tritt für Verlängerung des Gesetzes ein. Die Sozialdemokraten hätten sich auf den Boden der Gewalt gestellt und brauchten sich also nicht zu wundern, wenn der Staat auch ihnen gegenüber die Waffe der Gewalt anwcndetc. Nachdem noch Abg. Singer gegen die Vorlage gesprochen, wird dieselbe für zwei weitere Jahre gegen die Stimmen von Freisinnigen, Sozialisten und eines Teiles des Zentrums genehmigt.

(Deutscher Reichstag. Sonnabcndsitzung.) Der Rechenschaftsbericht über die Ausführung des kleinen Bela­gerungszustandes in Stettin und Offenbach wird durch Kennt- , »isnahme für erledigt erklärt. Abgg. Frohme und Sabor (Soz.s erklärten in heftigen Worten die Verhängung des Belagerungszustandes über Stettin und Offenbach für ganz / ungerechtfertigt und wurden wiederholt vom Präsidenten we- ^ gen zu weit gehenden Aeußerungen zur Ordnung gerufen. Abg. Böhm (natlib-j und Staatssekretär v. Bötticher traten ^ den sozialistischen Rednern entgegen. Darauf wurde der Nach­tragsetat für 1888/89 in zweiter Lesung debattelos genehmigt und mit der EtatSberatnng fortgesahren. Tie laufenden Ausgaben des Postetats wurden genehmigt. Bei der Forde­rung für einen Postneubau in Insterburg stellte sich im Ver­lauf der Abstimmung die Beschlußunfähigkeit des Hauses her­aus. Nur 106 Mitglieder waren anwesend.

Berlin. Die aus San Remv bezüglich des Kronprinzen einlaufenden Nachrichten lauten leider nicht viel günstiger als in den letzten Tagen. Wenn

auch die aus der Operation drohende Gefahr als be­seitigt betrachtet werden kann, so ist übereinstimmen­den Berichten zufolge der hohe Patient in viel grö­ßerem Maße angegriffen, als geglaubt wurde. Die Aufgabe der Aerzte ist cs nun zunächst, eine Hebung der Kräfte auf alle Weisen herbeizuführen, allein ge­rade das, was dem Kronprinzen am zweckdienlichsten wäre, scheint ihm versagt werden zu müssen freie Luft. Leider divergieren die Nachrichten der Aerzte nicht allein über die Natur der Krankheit, sondern auch über die Behandlung nach der Operation und die neuesten Erscheinungen. Dies trat gestern bei der Frage hervor, ob eine neue Kehlkopf-Unter­suchung statthaft sei oder nicht. Mackenzie erklärte ! sich anfänglich dagegen, weil er die Anstrengung für ! den Kronprinzen befürchtete. Nachmittags eingetretene, i Besorgnis erregende Symptome einer erneuten Schwel­lung vermochten ihn, abends die Untersuchung vor­zunehmen. Als Resultat ergab sich: Die nachmittags aufgetretene Schwellung hatte abgenommen. Spät abends machte man das Experiment, daß man die Kanäle zustopfte. Der Kronprinz vermochte eine kurze Weile auch so zu atmen." Die gestern beobach­tete Neigung zu neuen Schwellungen ist ein bedenk­liches Symptom, welches neue Komplikationen zu­läßt ,deren Hinzutritt die ernstesten Besorgnisse ^ rechtfertigen würde. Dazu kommt, daß die Opera­tionswunde durchaus nicht so schnell heilen will, als man hoffte, was ein gleichfalls wenig günstiges An­zeichen ist. Die Aerzte sehen deshalb den nächsten Tagen nicht ohne Sorge entgegen."

Ueber die Krankheit des Kronprinzen bringt dasN. W. Tagbl." heute eine Meldung aus San Remo, wonach Mackenzie und Prof. Bergmann noch ! längere Zeit dort bleiben würden. Der Ecstece soll ! erklärt haben, die Behandlung des Kronprinzen bleibe ! für die nächste Zeit ausschließlich den deutschen ! Aerzten Vorbehalten. Er gehe zwar nach wie vor ^ in die Villa Zirio, werde aber in die jetzige Behand- - lung (welche sich vornehmlich auf den Wundverlauf ! erstreckt) kein Wort dareinreden und nur seinen Na­men unter die Bulletins setzen. Ueber seine Diffe­renz mit Bergmann dürfe er jetzt nicht sprechen, doch giebt er deren Existenz zu. Bramann und Bergmann werden zunächst um den Kronprinzen beschäftigt sein. Wenn der Sitz der Krankheit den Kehlkopf selbst in Angriff genommen haben wird, dürfte Mackenzie wieder das entscheidende Wort haben. Uebrigens ! nehme die Entzündung der Stimmbänder ab.

Berlin, 19. Febr. DieKreuzztg." regi­striert die Nachrichten über erhöhte maritime und Festungsbauthätigkeit Italiens, und meint, obwohl es ausgeschlossen sei, daß Italien etwas gegen Frank­reich unternehme, so sei doch begreiflich, daß man ! sich vorsehe, um alles zur Verteidigung Erforderliche in Stand zu setzen.

Berlin, 19. Febr. DasTageblatt" meldet heute, die Aerzte sähen der Entwicklung der Krank­heit des Kronprinzen während der nächsten acht, längstens vierzehn Tage, mit größter Spannung ent­gegen; eine Wendung zum Besseren oder Schlimme­ren müsse unbedingt in dieser Zeit eintreten. Der Kronprinz litt in der letzten Woche infolge blutigen Schleimauswurfes mehr als bisher bekannt wurde.

Berlin, 20 . Febr. Der Kronprinz unterhielt sich in San Remo mit dem großherzogl. Paar von Baden fast nur vermittelst Stift und Papier. Die Wundheilung schreitet vor. Im Uebrigen gilt hier nach ärztlichem Urteil der Zustand für bedenklich. Schuwalow brachte russische Vorschläge hierher, deren vertrauliche Erörterung begonnen, aber noch zu keinem weiteren Ergebnis geführt hat.

' Berlin, 20. Febr. Die Arbeiten zur Alters- . und Invalidenversicherung sind im Reichsamt des § Innern soweit gefördert, daß der Gesetzentwurf fertig gestellt ist und die Motive in den nächsten Tagen zum Abschluß kommen. Nachdem die Vorlage dem Reichskanzler Vorgelegen haben wird, wird dieselbe voraussichtlich noch im Laufe der Woche an den Bun- desrat zur Beschlußfassung gehen.

Oesterreich-Ungarn.

Im österreichischen Herrenhaus hat der alte Schmerling gelegentlich der Annahme des Han­delsvertrags mit Deutschland eine mit lebhaftem Beifall aufgenommenc Rede über das Bündnis zwi­schen Oesterreich und Deutschland gehalten. Ec sprach zunächst dem Kaiser Franz Josef für dessen Hochherzigkeit seinen Dank aus, daß derselbe, ob­wohl er immerhin durch schmerzliche Erinnerungen