Kraft einhergehenzu sehen. Der Reichskanzler Fürst Bismarck blieb dem Kaiser zur Seite und erhielt von ihm das Zeichen zum Beginne der Feierlichkeit. Während Fürst Bismarck die Urkunde verlas, blieb der Kaiser vor seinem Thronsessel helmbedeckt stehen. Der Fürst las anfangs mit etwas leiser Stimme, dann aber hob sich dieselbe und die Worte: Ord­nung, Freiheit und Gerechtigkeit" sprach er besonders betonend. Im Berichte derNat. Ztg." wird noch besonders bemerkt: Von ergreifender Wirkung war es, als der Kaiser entblößten Hauptes im strömen­den Regen den Reichskanzler und den Generalfeld­marschall Moltke zu sich heranrief und ihnen, die sich tief verneigten, die Hand bot. Auch der bahr. Bevollmächtigte und der Reichstags-Präsident v. Levetzow wurden vom Kaiser herangerufen und mit einer Ansprache beehrt.

Berlin, 10. Juni. In den Grundstein des Reichstags-Gebäudes wurden versenkt: 1. Der Erlaß An das Deutsche Volk", gegeben im Hauptquartier Versailles, den 17. Januar 1871, betr. die Erneue­rung der deutschen Kaiserwürde; 2. die Verfassung des Deutschen Reiches; 3. das Handbuch für das Deutsche Reich auf das Jahr 1884; 4. die Bauge­schichte des Reichstagsgebäudes; 5. Pläne der Stadt Berlin und ihres Weichbildes; 6. ein vollständiger Satz der Reichsmünzen, zusammengestellt aus Prä­gungen aller deutschen Münzstätten.

Die demokratischeFrankfurter Zeitung" schreibt über die Grundsteinlegung zum Reichstagsgebäude: Der Gesamteindruck des festlichen Aktes war ein imposanter und würdiger und trug doch nicht ganz den militärischen, höfischen Karakter, den man nach dem Programm voraussetzen konnte. Es würde nichts geschadet haben, wenn die Abgeordneten sich etwas zahlreicher eingefunden hätten. Anwesend wa­ren übrigens auch mitten unter der evangelische» Geistlichkeit Propst Aßmann und Kuratus Scholz von der katholischen St. Hedwigskirche. Es ver­dient das gegenüber den Auslassungen gewisser ka­tholischer Blätter Erwähnung. Es muß auch aner­kannt werden, daß Hofprediger Kögel in seiner marki­gen Weihrede alles vermied, was Anhänger anderer Konfessionen verletzen konnte."

DieMagd. Ztg." zieht eine Parallele zwi­schen dem Niederwald-Denkmal und dem Reichstags­bau, welche schließt:Das Siegesdenkmal auf dem Niederwald weist auf eine waffenstolze, ruhmvolle Vergangenheit zurück; das Reichstagsgebäude am Königsplatz läßt uns auf eine verborgene, aber gewiß an Großthaten des Friedens jener Vergangenheit ebenbürtige Zukunft ahnen. Dort grüßt uns Erfüllung entgegen, hier regt uns Verheißung zu neuen An­strengungen an. Das Siegesdenkmal am Nieder­wald besagt, daß voraussichtlich auf lange Zeit hin­aus die Kriegsentwickelung Deutschlands abgeschlossen ist; das Reichstagsgebäude am Königsplatz deutet darauf hin, daß die Friedensentwickelung unseres Vaterlandes in unaufhaltsam aufsteigender Linie be­griffen ist. Mögen die Friedensthaten der Zukunft, welche das neue Reichshaus zu verzeichnen haben wird, jenen staatsgründenden Kriegsthaten der Ver­gangenheit ebenbürtig sein und immer zum Heil und Segen dienen für Kaiser und Reich!"

Berlin, 10. Juni. Der Ausschuß der Ge­sellschaft fürdeutsche Kolonisation" überreichte der Transvaaldeputation gestern eine Bewillkommnungs- Adresse. Präsident Krüger dankte sehr herzlich und sprach die Hoffnung und den Wunsch aus, das gute Einvernehmen zwischen Deutschland und den Trans- vaal-Boern, die sich stets als zur deutschen Nation gehörig betrachten, werde künftighin sich noch ver­stärken und eine noch engere Verbindung beider Staaten herbeisühren. Er habe vor dem Kaiser ausgesprochen, daß, wie das Kind bei den Eltern, so auch Trans­vaal bei dem starken mächtigen Mutterlande Deutsch­land und dessen ruhmreichem Herrscherhause Rückhalt suchen nnd hoffentlich finden werde.

Berlin, 10. Juni. Die Transvaaldeputation machte gestern nachmittag dem Fürsten Bismarck und den aktiven Ministern Abschiedsbesuche und reiste, von dem Geheimen Legationsrat v. Kusserow an den Bahnhof geleitet, abends nach Amsterdam ab.

Das Erscheinen der Transvaal-Deputation gilt wesentlich der Anknüpfung oder vielmehr Ordnung der handelspolitischen Beziehungen zwischen dem neu in Transvaal aufgerichteten Freistaat und dem Reiche. Daß es in nicht allzu ferner Frist zum Abschluß eines förmlichen Handelsvertrages kommen wird,

glaubt man allgemein. Von Angra Pequenna nach Transvaal ist keine allzu große Entfernung und für die deutsche Niederlassung, die dort im Entstehen ist, hat es Wert, ein befreundetes, geordnetes Staats­wesen in Südafrika selbst zum Nachbar zu haben.

Die Bautätigkeit in Berlin ist in diesem Jahre größer als seit lange. Vorgestern wurde am Ale­xanderplatz das Grand Hotel eröffnet, das in seinen fünf Stockwerken 200 Zimmer zählt.

Oesterreich-Ungar«.

Wien, 10. Juni. (Prozeß Stellmacher.) Aus den polizeilichen Protokollen wird auch folgende Aus­sage Stellmachers verlesen:Wir machten uns zur Pflicht, nur das zu gestehen, was uns bewiesen wird." Nach den Plaidoyers des Staatsanwalts und des Verteidigers sagt Stellmacher:Das Verbrechen, dessen ich mich schuldig bekenne, und das Verbrechen, das bei Eifert vorgekommen ist, sind gewiß schreck­liche Verbrechen; aber wenn die Kinder schon im Mutterleibe vernachlässigt und sozusagen ermordet werden und keine Erziehung genießen, und wenn eben aus diesen Kindern diese Kreaturen heranwachsen, die diese Verbrechen verüben, so ist das ein noch schlim­meres Verbrechen."

Ein interessanter Preßprozeß hat sich kürzlich vor den Geschworenen in Preßburg abgespielt. Es handelte sich um einen Artikel ocs Königlichen Rats Professor Dr. Karl Nendtwich, eines Greises von 72 Jahren, den derselbe in der in Ungarn üblichen geharnischten Sprache gegen die jüdische Oberherr­schaft und Bevormundung auf allen Gebieten im Allgemeinen und gegen das jüdische HauptblattPester Lloyd" im Besonderen und zwar zur Abwehr auf ganz haarsträubende persönliche Angriffe dieses Blat­tes geschrieben hatte. In besagtem Artikel hatte die Staatsanwaltschaft eine Aufreizung zum Haffe gegen die Juden, ja eine Aufforderung zum Aufruhr er­blickt und nach Verlesung der Anklageakte, in welcher er den Angeklagten als ein blutdürstiges Ungeheuer dargestellt hatte, eine schwere, mehrjährige Gefäng­nisstrafe beantragt. Der Schärfe des Anklägers blieb die Verteidigung durch den Reichstagsabg. Dr. Racz und die Selbstverteidigung des Angeklagten Nichts schuldig, welcher gegen den Schluß sich an die Geschworenen wendete mit den Worten:Wenn Sie nun dies, löbliches Geschwornengericht, wünschen, wenn Sie wünschen und wollen, daß der St. Ste­fansdom eine jüdische Synagoge werde, wenn Sie wünschen, daß das erhabene Kreuz des Christentums, an welches das Judenvolk den göttlichen Erlöser der Menschheit geschlagen hat, in den Kot getreten werde; wenn Sie wünschen, daß über die hohe christliche Moral der schnöde Börsianismus, die völkermörde­rische Moral des Talmud siege: dann verurteilen Sie mich! Ich werde das Urteil mit Resignation annehmen, aber mit dem Bewußtsein, daß ich für das Wohl der Menschheit, für die erhabenen Prin­zipien des Christentums und für die ewigen Gesetze der Moral geduldet und gelitten habe! Wünschen Sie dies jedoch nicht, sondern wollen Sie, daß das Christentum auch fernerhin über seine Feinde und über die niedrige Denkungsweise des Judentums siege, daß unser mit Blut erworbenes Land auch fernerhin das Eigentum seiner rechtmäßigen Einwoh­ner bleibe: dann sprechen Sie mich frei!" Mit 11 gegen 1 Stimme erfolgte unter endlosen Hoch- und Eljen-Rufen die Freisprechung des Angeklagten. Frankreich.

Auch das offiziöse JournalParis" befürwortet, daß man den 30. Mai, den Todestag der Jungfrau von Orleans, als zweites Nationalfest feiere; sie schreibt:Es genügt, die Tribüne zu besteigen und den betreffenden Antrag zu stellen. Wer würde wa­gen, ihn zu bekämpfen? Die ganze Presse würde sich einer so edelmütigen Idee anschließen. Wir haben das Fest der Freiheit. Wir müssen das Fest des Patriotismus haben. Die Vestalinnen ließen nie das heilige Feuer ausgehen, das auf ihrem Altar brannte. Die Vaterlandsliebe ist auch ein heiliges Feuer, das wir fromm nähren und unfern Söhnen als Erbschaft hinterlassen müssen. Es ist nützlich, daß man jedes Jahr das Fest derjenigen feiert, welche das Gebiet zurückerobert hatten. Dies wird uns jedes Jahr daran erinnnern, daß auch wir Gebiet zurück­zuerobern haben. Dies ist ein patriotischer Gedanke, der immer lebendig bewahrt werden muß, ein Ge­danke, der über dem Haß der Parteien und dem klein­lichen Ehrgeiz schwebt." In einer gewissen Ueber- einstimmung hiermit schreibt Rochefort'sLanterne"

in einem Artikel: . . . Heute haben wir nichts mehr zu fürchten und bald werden wir es sein, welche von den Preußen Rechenschaft verlangen über ihre in den Jahren 1870 und 1871 begangenen Diebstähle und Mordthaten. An diesem Tage wird sicherlich in Berlin eine Revolution ansbrechen und die Republik das Kaiserreich ersetzen, das inmitten eines Orkans der Volkswut zusammenbrechen wird." Was so ein revanchetoller Franzose alles weiß und erwartet! Den Deutschen aber muß man angesichts solcher Kundgebungen immer und immer wieder die alte Cromwell'sche Mahnung zurufen: Vertraut auf Gott und haltet euer Pulver trocken. Belgien.

Belgien hat aufgehört, ein liberales Kabinet zu besitzen. Bei den vorgestern stattgefundenen Kam­merwahlen haben die Liberalen eine ungeheure Nie­derlage erlitten. Bisher saßen in der Kammer 79 Liberale und 59 Klerikale; jetzt kehrt sich das Ver­hältnis um: 85 Klerikale und nur 53 Liberale. Wie ein Telegramm aus Brüssel meldet, will das Kabinet sofort zurücktreten und hat dem Könige be­reits sein Entlassungsgesuch überreicht. Der Jubel über den Sieg ist auf der ganzen klerikalen Linie natürlich groß.

England.

In London sind im verflossenen Jahre amt­lichen Erhebungen zufolge 44 Personen buchstäblich verhungert.

Rußland.

Der Kaiser und Deutschland. Als beim Em­pfang der zurückkehrenden Kaiserin durch den Kaiser der kaiserliche Zug in Gatschina anlangte, begab sich der Kaiser in den Salonwagen und nach erfolgter Begrüßung traten die kaiserlichen Herrschaften auf den Perron. Hier sagte der Kaiser zu der Kaiserin absichtlich so laut, daß alle Anwesenden es hören konnten: er sei sehr glücklich, daß Ihre Majestät wohlbehalten zurückgekehrt sei, aber wenn möglich noch glücklicher, daß ihre Reise dazu bcigetragen habe, die Bande der Freundschaft, welche die Höfe von Berlin und St. Petersburg vereinigen, noch fester zu knüpfen.

Spanien.

Madrid, 10. Juni. Der Ministerrat hat be­schlossen, daß von den 15 Mitgliedern der schwarzen Hand, die zum Tode verurteilt worden sind, 7 diese Woche in Leres hingerichtet werden sollen; für die übrigen ist die Todesstrafe in lebenslängliche Zucht­hausstrafe umgewandelt worden.

Bulgarien.

Bulgarien hat das serbische Ultimatum abge­wiesen, der serbische Gesandte hat Sofia verlassen. (Ein Weltbrand wird aus diesem Zwischenfall wohl kaum entstehen.)

Türkei.

Konstantinopel, 11. Juni. Die Pforte lehnt ab, die Konferenz zu beschicken, sofern nicht die ganze egyptische Frage beraten werde oder nicht vor­her ein Einvernehmen über die egyptische Frage zwi­schen England und der Türkei erfolge.

Egypten.

Wie man derDaily News" aus Assiut in Oberegypten meldet, ist der Versuch der Steuer­erhebung in natura vollständig fehlgeschlagen. Die Fellahs verweigern auf das hartnäckigste die Steuer­zahlung sowohl in Geld wie in natura. Es zeigt sich zwar kein offener, allein ein trotziger passiver Widerstand, welcher von den Schecks und Notabel» begünstigt wird. Die Regierung steht, bis 4. Juli vor einem absoluten Bankerott. Es ist kein Schil­ling vorhanden für die laufenden Ausgaben, und der Finanzminister befahl die sofortige zwangsweise Ein­treibung der Steuern, eventuell den sofortigen Ver­kauf der Ländereien der stcuerrückständigen FellahS. Der Korrespondent derDaily News" befürchtet, diese Exekutionen könnten einen Bürgerkrieg verursa­chen, und die Europäer in Ober-Egypten schicken be­reits ihre Familien nach Kairo.

Handel L Verkehr.

(Konkurseröffnungen.) Michael Stark, Rößles- wirt in Holzmaden. Gebrüder Lorenz, Kunstmühlc in Neustalt.

Ulm, 12. Juni. (Wallmarkt.) Die Zufuhren zu dem diesjährigen Wollmarkt sind so bedeutend, dast die großen, dazu bestimmten Hallen nicht ausreichen und noch weitere Lo­kalitäten zur Verwendung genommen werden müssen.

Tettnang, 6. Juni. Der Stand der Hopsen ist im allgemeinen befriedigend. Die Pflanze ist frei von Krankheit und Ungeziefer. In bänglicher Voraussicht auf schlechte Preise haben deshalb hier viele Großbauern einen Teil ihres Ertrags