zielen werden im einzelnen noch viele Schwierigkeiten ans dem Wege zu räumen sein. Es konnte sich bis­her nur um die Wiedergabe allgemeiner Eindrücke handeln; zu einer eingehenden Prüfung der schwieri­gen wirtschaftlichen und technischen Einzelfragen war bisher noch keine Möglichkeit gegeben. Die Urteile der eigentlich sachverständigen Kreise stehen noch aus. In den nächsten Tagen aber werden mehrere größere industrielle Vereinigungen zur Begutachtung des Ent­wurfes zusammentreten. Der Industrie werden ohne Zweifel sehr schwere Lasten zugemutet, und die Be­fürchtung , daß ihr der internationale Wettkampf be­deutend erschwert werden könnte, ist nicht leichthin von der Hand zu weisen. Indessen ist es auch ein hervorragendes praktisches Interesse der Arbeitgeber, daß der soziale Friede gefördert wird und nicht wie in anderen Ländern das Verhältnis zwischen ihnen und den Arbeitern immer mehr den Charakter der Feindseligkeit und des Kampfes annimmt. Man wird daher das Vertrauen haben dürfen, daß auch die nächst-! beteiligten Jndustriellenkreise dem Werke wohlwollend ! und mit dem Bestreben, das Zustandekommen in ver­besserter Form zu fordern, gegenübertreten werden.

Der dem Reichstage heute zugegangene Rechen­schaftsbericht über die Verlängerung des kleinen Be­lagerungszustandes über Berlin, Leipzig und Hamburg- Altona bewegt sich durchaus in dem Gedankengange der früheren Berichte und führt hauptsächlich an, daß die Organisation der Sozialdemokratie im Geheimen fortdauere, wie sich bei den Wahlen und durch die Verbreitung von Druckschriften zeige, und daß unter den Führern immer noch die radikale Richtung über­wiege. l

Der preußische Bolkswirtschaftsrat! wird am 5. Dezember zur Beratung der Grundzüge! der Altersversorgung in Berlin zusammentreten. j

Von dem für die Deutsche Industrie nach-! teiligen neuen russischen Zollcrhöhungen ist! die schlimmste die auf Maschinen. Sie beträgt nicht ^ weniger als 10 Prozent. !

Berlin, 25. Nov. Der Beschluß des Bundes-^ rats über die Erhöhung der Getreidezölle ist nicht ^ ohne Widerspruch erfolgt; wahrscheinlich befand sich! auch Württemberg in der Opposition. Die Stelle der Thronrede, welche die auswärtige Politik bespricht, l wird als ein Hinweis auf die kriegerische Weltlage! und zugleich auf die nunmehr zum Schutz- und Trutz-, bündnis gewordene deutsch-österreichische Allianz auf­gefaßt.

Im Laboratorium der ersten Klinik der Königlichen Charitee in Berlin wurde am Mittwoch eine sehr wichtige Entdeckung gemacht. Nach langem Forschen fand nemlich Assistenzarzt Dr. Scheuerten den Baccillus des Krebses, dessen Vorhandensein als Ursache der schlimmen Krankheit von den Medizinern schon längst vermutet wurde, bisher aber nicht fest­gestellt werden konnte. Der neuenldeckte Baccillus hat eiförmige Gestalt.

Dem Vernehmen nach ist binnen Kurzem die Veröffentlichung einer Kaiserlichen Verordnung zu erwarten, durch welche verfügt wird, daß die evangelische Militärgeistlichkeit den Dienstrock, wel­cher von derselben bisher im Felde getragen wurde, auch im Frieden zu tragen hat, mit alleiniger Aus­nahme der Amtshandlungen, bei welchen der Tatar vorgeschricben ist.

Die Enthüllungen derK. Z." erregen natür­lich auch im Auslande großes Aufsehen. Fast sämt­liche Wiener Blätter leitartikeln über dieselben. Die Blätter drücken ihr großes Erstaunen aus, er­örtern die Enthüllungen als hochwichtig, können aber vorerst noch zu keinem klaren Urteile gelangen; die meisten glauben nur, durch die Enthüllungen sei dar- gethan, daß die gefährlichste Krisis bereits überwun­den sei. Die Drohung mit dem Staatsanwalt wird (offenbar unrichtig. D. Red.) im Sinne der Einlei­tung eines Prozesses gedeutet, der den Arnim-Pro­zeß an Tragweite noch übertreffen dürfte. Die offi­ziöse Presse erinnert daran, daß nach ihren früheren Meldungen die Kandidatur des Prinzen Ferdinand! von Kodurg für den bulgarischen Thron zuerst in ^ Cannes von den Orleanisten aufgestellt wurde. An- ! derweitig wird auf die systematischen Lügenberichte! der russischen Diplomaten auf der Balkanhalbinsel! und die fortgesetzten Verhetzungen der französischen Blätter hingewiesen. DieW. Allg. Ztg." verweist auf die Episode Kaulbars, welche nur durch eine Irreführung des Zaren möglich gewesen sei. Das offiziöseFremdenblakt" schreibt:Die Enthüllungen

derKölnischen Zeitung" gestatten nicht einen siche­ren Einblick in die Vorgänge, aber der Zweck der Aktion Bismarck's ist klar. Rußland soll von der animosen Stimmung gegen Deutschland geheilt und den Umarmungen der Kriegspartei entwunden wer­den. Die Haltung Deutschlands ist konsequent, so­wohl hinsichtlich Bulgariens als der allgemeinen Lage, nur ist das angewandte Mittel neu, und die Stärke des Mittels läßt vermuten, daß ein energisches Ein­greifen schon notwendig war." DasFremdenblatt" führt weiter aus, nicht zum ersten Male seien die Orleanisten angeklagt; thatsächlich habe eine groß­artige Jntrigue bestanden, welche Rußland gegen Deutschland verhetzen wollte, Bismarck's machtvolles Auftreten werde die Jntrigue durchkreuzt haben; sein ! Ziel sei jedenfalls dasselbe, das er bisher verfolgte; j an seiner Haltung erscheine nichts neu als die Mit- ! tel, dem Zaren ein unparteiisches Urteil zu ermög- - liehen; ob der Zar noch »mzukehren vermöge, bleibe abzuwarten. Nach Mitteilungen der Wiener politischen Kreise hätte übrigens auch Kaiser Wilhelm in einer halbstündigen Unterredung mit dem Zaren Letzteren von dem Einvernehmen des Kaisers und Kanzlers betreffs der deutschen Politik überzeugt und auf Bis­marcks aktenmäßige Belege hingewiesen, daß Deutsch­land in Bulgarien niemals russenfeindliche Politik getrieben habe.

Die Ausfuhr aus Deutschland nach Amerika hat in dem abgelaufcnen Geschäftsjahr (1. Sept. 86-8?) 352 Mill. Mk. betragen, 31 Mill. mehr als im Vorjahr; ein Ausfall von fast 6 Mill. Doll, hat nur in der Zuckerausfuhr statt- gcfunden.

Oesterreich-Uugani.

Wien, 24. Nov. Der heute abreisenden Her­zogin Klementine von Koburg stellte König Milan einen Hofzug durch Serbien zur Verfügung. Er be­grüßt sie in Belgrad und begiebt sich dann mit sei­nem Adjutanten bis zur bulgarischen Grenze, wo Fürst Ferdinand sie erwartet.

Wien, 26. Nov. DerPester Lloyd" erfährt, daß der Zar gegenüber Bismarck erklärte, daß ihm weder ein Angriff gegen Deutschland noch die Teil­nahme einer gegen Deutschland gerichteten Koalition in den Sinn komme. Dasselbe gelte von Oesterreich, wenn dasselbe Provokationen unterläßt.

Auch aus Ungarn zieht eine Pilgerschaar zum Papst­jubiläum nach Rom. Fünfhundert Katholiken nehmen an dem Zuge teil. Sic werden dem Papste eine Glückwunsch­adresse mit anderthalb Millionen Unterschriften von ungari­schen Katholiken und eine Gabe von 270000 Lire (216000 Mk.) bar Geld überreichen. Am Montag abend wurde die Reise angetreten.

Frankreich.

Paris. Präsident Grevy hat sich nun endlich abzudanken entschlossen, nachdem alle Politi­ker, welchen er die Kabinetsneubildung angetragen, seinen eigenen Rücktritt in Folge der Wilson-L-kandale als unvermeidlich bezeichnet hatten. Er will sich aber noch mit einer Proklamation ans Land wenden, um sein Verhalten zu rechtfertigen, und hat dieselbe be­reits ausgearbeitet. Grevy sagt darin, er trete zu­rück, weil seine Demission von Wert für das Ge­deihen der Republik sei, der er sein ganzes Leben gewidmet. Er schließt mit den besten Wünschen für Frankreich.

Paris. Am Donnerstag empfing Grevy Rou- vier, der aber sein Bleiben im Amt verweigerte; Grevy wird nun Ribot die Kabinetsbildung übertra­gen. und dann sofort Adieu sagen. Das Ministe­rium Ribot wird Flourcns und Fcrron als Minister ! behalten, die übrigen Mitglieder aus den Reihen der ^ gemäßigten Republikaner nehmen. Seine Hauptar- i beit wird die Berufung des aus beiden Kammern be- ! stehenden Kongresses zur Neuwahl eines Präsidenten I der Republik sein. Monarchisten und gemäßigte! Republikaner sollen den General Sanssier, General-! gouverneur von Paris, wählen wollen. Die Radika- . len wüten dagegen Freycinet scheint aber doch die > meisten Chancen zu haben. Die Ruhe in Paris ist! ungestört. Bis Ende des Jahres sollen 5 fran­zösische Armeekorps mit dem neuen Lebelgewehr ver sehen sein.

Paris, 24. Nov. Folgendes sind die Präsi­dentschaftskandidaten , die in Betracht kommen: die beiden General Saussier und Boulanger, ferner die Zivilisten Jules Simon, Freycinet, Jules Ferry, Sadi Carnot, Le Royer, Magnin, Floquet, Briffon, Anatole de La Forge.

Paris, 25. Nov. Grevy teilte Ribot mit, er verzichte darauf, ein neues Kabinet bilden zu las­sen. Das Kabinet Nouvier wird daher den Kam­

mern die Botschaft über die Demission des Präsiden­ten mitteilen. Bis jetzt ist kein bestimmter Tag hiefür angesetzt.

Paris. 25. Nov. Die Botschaft Grevy's wird am Montag in der Deputiertenkammer und im Se­nat verlesen werden; am Dienstag wird der Kongreß ! eröffnet.

! Paris, 25. Nov. Allmählich wird es selbst j den hitzigsten Gegnern Grevys klar, daß sie nur für ! die Monarchie gearbeitet haben. Sie erkennen, daß ^ die Republikaner tief gespalten sind, um sich über i einen Nachfolger zu einigen. Die Republikaner ha- ! bcn zum ersten- und wahrscheinlich letztenmale zu- ^ sammengehalten, als es galt, den Präsidenten zu stürzen. Die Rechte weist mit Schadenfreude darauf hin, daß die Republikaner nimmermehr die 443 Stimmen im Kongreß zusammenbringen werden, welche notwendig sind, um einen Präsidenten zu wählen.

Paris, 27. Nov. Wie verlautet, hätte Rouvier, welcher gestern Abend eine längere Bespre­chung mit Grevy hatte, es abgelehnt, die Botschaft des Präsidenten in den Kammern zu verlesen, weil dieselbe Sätze enthielte, mit denen er nicht einver­standen sei. DerRepublique Francaisc" zufolge hätte Grevy die Absicht geäußert, den Erlaß der Botschaft zu verschieben und von Neuem Versuche zu machen zur Bildung eines Kabinets.La Paix" meint, das sicherste Mittel, Grevy zum Verbleib auf seinem Posten zu nötigen, würde sein, daß man sich den Anschein gebe, durch Drohungen und Beschim­pfungen ihn zum Rücktritt zu veranlassen.

Der Pariser Stadtrat hat, wie vorige Woche gemeldet, die Niederreißung der für die Hin­richtung Ludwigs XVI. errichteten Sühnekapelle an­geordnet. Dieser Befehl hat in Petersburg sehr schlechten Eindruck gemacht und die Blätter äußern laut ihr Mißfallen darüber. Das war auch kindisch!

Paris, 26. Novbr. Madame Limousin hielt sich gestern den ganzen Tag in einem Caffo auf, um sich zu zeigen. Es kamen Leute, sie zu sehen. Abends entstand jedoch ein Tumult. Sie wurde Preußin und Spionin geschimpft. Gläser wurden zer­schmettert und Möbel umgeworfen und zerbrochen.

Paris. Frau Limousin hat mit ihrem Freunde Lorentz ein Bierlokal äußerst zweifelhafter Sorte gepachtet. Und dies Frauenzimmer war eine intime Freundin des Schwiegersohnes des französi­schen Staatsoberhauptes.

In Paris wurden unter großem Zulauf die Möbel der arg verschuldeten Frau Limouziu versteigert. In einer halben Stunde war die Versteigerung vorüber und trug das Dopelte des Wertes ein, nämlich 765 Fr. Da war zunächst ein sehr beachtenswerter Gegenstand, welcher für 19 Fr. ab­ging, der Betthimmel der Frau Limonzin mit ein Paar ge­blümten Vorhängen in schreienden Farben; die Wirkung die­ser Farben war offenbar nicht für das Tageslicht, sondern für künstliche Beleuchtung bestimmt. Das Merkwürdigste von allem war aber die Garderobe der Frau Limouzin. Dieselbe setzte sich zusammen aus zwei Hemden, einer Hose, einer Weste, zwei Scidcnhütcn, ein Paar Damcnstiefeln und einem Säbel. Ja wirklich ein leibhaftiger Säbel! Andachtsvoll wurde dieser stumme blinkende Zeuge der Lieblingsneigungen der Frau Limonzin von allen Seiten betrachtet und befühlt. Wollte sich Frau Limonzin mit diesem Schlachtenschwert um- gürtcn und es als eine zweite Jungfrau von Orleans im Augenblick der Gefahr schwingen? Oder wie kam sonst der Säbel in die Garderobe der Frau Limonzin? Daß man Briefe berühmter Heerführer wie Thibaudin und Boulanger bei ihr vorgefunden, vermag man sich vielleicht zu erklären. Nun aber gar noch einen Säbel! Merkwürdiger Säbel, dieser Säbel in den stillen Räumen eines Franenkleiderschrankes. Das Volk von Paris zeigte sich diesem kulturgeschichtlich höchst interessanten Säbel gegenüber schließlich sehr unehrerbietig. Niemand bot ans diesen Zeugen süßer Geheimnisse und der ganze Krempel mit samt dem Säbel wurde für nur 6 Fr. 50 Cts. losgeschlagen.

Belgien-

Wie aus Brüssel telegraphiert wird, findet dort nächsten Sonntag in der Wohnung des Prinzen Victor Napoleon eine Konferenz bonapartistischer Deputierten und Senatoren statt. Der Prinz em­pfiehlt die Kandidatur des Generals Saussier als Präsidenten der Republik.

Brüssel, 26. Nov. Der russisch-offiziöseNord" konstatiert, der Besuch des Zaren in Berlin habe ein befriedigendes politisches Resultat herbeigcführt.

Italien. . .

Die italienische Königsfamilie wollte dem Papst zu seinem Jubiläum ebenfalls ein Geschenk darbringen. Man ließ durch eine geeignete Mittels­person im Vatikan anfragen, ob Papst Leo ein solches Geschenk eventuell annehmen würde, worauf die Ant­wort erfolgte, der Papst wisse die Gesinnungen der Mitglieder des Königshauses sehr wohl zu würdigen