gestellt und derselbe hat in 2 Wahlversammlungen, gestern Abend im Löwensaal und heute im Sauter- scheu Lokal nahe der Zuckerfabrik, sein Programm in gewandter und verhältnißmäßig gemäßigter Weise ent­wickelt. Er ist für eine reine Volkskammer, Abschaf­fung der 1. Kammer, unentgeltliche Justiz, unentgelt­liche Schule, Verwendung von Staatsmitteln für die arme Klasse u. s. w. Die 100 000 »lL für württem- bergische Gesandtschaften seien eine nicht gerechtfertigte Ausgabe, so lange man den armen Weichenwärtern nicht anfbessern könne; dem Justizminister, welcher vorher nur 13 000 vlL per Jahr gehabt, gönne er die 5000 v/L Zuschlag, da derselbe ja wissen müsse, wie viel er zum Leben brauche; aber nach Ansicht des Redners sollte man oben streichen und unten ausbessern. (Sollte übrigens Lutz gewählt werden, so ist das Sprichwort nicht zu vergessen, daß eine Schwalbe keinen Sommer macht!)

Schramberg, 5. März. Nachdem außer der Privatwohnung des Hrn. E. Villeroy und dem Comptoir der hiesigen Steingut- rc. Fabrik von Billeroy und Boch seit 3 Wochen auch die Fabrik selbst für Beleuchtung durch elektrisches Licht einge­richtet ist und zwar durch Ingenieur Reißer aus Stuttgart, nach dem System Edison, mit einer Gramme- und einer Edijonmaschine, ist am letzten Montag auch die bezügl. Anlage in der gräfl. v. Bissingen'schen Kunst- und Sägmühle re. erstmals in Betrieb gesetzt worden. Diese letztere Einrichtung, von der Firma C. und E. Fein, Telegraphenbau­geschäft in Stuttgart, durch deren Ingenieur P. Tutzaner ausgeführt, stellt sich mit 25 Glühlampen, System Swan und einer Maschine nach dem System Fein, deutsches Reichspatent, auf etwa 1400 und die bis jetzt in Betrieb befindlichen 21 Lampen beleuchten sowohl die große Kunstmühle mit Teig- waarenfabrik als das Sägewerk in mehr als genü­gender und zweckentsprechendster Weise. Die Ma­schine hat einen Kräfteverbrauch von 22V- Pfer­dekräfte effektiv; als Betricbsmotor für dieselbe dient vorerst das Wasserwerk der Mühle, während später, wo die elektrische Beleuchtung auch für das gräfl. Schloß w. ausgedehnt werden soll, wohl eine beson­dere Turbine ausgestellt werden dürste. Schon bei der ersten Jntriebsetzung am Montag funktionirte die Anlage vortrefflich: sie wurde freundl. Einladung zufolge am 2. Tage von zahlreichen Interessenten eingehendst besichtigt, allgemeine Befriedigung hcr- vorrufend. Die Brenndauer der Lampen, deren Lichtstärke 20 Normalkerzen gleichkommen soll, ist auf 8001000 Stunden berechnet, nach welcher Zeit die Lampen (ä Stück 5 ^lL) zu erneuern sind.

Brandfälle: In Dellmensingen (Laup- hcim) am 6. März die Scheuer des Joseph Moll; in Liggenmooö (Tettnang) am 5. März zwei aneinandergebaute Wohnhäuser.

In der letzten Woche sind nicht weniger als 15 Eheschcidungsprozesse beim Landgericht zu Frank­furt a. M. anhängig gemacht worden und zwar aus­schließlich von früheren Dienstmädchen gegen ihre Männer, welche als Tagelöhner sie nicht ernähren konnten oder der Trunksucht verfallen sind.

Entschädigung aus Unfall. Ein Kölner Bür­ger, welcher im vergangenen Herbst von einem Pser- dcbahnwagen überfahren wurde, und dem in Folge dessen der rechte Arm ampulirt werden mußte, war gegen die Kölner Straßenbahn-Gesellschaft klagbar geworden. DaS königliche Landgericht erkannte dem Kläger eine Entschädigungssumme von 20 000 ^ zu, stellte es aber der Gesellschaft anheim, statt die­ser Summe eine jährliche Pension von 1000 dem Verunglückten für dessen Lebensende auszuzahlen.

Straß bürg, 10. März. Der Landesaus­schuß beschloß in überaus stürmischer Sitzung, die gestimmte Theatersubvention im Betrage von 128 000 zu streichen. Die Folge davon dürfte die Schließ­ung der drei Theater von Straßburg, Metz und Colmar sein.

Dresden, 7. März. (Landtag.) Die Regie­rung hat bereits heute den Ständen einen Gesetz­entwurf zugehen lassen, betreffend die Befugniß zur Ausschließung säumiger Abgabepflichtiger von öffent­lichen Vergnügungsorten.

Bei dem gestrigen Empfange des Reichstags- Präsidiums äußerte der Kaiser, daß er besonderen Werth auf das Zustandekommen des MilitäiPensions­gesetzes lege. Er bedauerte die Länge der Verhand­lungen des Abgeordnetenhauses, besonders derjenigen über den Kultusetat.

Berlin, 9. März. DieNordd. A. Z." er­fährt, daß zu derselben Stunde, wo die Höllenma­schine auf der Paddington-Station in London ver­sagte, Prinz Heinrich mit dem Botschafter Grafen Münster sich daselbst in einem Zimmer gerade über dem Raum befand, wo die Maschine lagerte. Letz­tere versagte lediglich, weil das Oel in der Uhr zu dick geworden war. Bei der Berührung des Koffers durch den Polizeibeamten fing die Uhr wieder an zu gehen; bei einem regelmäßigen Gange des Uhrwerks wäre die Vernichtung des Zimmers, worin sich der Prinz befand, unvermeidlich gewesen.

Berlin, 9. März. DieNordd. Allg. Z.", das Organ des Reichskanzlers, enthält heute emeu längeren Artikel über die deutsche freisinnige Partei. Die Verschmelzung, heißt es darin, beweise, daß die bisherige Trennung auf Unwahrheit beruhte. Beide Parteien seien antimouarchisch. Die Versicherung loyaler Gesinnung sei nur Mittel zum Zweck, da die Republikaner des Namens des Kaisers oder Königs bedürften, um auf das monarchisch gesinnte Volk Ein­fluß zu gewinnen. Die im Programm ausgestellte Entwickelung eines wahrhaft konstitutionellen Lebens stehe im auffälligsten Widerspruch mit der Treue gegen die Reichsverfassung. Die Herstellung eines verant­wortlichen Reichsministeriums bedeute die Abschaffung des Bundesraths. Rickert habe seine Verfassungs­treue gleich dadurch bewiesen, daß er in die Prä­rogativen des Kaisers bezüglich der auswärtigen Po­litik einzugreifen und direkte Fühlung des Reichstags mit dem amerikanischen Reprüsentantenhause herzu­stellen versuchte. Mit ihrer Stellungnahme gegen das Armeeseptennat habe sich die neue Fraktion ihr Urtheil gesprochen. Ihre weitere Entwickelung sei mehr kulturgeschichtlich als politisch interessant.

Von Berlin schreibt man demSch. M.": Einem »On dit« zufolge sollen mit Rußland feste Abmachungen getroffen sein, die eine langjährige friedliche Epoche verbürgen. Die Nachricht ist mit Vorsicht aufzunehmen, aber etwas Wahres ist unbe­dingt daran. Sollte sich das Gerücht bewahrheiten, wonach ein 5jähriges friedliches Abkommen getroffen ist, so wäre das ein neuer Beweis von Bismarcks Wachsamkeit und genialem Eingreifen.

Wie dasBerl. Tagebl." t,ört, hat die deut­sche freisinnige Partei beschlossen, morgen im Ab- gcordnetenhause den Minister des Innern darüber zu interpelliren, welche Vorkehrungen in Neustcltin getroffen waren, um Unruhen zu verhüten und was der Minister zu thun gedenke, um der Wiederholung solcher Vorkommnisse vorzubeugen.

Berlin, 10. Marz. Das freisprechende Re­sultat der zweiten Schwurgerichtsverhandlung gegen die Juden, welche nach der ersten Verhandlung wegen Anzündung der Neustettiner Synagoge verurteilt worden waren, stand zu erwarten, da die Beweis­aufnahme diesmal zu ganz anderen Ergebnissen führte. Einige der Belastungszeugen hatten einen Theil ihrer früheren Aussagen in betrunkenem Zustande gemacht. Der Hauptbelastungszeuge, ein Schuhmacher, Namens Greiser, hatte diesmal die Aussagen, die ec machen wollte, auf einen Zettel notirt, der Zettel wurde ihm abgenommen. Zwei anderen Zeugen mußte der Prä­sident Vorhalten, daß einer von ihnen einen Meineid geleistet habe. Der Knecht Dobberstein sagte aus, daß ihm von einem gewissen Buchholz, einem Christen, lOThalcr geboten worden seien, wenn er die Syna­goge anzünde.

Neustettin, 10. März. Nachdem am Sam­stag Abend anläßlich der Rückkehr der in Könitz frei­gesprochenen Juden ein wenig erheblicher Auflauf stattgefunden, fanden Sonntags weitere Ruhestörun­gen statt, wobei Fenster eingeworfen und jüdische Einwohner insultiert wurden. Die Gendarmerie schritt mit blanker Waffe ein und stellte die Ruhe wieder her.

Oesterreich-Ungarn.

Wien, 10. März. Der Pariser Correspon- dent des Wiener Tagblatts sprach mit einem Fenier, welcher erklärte, daß es sich bei den Dynamit-Atten­taten nicht um gemeine Verbrechen und Ermordung unschuldiger Personen handle, sondern um Zerstö­rung öffentlicher Gebäude und Beseitigung polnischer Persönlichkeiten.

Wie der Kronprinz Rudolf ist auch der Erz­herzog Johann unter die Schriftsteller gegangen und hat in einer Schrift seine Lanze gegen den Spiritis­mus eingelegt. Seine Schrift trügt das Motto: Wir leben in einer Welt, wo ein Narr viele Narren, '

aber ein weiser Mann nur wenig Weise macht." Er versichert, daß es bereits viele Millionen Spiritisten gebe und daß namentlich in Oesterreich dieser gefähr­liche Wahn nicht nur unter den Webern des Braun- auer Ländchens und unter den Bauern und Arbeitern im Reichenberger Bezirke, sondern auch in vielen Schlössern des Adels sich häuslich niedergelassen habe, ja daß es in vielen Städten Spiritisten-Gemeinden gebe. Der Erzherzog legt den betrügerischen Karakter des Spiritismus genau dar (hat er doch persönlich den Hauptspiritisten Bastian als einen Betrüger ent­larven helfen). Er zeigt, daß bei den Spiritismen an die Stelle der Religion und der Wissenschaft die Aufregung, das sogen. Hellsehen und das Wunder, der blinde und schädliche Glaube an Tische, Psycho- graphen, Medien und Gespenster trete. Für die menschliche Gesellschaft, sagt er, sei es nicht gleich­gültig, wenn sich der Verbrecher ans den Zwang von Geistern berufe oder wenn der Mann, der im öffent­lichen Leben wirken soll, von einem verwirrenden Aberglauben umnachtet ist oder wenn der Spiritis­mus Schwächlingen gegenüber als Handhabe für ge­meine Zwecke mißbraucht wird.

Pest, 9. März. Ans eine Anfrage über das deutsch-russische Einvernehmen, welches den russen­feindlichen Magyaren ein Dorn im Auge ist, erklärte Tisza in einer Parteisitzung: das Einvernehmen der beiden Nordmächte wahre die Interessen des Frie­dens und lasse das deutsch-österreichische Bündniß unberübrt.

Hermann st adt (Siebenbürgen), 5. März. Der des Mordes an der Familie Friedenwanger verdächtige Kleeberg gestand, die That mit dem eben­falls verhafteten Marlin ausgeführt zu haben. Beide sagten aus, mit eisernen Ofensüßeu und schar­fen Messern Abends 8 llhr bei Friedenwanger, wel­cher mit seiner Frau schach spielte, während das kleine Kind am Boden spielte, und die Dieustmagd auf einem Sessel saß, erschienen zu sein. Klcederg verlangte ein versetztes Medaillon auszulöscn. Als Friedenwanger die Werthheiin'sche Kasse aufschloß, um das Verlangte herauszunehmen, versetzte ihm Klccberg mit einem Ofenfuß einen Schlag auf den Kopf, Marlin hieb auf die Frau ein. Beide fielen dann zugleich die Magd au und zerschmetterten ihr den Schädel, tödteteu das Lind, schnitten den Opfern die Kehlen durch, raubten die Kassen aus und ent­flohen. Frankreich.

Paris, 8. März. Es sind hier zwei neue Postdiebstähle vorgelommen. Vor 3 Wochen wurden 7 eingeschriebene Briefe auf dem Postamt Place de la Bourse entwendet. Vor einigen Tagen kam ein Brief mit 50 000 Fr. abhanden , welcher von dem Postamt Rue Taitbont nach Toulouse abgesandt wurde.

Die Kosten der Expedition nach Tonkin wer­den jetzt von französischen Blättern auf 500000 Frcs. pro Tag, also für das in Aussicht genommene Halb­jahr auf etwa 90 Millionen Frcs. berechnet.

In Frankreich hat man wieder einmal roya- listische Beklemmungen. Da der Graf von Paris in letzter Zeit wiederholt Besuche politischer Persönlich­keiten empfangen, von denen die reaktionäre Presse großes Wesen machte, verlangte die radikale Presse die Ausweisung des Grafen. Die Regierung läßt nun durch das offiziöseParis" die Gemüther be­schwichtigen und versichern, sie werde beim ersten Ver­such einer Verschwörung sofort die Ausweisung des Grafen selbst beantragen; bis jetzt liege ein stichhal­tiger Grund zur Ausweisung noch nicht vor. Rußland.

Petersburg, 7. Mürz. In dem Polizeibu- reau sind Plakate ausgehängt mit Photographien des der Ermordung Sudeiktns beschuldigten fiüheren Stabskapitüns Degajew. 5000 Rubel werdem dem­jenigen ansgesetzt, dessen Mittheilungen die Ergrei­fung des flüchtigen Degajew herbeiführen, 10 000 Rubel demjenigen, welcher an der Ergreifung des Flüchtlings selbst mitgewiikt.

Petersburg, 7. Mürz. Angesichts der neuesten Anarchistenbewegungen sagt dieMosk. Zkg.": Es wäre jetzt der günstigste Moment, die Regierungen zu gemeinsamer Aktion gegen die allge­mein verbreitete Pestbeule aufzufordern, um so mehr, als in England selbst, welches bisher den Revolu­tionären aller Länder eine Freistätte bot, politische Verbrechen und Dynamit-Attentate an der Tages­ordnung sind und England deßhalb nunmehr selbst an die Beihilfe anderer Staaten appellirt.