Berlin. In der ersten Sitzung des Reichs­tags nach Ostern wurde zunächst das Thema der massenhaften Urlaubsgesuche variirt:Ich habe ein Weib genommen, darum kann ich nicht kommen," so schallte es auch aus einer Reihe von Zuschriften, hervor, die zum Teil mit lebhafter Heiterkeit ausge­nommen, aber samt und sonders abschlägig bcschie- den wurden. Die großen Lücken, welche fortdauernd die Bänke des Reichstags zeigen, haben in Bezug auf Urlaubsbewilligung eine sehr schlechte Stimmung geschaffen und man will nicht 'alle Tagebeschluß­unfähig" sein.

Der Reichstag überwies in seiner letzten Sitzung das Militär-Reliktengesctz der Kommission und beendigte die zweite Beratung des Hilsslasscngesetzcs. Die Verhandlung bewegte sich um die politische Seite der Vorlage. Zunächst wurde die noch ausstchende Abstimmung über die Aussichtsinstanz vorge­nommen und es gelangte der Kommissiousvorschlag zur An­nahme, daß nur solche höhere Verwaltungsbehörde» mit der Aufsicht zu betrauen sind, denen die Aussicht über die kommu­nalen Verwaltungsangelcgcnheiten obliegt. Ebenso siegte die besonders von der Linken verfochtene Auffassung der Kommis­sion bezüglich der Vorkehrungen gegen >Partciinis;brauch der Hilfskasscn. Die Kommission hatte die vorgeschlagcnc Straf­bestimmung einfach gestrichen, die Konservativen beantragten Wiederherstellung derselben; die Ablehnung erfolgte jedoch mit IK2 gegen 100 Stimmen. Die Debatte über das Pensions- Gesetz am 25. April, hat mit einer wiederholten Disharmonie zwischen der Regierung und der großen Majorität des Hauses geendigt. Mit Ausnahme der Konservativen hat kein Vertreter einer anderen Partei das Privileg der Steuerfreiheit der Offi­ziere, woran Fürst Bismarck und der Kriegsminister fcjthaltcn, zu billigen vermocht und aus den Red.'» der Abg. Richter und Windihorst, von Bernnth und Reichenspcrger klang mit zwin­gender Ueberzeuguug der eine Ton heraus: Wir können und wollen nicht zugcben, daß eine Klasse von Staatsbürgern aus Gründen, die unhaltbar sind, der Pflicht des Beitrages zu den Kommunallasten sich entziehe. Vergebens versicherte der Kriegs- Minister, diese Frage gehöre gar nicht in das Gesetz hinein. Auch die Hilfe, die Herrn v. Bronsart gebracht wurde, indem der Abg. Graf Moltke für die Vorlage sprach, wird nach Lage der Sache wirkungslos bleiben. Der Redner sprach von dem preußischen Kleinadel, der im Heeresdienste verarmt sei und nun nicht noch obendrein durch Heranziehung zur Gcmcinve- steucr gleichsam bestraft werden dürfe. Mit dieser Vorlage scheint die Regierung kein Glück zu haben.

Berlin, 24. April. Der Reichstag wird außer der Hilskaffengesetznovelle schwerlich noch eine weitere Vorlage von Bedeutung in dieser Session erledigen, welche mit Riesenschritten ihrem Ende zu­zugehen scheint. Es herrschte heute in Abg.-Kreisen fast nur eine Stimme darüber, daß die Auflösung im Mai und voraussichtlich schon in der ersten Hälfte dieses Monats erfolgen werde.

Berlin, 26. April. Die Kommission für das Reichstagsgcbäude hat in ihrer jüngsten Sitzung den ganzen Grundriß des Gebäudes genehmigt. Schon im nächsten Jahre hofft man den Bau bis zum Haupt­stockwerke fördern zu können. Die Vollendung des Ganzen wird bis 1892, also in acht Jahren, erhofft.

Berlin, 26. April. DerKreuzztg." wird aus Nom gemeldet:Wie man vernimmt, acceptiert der Papst die Resignation Ledochowski's auf das Erzbistum Posen; das Posener Kapitel verzichtet auf die Wahl des neuen Erzbischofs, welchen der Papst im Einvernehmen mit der preußischen Staatsregierung demnächst ernennen wird."

Berlin. Der Gesetzentwurf über den Fein­gehalt von Gold- und Silberwaaren wurde heute von der Kommission im Wesentlichen nach der Re­gierungsvorlage mit den Anträgen von Karsten, Per­rot, Härle, Göler, Arnswald und Klumpp in zwei­ter Lesung angenommen. Darnach darf auf golde­nen und silbernen Geräten (Tafel-, Haus-, Kirchen- geräten'j und Uhrgehäusen, auch wenn sic zum Ex­port bestimmt sind, der Feingehalt nur angegeben werden, wenn derselbe bei Silber mindestens 800, bei Gold mindestens 585 Tausendthcile beträgt. Die Form des Stcmpelzeichcns bestimmt der Vun- desrat. Goldene und silberne Schmucksachen unter­liegen jener Beschränkung betreffs der Höhe des Fein­gehalts nicht. Der Bundesrat bestimmt für sie keine Stempelzeieben; Fabrikant und Verkäufer haften aber auch bei Schmucksachcn für den auf denselben ange­gebenen Feingehalt. Gold- und Silberwaren müssen im Ganzen eingeschmolzen den Feingehalt haben, ab­gesehen von etwaigen metallisch nicht verbundenen Verstärkungscinrichtungen rc. Uebertretungcn werden schwer bestraft. Einführungstermin ist der 1. Ja­nuar 1888. Die Kommission faßte die sämtlichen Beschlüsse einstimmig. Der Bundeskommissär Bödi- ker erklärte bezüglich eines der von der Vorlage ab­weichenden Beschlüsse, derselbe sei unannehmbar.

In der heutigen Sitzung der Reichstagskom- miisivn für das Sozialistengesetz kam der beabsichtigte Gesetzentwurf bezüglich Bestrafung der verbrecheri­

schen Anwendung von Sprengstoffen ebenfalls zur Sprache. Eugen Richter erklärte dabei, daß seine Partei zwischen Sozialisten und Anarchisten unter­scheide. Das Gesetz, betreffend die Sprengstoffe, er­fordere schleunigste Erledigung und schärfste Formu­lierung. Er frage dabei, weßhalb die Regierung noch nicht mitteilte, daß zwei Anarchisten, welche mit sieben anderen wegen bekannter Vorgänge, darunter der vielgenannte Neinsdorf, in Elberfeld und Frank­furt verhaftet wurden, aussagtcn: sie hätten während des Nationalfestes am Niederwald in einer Drain- röhrc des Denkmals scchszehn Pfund Dynamit ge­legt, am Einweihungstage habe aber die Bvdennässe die Explosion verhindert. (Der Einweihung wohn­ten bekanntlich die Kaiserfamilie und ein Teil der deutschen Fürsten bei.) Zwei Tage später hätten sie das Dynamit entfernt, welches dann in einem Festzelt auf einer Nheinwicse ohne Schaden explo­dierte. (Der Berliner Korrespondent der N. Züri­cher Ztg. bemerkt aus diesem Anlaß, daß, als er im September dem Nationalfest beiwohnte, in der That während der Festlichkeiten im großen Festzclte nahe beim Buffet eine Explosion erfolgte, welche die Zelt­wand zerriß, aber keinen Menschen beschädigte. Die Urheber blieben unbekannt. Damals wurde die Rache eines entlassenen Kellners vermutet. (??)

Leipzig, 26. April. Der vor kurzem in hohem Alter hier verstorbene Buchhändler Karl Phil. Tauchnitz, der schon bei .Lebzeiten in aller Stille außerordentlich viel Gutes den Armen erwiesen, hat die Stadt Leipzig zur Universalerbin seines etwa 4 Millionen Mark betragenden Vermögens eingesetzt mit dem Wunsche (nicht Bedingung!, daß die Zin­sen des Kapitals zu 9 Zehnteln hiesigen städtischen Wohltätigkeitsanstalten zufließcn sollen. Es ist dies in wenigen Jahren die dritte Millionenerbschaft, die von Leipziger Bürgern dem öffentlichen Wohle ge­widmet wird.

Ein großes Jagdrevier ist eine schöne Sache wenn man cs benutzt. Der Zitt. Mvrgenzeitung wird aber von einem Nevierpächier bei Kottbus be­richtet, der über 1000 vlL Pachtgeld zahlt und für diese Summe im letzten Jahre zwei ganze Hasen er­leg! hat. Mit allem, was drum und dran hängt, soll dem betreffenden Jagdpächter so ein Hasenbra­ten 537 vkä 50 L kosten. Theuer, aber wahr.

Oesterreich-Ungarn.

Wien, 27. April. Fürst Alexander von Bulgarien kam heute nachmittags hier an und reist morgen mittags nach Darmstadt ab. Er erhielt gleich nach seiner Ankunft im Hotel den Besuch des Kaisers, was in dem Gefolge einige Sensation her- vorrics. Der Kaiser blieb lang und dankte herzlichst für den dem Kronprinzenpaar bereiteten Empfang. Schweiz.

Aufhebung des Impfzwanges. Wie aus Bern telegraphiert wird, hat die Landsgemeinde Appenzell-Außerrhodcn den kantonalen Impfzwang aufgehoben.

Frankreich.

Pari S. Die Gazette de France weist darauf hin, daß Ferry das Programm Gambettas, um je­den Preis Englands Bündnis als Stütze gegen Deutschland, verlassen habe und jetzt auf dem Punkte tehe, vollständig mit England zu brechen. Die Ga­zette erhebt den Vorwurf gegen Ferry, er suche ge­gen England Beihülse in Berlin.

In Paris ist man anscheinend entschlossen, die Verlegenheit des englichen Kabiuets in der egyp- tischen Frage nach Kräften auszunützen. Alle Blät­ter sind einstimmig darin, daß die Gelegenheit be­nutzt werden müsse, um eine alte Schwarte auszu­wetzen und Frankreich den ihm geraubten Einfluß auf Egypten wiederzngewinncn und um England mürbe zu machen, deutet man -an, daß die franzö- ische Regierung mehr Zeit habe als die englische und sich über die geplante Konferenzkaum vor Wochen" äußern werde.

England.

London, 25. April. Am Mittwoch früh brach in dem Bell Hotel in der Old Baily in London ein Brand aus, der leider mehrere Menschenleben kostete. Die Flammen, welche im Erdgeschosse zum Ausbruch umen, ergriffen rasch die zu den obern Stockwerk- Geschossen führenden Holztreppen. Der Besitzer des Gasthauses, Herr Billinghurst, stürzte nach dem dritten Stockwerke, wo seine Schwägerin und zwei Kellne­rinnen schliefen, weckte sie und forderte sie auf, ihm rasch zu folgen. Mit Mühe gelaugte er noch ins s

Freie; die Frauenzimmer, die anscheinend ihre Klei­der anzogen und noch etwas retten wollten, waren zurückgeblieben und sahen eine Minute später den Ausgang versperrt. Sie erschienen am Fenster und riefen verzweiflungsvoll um Hilfe, die ihnen jedoch trotz aller heldenmütigen Versuche Billinghursts und zweier Polizisten, welche von dem Dache des Nach­barhauses einen Rettungsversuch machten, nicht mehr gebracht werden. Ehe die Feuerwehr erschien, war der obere Teil des Hauses eingcstürzt und alle drei Frauenspersonen waren in den Flammen umgekom­men. Das Feuer wurde bald bewältigt; die Leichen fand man in verkohltem Zustand.

Portsmouth, 28. April. Die neue,^im Bau befindliche Kavalleriekaserne ist heute eingestürzt, sämt­liche als Arbeiter beschäftigte Sträflinge wurden unter den Trümmern begraben; man fürchtet, daß viele derselben getötet sind.

Spanien.

Madrid, 28. April. Auf der Eisenbahn zwischen Badajoz und Cindadreal fand gestern eine Entgleisung statt. Der Eisenbahnzug stürzte in den Fluß. Die Zahl der Toten beträgt mehr als 60, darunter sind gegen 50 beurlaubte Soldaten. Die Journale glauben, der Unfall sei von verbrecherischer Hand herbeigeführt.

Madrid, 28. April. Der Bahnunfall wurde durch den Einbruch der Brücke bei Alendia herbei­geführt. Augenscheinlich ist die Schandthat durch die Revolutionäre begangen worden. Die Brücke war absichtlich beschädigt und die Beschädigungen waren künstlich verborgen worden. Der Telegraphcndraht war durchschnitten. Der Zug stürzte bis auf den Postwagen und zwei andere Wagen, die an der Brücke hängen blieben, in den Fluß.

Italien.

Nom. Es ist nicht begründet, meldet man der Kln. Ztg. aus Paris, daß der Papst nach Frankreich überzusiedeln entschlossen sei; es gilt für fast gewiß, daß er den Vatikan nicht verlassen werde. Die Nachricht der Germania, der Papst werde nach Frankreich gehen, scheint durch die Thatsache veran­laßt worden zu sein, daß Ferry aus bloßer Artig­keit dem Papst für den Fall, daß er Rom verlassen würde, Frankreichs Gastfreundschaft angedoten hat.

Rom, 24. April. Der Kriegsministcr verur­teilte die wachhabenden Offiziere jener neapolitanischen Kaserne, worin ein Soldat aus Rache ein Blutbad unter seinen Kameraden anrichtete, zu halbjähriger Festungshaft und degradierte alle Unteroffiziere der beiden Kompagnien.

Bulgarien.

Belgrad, 28. April. Das österreichische Kron­prinzenpaar ist heute früh 8^/s Uhr hier eingetroffen und sehr feierlich und enthusiastisch empfangen worden. Dasselbe wurde von dem König und der Königin durch die prächtig geschmückte Stadt nach dem Palais geleitet, wo es zunächst der Defilierung der Truppen beiwohnte und dann den Metropoliten, das diplo­matische Korps, den Senat, die Behörden und die städtische Deputation empfing. Alle Blätter bringen Festartikel und feiern den Besuch als einen Beweis der freundschaftlichen Beziehungen beider Länder.

Egypten.

Kairo, 26. April. Die Antwort der briti­schen Regierung ist eingetroffen; es wird darin er­klärt, die Expedition nach Berber sei gegenwärtig unmöglich und könnte vor vier Monaten nicht ab­gehen. Die Entscheidung wurde dem Gouverneur von Berber mitgeteilt; derselbe ist ermächtigt, wenn irgend möglich, sich zurückzuzieyen. Der Gouver­neur Dongolas suchte telegraphisch um einen Urlaub nach zur Pilgerfahrt nach Mekka.

Kairo, 28. April. Depeschen aus Berber sagen: Die Truppen fraternisieren mit der aufstän­dischen Bevölkerung auf der Flucht. Aus Khartum fehlt jede Nachricht.

Die Daily News erhalten ans Kairo die Nachricht, daß nach Berber telegraphisch der Befehl gesandt worden sei, wenn möglich die 700 Solda­ten nach Korosko zurückzuzieyen. Das Land zwi­schen Berber und Khartum befindet sich im Aufstande.

DerTimes" wird aus Alexandrien ge-, meldet: Berber wird in wenigen Tagen geräumt sein; vier Kompagnien im Ganzen 500 Solda­ten haben sich den Aufständischen angeschlossen. Drei Kompagnien kamen von Khartum in Berber an; die Lage ist eine verzweifelte.