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Amts- und Intelligenz-Blatt für de« Oberamts-Bezirk Nagold.
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Samstag den 20. August
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1887 .
Die überseeische Auswanderung
aus dem deutschen Reiche weist gegenüber dem Vorjahre im laufenden Jahre eine ganz beträchtliche Zunahme auf, fo daß cs fast scheint, die Periode der sinkenden Auswanderung, die 1882 etwa begann, fei bereits zum Abschluß gekommen. Nächst Irland ist Deutschland wohl das Land in Europa, welches alljährlich verhältnismäßig am meisten Landeskinder an fremde Staaten abgibt. Die Last zum Wandern steckt den Deutschen im Blut, und eine mäßige Auswanderung hat auch bei der starken Bevölterungszu- nahme innerhalb unserer Reichsgrenzen kein Bedenken. Anders stellt sich die Sache freilich, wenn die jährliche Auswanderungszahl die Grenze des natürlichen Bcvölkerungsabflusses bedeutend überschreitet. Das Deutsche Reich ist noch lauge nicht übervölkert; an zahlreichen Stellen sind die Bewohner sogar noch dünne gesät, und diese Gegenden leiden besonders noch, weil aus ihnen mehr und mehr Personen nach den großen Städten nnd den Jndustriecentren eilen.' Die Arbeitskraft eines einzelnen Individuums wiegt nicht schwer; aber ein sich regelmäßig Jahr für Jahr wiederholender Verlust von 50000 kräftigen Händen bedeutet für den Staat und das wirtschaftliche Leben sehr viel, denn die gesunde Arbeitskraft der Bevölkerung bildet einen wichtigen Faktor zur Beförderung des Nationalwohlstandes. So weit sind wir noch lange nicht und werden auch nie dahin kommen, daß die Maschinenkraft die Menschenarbeit völlig ersetzt. Und je komplizierter die Maschinen selbst werden, um so mehr Hände sind zu ihrer Herstellung nötig. ,
Der Grund für die Auswanderung ist sehr verschieden; aber in den meisten Fällen treibt doch die Hoffnung, anderswo einen größeren Verdienst und damit eine bessere Existenz zu gewinnen. Das wird schon dadurch bewiesen, daß die große Zahl der Auswanderer aus Gebieten stammt, die am meisten unter der herrschenden Geschäftsmisere leiden, in der zeitweise wohl eine kleine Erleichterung eintritt, von deren wirklichem Verschwinden aber leider nichts zu bemerken ist. Die auf allen Gebieten eingetretene Ueberproduktion ist längst vermindert. Bedarf und Produktion müßten wenigstens anfangcn, einander auszugleichen; aber der unheimliche, schwere Druck, der über ganz Europa lagert, wirkt gar zu lähmend. Bestände eine greifbare Gefahr, cs würde schneller eine wirtschaftliche Entscheidung eintreten, weil Jeder wüßte, woran er wäre; aber die jetzige unbestimmte Luge schafft hochgradiges Mißtrauen, lähmt Kauflust und Unternehmungsgeist. Weil Niemand weiß, was die nächsten Monate bringen werden, wird Jeder vorsichtig und versucht, sich nach allen Seiten zu decken. Eine solche Zeit wirkt durch alle Schichten der Bevölkerung. sie ist, wie die Zahlen beweisen, die beste Förderin der Auswanderung. Und doch ist diese ganz zwecklos. Es ist ja bekannt, daß in den Vereinigten Staaten von Nordamerika die Geschäftslage mindestens ebenso ungünstig ist, wie in ganz Europa, daß nur ein sicheres Engagement allenfalls veranlassen kann, den Weg über den Ozean zurückzulegen. Auch die Landarbeiter sind dort schlimm daran; es herrschen Verhältnisse, die ganz verschieden von den unseligen sind, die aber keine Besserung bedeuten. Geradezu ein Wahnsinn ist es, den Verlockungen südamerikanischer und australischer Landagenten Folge zu leisten. Diese versprechen zwar einen scheinbar hohen Lohn, aber sie sagen nichts von dem teuren Lebensunterhalt, der unsagbar mühevollen Arbeit, welche den des Klimas ungewohnten Weißen
; unerhörte Anstrengungen zumutet und sie in ein frühes ; Grab bringen kann. Was Tausende von Jndustriel- ! len. Tausende von Landleuten, sich oft schon gesagt ! haben und immer wieder lsagen müssen: „Geduld und Thätigkeit!" das müssen auch die auswanderungs- ^ lustigen Elemente sich sagen. Es ist unmöglich, der j Mißgunst der Zeiten zu entrinnen, wenn sich dieselbe ! auf alle zivilisierten Staaten erstreckt. Da heißt es l „kämpfen", denn schließlich wird doch einmal eine ! Aenderung eintreten müssen, sei es nun im Guten ! oder im Schlimmen!
Tages-Neuigkeiten.
Deutsches Reich.
! * Nagold, 19. August. Durch den seit ei--
. nigen Tagen reichlich eingetretenen Regen ist Hoff- ^ nung gegeben, daß unsere Kartoffeln, Kraut, Boh- ^ neu re. rc., besonders aber das Herbstfutter noch ei- ! nen befriedigenden Ertrag liefern werden. Der Milch- ! aufschlag ist hier kein allgemeiner, wie man aus dem; Inserat in Nr. 96 etwa schließen mußte, sondern! manche den zu billigenden Grundsatz festhalten, daß ^ ! ein Aufschlag nicht gerechtfertigt, weil im vorigen Jahre l bei reichlichem Fgtterertrag nicht einer von einem! Abschlag auch nur geträumt habe.
Stuttgart. Heute rücken die Ersatzreservisten > 1. Kl. zur Ableistung der ersten (zehnwöchentlichen) ^ Hebung bei allen Truppenteilen ein. Dadurch, daß! die meisten Truppen jetzt die Garnison verlassen haben, können die Ersatzreservisten überall in den Kasernen untergebracht werden, wodurch eine Einqar- tierung bei den Bürgern vermieden wird.
DieReise des Reichskanzlers nach Kissing en hat sich besonders auf bayerischem Boden! gleichsam zu einem Triumphzuge gestaltet. Auf allen Stationen waren Menschenmassen versammelt, welche den Fürsten aufs Lebhafteste begrüßten. In Kis- singen wurde er mit geradezu frenetischem Jubel empfangen.
Die bayerischen Minister v. Lutz und v.! Crailsheim sind am Dienstag abend von München > zum Besuch des Fürsten Bismarck nach Kissingen gereist, der Botschafter Herbette von Paris nach ^ London zu Salisbury. >
Metz, 17. Aug. Zum Besuche der Schlacht-; selber und zur Bekränzung der Gräber der in den l Schlachten um Metz Gefallenen sind heute hier aus Hamburg 400, aus Sachsen über Straßburg kommend 850 Mitglieder der Kriegervereine eingetroffen; dieselben wurden hier festlich begrüßt. Der Zug führte einen ganzen Waggon voll Kränze mit sich.
Der „Evangelische Bund" hat sich am Dienstag in Frankfurt a. M. konstituiert. Zum Vorsitzenden wurde der bisherige Vorsitzende des provisorischen Vorstandes. Graf v. Wintzingerode-Boden- stein, zu dessen Stellvertreter Konsistorialrat Pfarrer Dr. Ehlers aus Frankfurt gewählt. Nach § 1 seiner Statuten will der „Evangelische Bund zur Wahrung der protestantischen Interessen" gegenüber den äußeren und inneren Gefahren, welche dem deutschen Protestantismus drohen, dazu Mitwirken, daß dem deutschen Volk die Segnungen der Reformation erhalten und immer weiter erschlossen werden. Als Jahresbeitrag ist 1 ^ für Männer wie Frauen festgesetzt. Aus Anlaß von verschiedenen Anträgen wurde l ausdrücklich erklärt, daß der „Evangelische Bund"
! durchaus nicht an dem Bekenntnisstand der einzelnen ' Landeskirchen etwas zu verändern beabsichtige. Dem ! Kaiser wurde die Konstituierung telegraphisch ange- ! zeigt. Der „Evangelische Bund" umfaßt bis jetzt
10000 Mitglieder, darunter ungefähr 8j000 Laien und 2 000 Geistliche. Unter den Laien bilden die Lehrer mit ungefähr 2 500 die größte Zahl, die der Frauen ist 209. Im Westen und Südwesten ist die Bewegung am stärksten, einen weiteren Hauptherd derselben bilden die sächsischen Länder.
Der Verein deutscher Spiritusbrenner, Berlin N. Jnvalidenstraße 42, hat jetzt seinen Aufruf zur Bildung einer großen Aktiengesellschaft aller deutschen Spiritusfabrikanten versandt. Die Gesellschaft erstrebt die Verdrängung des Einflusses der jetzigen Großhändler und Exporteuren, indem sie den gesamten Spiritushandel im Jnlande, wie nach dem Auslande, in ihren Händen konzentrieren will. Sie bestimmt die Preise und bewirkt den Verkauf, stellt also in Wahrheit ein Verkaufsprivilegium (das heißt ein Privat-Spiritns-Monopol) in Aussicht. Den Brennereibesitzern wird ein Preis von 50 pro Hektoliter zugesichert, soweit die Produktton den Jn- landbedarf nicht übersteigt, dazu kommt noch eine Prämie von 20 für das Quantum, welches als mit 0,50 ^ zu versteuern jeder Brennerei zufällt. Nach dem Auslände wird die Beseitigung aller fremdländischen Konkurrenz auf dem Spiritusmarkte angestrebt. Daß die Thätigkeit einer solchen Gesellschaft eine ungeheure Umwälzung im ganzen wirtschaftlichen Leben Hervorbringen muß. liegt auf der Hand. An ein Zustandekommen der Gesellschaft wird stark geglaubt.
Berlin, 16. Aug. Die „Nordd. Allg. Ztg." sagt, den telegraphischen Nachrichten aus Tirnowa zufolge habe der Prinz von Koburg am 14. August den Eid auf die Verfassung geleistet und eine Proklamation erlassen, worin er sich „von Gottes Gnaden" nenne, zu seinem „freien" Volke spreche und anzeige, daß er den Thron der hochberühmten bulgarischen Zaren bestiegen habe; die Proklamation schließe mit den Worten: „Es lebe das freie und unabhängige Bulgarien!" Der Mächte und des Sultans geschehe keine Erwähnung und der ganze Zusammenhang der Kundgebung erwecke den Anschein, als ob sie die Bedeutung einer Unabhängigkeits-Erklärung haben solle.
Berlin, 17. Aug. Die Fahnenweihe findet morgen auf Babelsberg statt. Hieran schließt sich eine Festtafel zu Ehren des Geburtstages des Kaisers von Oesterreich an.
Berlin, 17. Aug. Aus guter Quelle erfährt die Börsenztg., daß der Reichskanzler bei seiner jüngsten Anwesenheit in Berlin auch Gelegenheit fand, sich zu einflußreichen Personen in dem Sinne auszusprechen, daß ec die Erhöhung der Getreidezölle für unbedingt im Interesse des Landes liegend betrachte.
Eine am letzten Sonntag in Stendal abgehaltene Versammlung der Getreidehändler und Müller aus der Altmark beschloß, den Reichskanzler zu bitten, durch schleunige Maßregeln die Einfuhr minderwertigen Getreides zu verbieten, um so einer Ueber- flutung des Marktes vorznbeugen.
Der deutsche Handwerkertag in Dortmund nahm nach langer und zeitweise recht stürmischer Debatte eine Resolution an, wonach die Handwerksmeister in allen Orten Deutschlands aufgefordert werden, Fach-Innungen zu gründen und dem allgemeinen deutschen Handwerkerbunde beizutreten. Weiter wurde beschlossen, eine Denkschrift an den Fürsten Bismarck um Einführung des Befähigungsnachweises für alle Gewerbe zu richten.
Oesterreich-Ungarn.
Wien, 16 . Aug. Gestern traten in Prag