Berlin, 29. Juni. Fürst Bismarck ist mit seiner Gemahlin und seinem Sohne, dem Grasen Wilhelm Bismarck, heute Nachmittag um 4 Uhr nach Friedrichsruhe abgereist.j

Berlin, 29. Juni. Die Konferenz nahm gestern einstimmig die vom französischen Botschafter entworfene Schlußakte an, welche die Konferenzent­scheidung enthält. Dieselbe wird von den Bot­schaftern ihren Regierungen unterbreitet und diese theilen sie in Athen und Konstantinopel mit. Die Grenze beginnt östlich bei der Mündung des Flusses Mavrolongos und bleibt dann auf den höchsten Höhen des Olhmpvs und des Pindus. Bei Han Kalbaki erreicht sie den Lauf des Kalamas und folgt demselben bis zur Mündung. Die zagoritischen Bezirke bleiben bei der Türkei. Für die Entscheidung ist der Gesichtspunkt maßgebend gewesen, keinem der beiden Theile eine strategnisch dominirende Stellung gegenüber dem andern zuzuweisen und dem entspre­chend die Thalgrenze auszulegen. Für die Nord­westgrenze wurde der Grundsatz geltend gemacht, möglichst zu verhindern, daß Griechen mit Albanesen in direkte Berührung kommen. Die Konferenz er­ledigte dann untergeordnete Fragen, darunter die Gleichberechtigung und Freiheit der religiösen Kulte, die Regelung .der Grundeigeuthumsverhältnisse aus­wandernder Muselmänner und die Höhe des von Griechenland zu übernehmenden Antheils der türki­schen Schuld, für welche die Einwohnerzahl des abzutretenden Gebietes den Maßstab abgibt; die Feststellung des Betrags ist für später Vorbehalten. Die kais. türkischen Schlösser und Güter, welche in dem an Griechenland fallenden Gebiete liegen, sind durch angemessene Geldentschädigung der Türkei zu vergüten, während für die übernommenen Kirchen­güter ein besonderes Verfahren wegen Verbleibs muselmännischen Eigenthums Vorbehalten ist. Betreffs der Kultusfreiheit wurde nichts bedungen, da diese schon durch die griechische Verfassung hinlänglich gewährleistet scheint. Ferner wurde die Frage der Grenzpolizei und Schifffahrtsverhältnisse erledigt.

B erlin, 29. Juni. Einem Amerikaner, welcher im Sezessionskriege ein Bein verloren hat, ist es nach Jahre langen Versuchen gelungen, künstliche Beine von größter Vollkommenheit anzufertigen. Der Mann, der sich augenblicklich in Berlin aufhält, geht nicht allein ohne Stock mit Leichtigkeit, sondern vermag sich auch am Kegelschieben und Billardspiel zu betheiligen, sogar ein Tänzchen zu wagen. Er hat seine Erfindung vom Reichspatentamt patentiren lassen und sucht dieselbe in Deutschland zu verwerthen.

Berlin, 30. Juni. Die Kirchengesetz-Kom- mission des Herrenhauses hat heute mit 11 gegen 2 Stimmen die kirchcnpolitische Vorlage in der aus der dritten Lesung des Abgeordnetenhauses hervor- gegangenen Fassung angenommen.

Berlin, 30. Juni. Die Konferenz beschäf­tigte sich in ihrer gestrigen Sitzung mit den ihr von griechischer und albanesischer Seite zugegangenen Petitionen. Am Donnerstag findet die Schlußsitzung zur Unterzeichnung der Finalakte statt, welche die Entscheidung der Konferenz enthält. Am Don­nerstag diniren die Theilnehmer der Konferenz beim russischen Botschafter.

Berlin, 30. Juni. Der Schluß der Konfe­renz erfolgt morgen, spätestens Freitag. Es er­übrigt nur mehr die Unterzeichnung der Schlußakte, welche gestern festgestellt wurde, und die Entwerfung der identischen Noten an die Türkei und Griechen­land. lieber die Annahme oder Verwerfung des dezügl. Entwurfes entscheiden die Mächte.

In Berlin stand am 21. Juni eine aus 14 Köpfen bestehende Falschmünzerbande vor dem Schwurgericht. Vier der Angeklagten betrieben sehr schwungvoll die Fabrikation von falschen Fünfmark­scheinen, die klebrigen besorgten den Vertrieb der­selben. Es sollen an 15000 solcher Scheine angefertigt worden sein; ein Angeklagter gestand, deren über 1000 Stück in Umlauf gesetzt zu haben. Der Gerichtshof verurtheilte sieben der Angeklagten zu Freiheitsstrafen von 10 Jahren Zuchthaus bis herab ;u 2 Jahren Gefängnis;, die klebrigen wurden sreigesprochen.

Wie wir hören, wird die kaiserliche Tabacks- manufactur in Straßburg, welche vielfach als die Vorläuferin des Monopols bezeichnet wird, im Laufe des Monars August auch in Berlin eine Verkaufs­stelle itzrer Regietabacke errichten, eben so in Frank­furt. München und Stuttgart. Für Norddeutschland

will sie stärkere, für Süddeutschland schwächere Fa­brikate, dem localen Geschmack entsprechend, liefern.

Unter den Ueberraschungen, welche bei den Ver­handlungen über das Kirchengesetz zahlreich vorge­kommen sind, hat keine mehr Seistation yervorge- rufen, als die Ablehnung des Artikels 1. Mit einer einzigen Stimme Majorität ist der Artikel gefallen. Für eine größere Anzahl von Nationalliberalen war die zurückhaltende ausweichende Erklärung, welche der Cultusminister in Betreff einer späteren geson­derten Vorlage über die Rückkehr der Bischöfe abgab, der Grund, gegen den Artikel und schließlich gegen das ganze Gesetz zu stimmen. Ohne Artikel 1 hat das Gesetz kaum für irgend jemanden noch Werth.

Wie derA. Allg. Ztg." aus Berlin geschrie­ben wird, erregt in diplomatischen Kreisen der Ar­tikel desTemps" großes Aufsehen, welcher die Er­wartung, daß Frankreich die Exekution des Votums der Konferenz in der griechischen Grenzfrage über­nehmen solle, als eine Illusion zurückweist, und in einer nichts weniger als verbindlichen Sprache die Gladstone'sche Regierung auffordert, diese Initiative selbst zu übernehmen, da ja England die ganze Frage auf das Tapet der Konferenz gebracht habe.Die Befürchtung", meint der Cvrrespondent,als ob die französische Politik nach orientalischen Abenteuern verlange, ist damit zurückgewiesen. Frankreich fürch­tet offenbar, sich im Orient zu engagiren und da­durch für gewisse Eventualitäten die Freiheit der Bewegung und die Freiheit der Allianzen in Europa einzubüßen. Die Nachgiebigkeit der Pforte kann freilich durch solche Kundgebungen uicht gerade ge­fordert werden."

Bremerhaven, 29. Juni. Die Zufuhr le­bender amerik. L>chweine nimmt größere Dimen­sionen an. Der am Montag Nachmittag hier von Newyork angekommene Lloyddampfer Berlin hatte nicht weniger als 900 der Thiere an Bord. Etwa 40 Stück sind auf der Reise krepirt, ein sehr ge­ringer Verlust. Die gesummte Ladung ist für eine hannoversche Großschlachterei bestimmt und bereits nach Hannover weitertransportirt. Der Bezug le­benden Schweinefleisches soll sich als ein sehr ren­tabler Herausstellen; wie es heißt, sollen dieser Groß­ladung noch mehrere andere in nächster Zeit folgen. OesterreichUngarn.

Wien, 27. Juni. In der Erbschaftsangelegen­heit des verstorbenen Millionärs Ott hat die erste Instanz entschieden, daß die zahlreichen Personen, welche sich mit ihren Erbschaftsansprüchen gemeldet, keine gesetzlichen Ansprüche zu machen berech­tigt feien und daß das Nachlaßvermögen im Be­trage von 2,700,000 fl. zu Gunsten des Fiskus ein­zuziehen sei. Die Abgewiesenen haben nun an die zweite Instanz Berufung eingelegt und steht ein in­teressanter, bedeutender Prozeß in Aussicht.

Aus Oeslreich, 27. Juni. In Galizien und Ungarn hat die Auswanderung der Bauern, auch militärpflichtiger, nach Amerika lehr große Dimen­sionen angenommen, so daß in neuester Zeit die Behörden sich veranlaßt gesehen haben, dagegen Maßregeln zu ergreifen. In Krakau wurden ver­schiedene Bauernfamilien, welche daselbst die Mo­narchie verlassen wollten, wieder in ihre Heimath zurückexpedirt. Indessen dürfte der Erfolg dieser Maßregeln zweifelhaft bleiben, da in verschiedenen Gegenden Ungarns unter der niederen Bevölkerung Hungersnoth herrscht, so daß viele ihr Leben durch Verspeisen gekochter Brenneffeln und anderen Un­krautes fristen. In Folge oavon grassiren in diesen Bezirken schlimme Krankheiten der Verdauungsorgane und verlangen eine Menge Opfer.

In verschiedenen ungarischen Städten, u. A. in Budapest, Sieinamanger, Debreczin, Werschetz, Kronstadt und Oedenburg haben am Sonntag Haus­suchungen bei zur Socialistenpartei gehörigen Per­sonen stattgefunden, und zwar sollen dieselben durch Enthüllungen der Londoner Botschaft über den an­geblichen Umsturzplan der ungarischen Socialisten veranlaßt worden sein.

Italien.

Die Regierung der Republik von San Domingo hat beschlossen, den Munizipien von Genua und Pa- via einen Theil der Asche des großen Seefahrers Christoph Kolumbus zukommen zu lassen. Diese kost­bare Sendung wird binnen kurzer Zeit erwartet. Frankreich.

Paris, 30. Juni. Nach Berichten aus den Departements haben die Jesuiten überall ihre Nieder­

lassungen geräumt unter der Erklärung, der Gewalt zu weichen. Es sind keinerlei Gewaltthätigkeiten und Unordnungen vorgekommen. In Bordeaux ver­langten die Jesuiten, man solle sie am Arm packen, damit so der individuelle Zwang festgestellt werde. Ihr Oberer übergab einen Protest gegen Verletzung des Hausrechts. In Avignon drohten die bei den Jesuiten Anwesenden hervorragenden Royalisten dem Staatskommissär mit Stockschlägen.

In Frankreich scheint man für die Armee nicht blos die Trommeln und Trommler, sondern auch die Feldprediger für überflüssig zu halten. Der Senat nahm am 28. Juni mit 175 gegen 100 Stimmen den Gesetzentwurf, betreffend die Aufhebung des Instituts der Feldprediger, an.

Spanien.

Die Spanier stehen einen Gränzcordon gegen die Jesuiten, die etwa Lust haben, aus Frankreich nach Spanien überzusiedeln. An der Gränze darf sich kein Jesuit niederlassen, ins Innere darf jeder Einzelne nur mit der besonder» Erlaubniß der Re­gierung kommen.

Belgien.

Brüssel, 30. Juni. DasJournal de Bru­xelles" meldet: Am 28. d. M. theilte der Minister des Auswärtigen dem Nuntius in Brüssel mit, daß die belgische Regierung mit diesem Tage die diplo­matischen Beziehungen zur Nuntiatur ein- stelle. Die belgische Gesandtschaft beim Papst sei daher aufgehoben.

England.

London. Im Unterhause theilte der Marquis v. Hartington auf eine Interpellation mit, daß im Jahre 1877 uicht weniger als 72,050 Juden zu körperlicher Züchtigung verurtheilt worden seien; die Richter hätten zu entscheiden, für welche Verbre­chen die Prügelstrafe in Anwendung zu kommen habe. Nach einem hier cirkulirenden Gerüchte sollen die Russen zweimal von den Chinesen mit Verlust von Proviant und Munition besiegt worden sein. Rußland.

Petersburg, 28. Juni. In sechs Wvlosten des Kreises Odessa ist der Getreidekäfer in so un­geheuren Massen aufgetreten, daß 14 Kompagnieen Soldaten zur Vertilgung ausgerückt sind. Im süd­lichen Dongebiet haben Heuschreckenschwärme die Ernte vernichtet, auch die Rinderpest greift weiter um sich.

In Rjäsan ist eine große Feuersbrunst aus­gebrochen, 60 Häuser sind niedergebrannt und das Feuer noch nicht gelöscht.

Diktator Graf Loris-Melikoff hat auge­geordnet, daß 193 Angeklagte, die seit 78 Jahren sich in Untersuchungshaft befinden (natürlich wegen politischer Vergehen oder weil sie politischver­dächtig" erschienen), jetzt endlich vor ihren ordent­lichen Richter gestellt werden. Gegen die Meisten scheint jedwede Untersuchung schon seit vielen Jahren eingeschlummert zu sein, aber auf irgend einen Ver­dacht, irgend eine Bezichtigung hin hielt man die Unglücklichen 78 Jahre lang im Kerker, und dort hätten sie sterben und verderben können, wie gewiß schon viele von ihnen gestorben und verdorben sind, ohne je vor einen ordentlichen Richter zu kommen, hätte nicht der Diktator zufällig einmal die Akten revidirt.

Serbien.

Die Annäherung an Oestreich-Ungarn, die sich jetzt in serbischen Regierungskreisen vollzieht, ist den radikalen Großserben, die in eine wahre Wuth gegen Ristic und den Fürsten gerathen sind, höchst unlieb. Aber es ist nicht bloßes Reden der Groß­serben, es ist wirklich eine bedrohliche Stimmung in manchen Städten gegen den Fürsten und die jetzige Regierung vorhanden und in radikalen Kreisen möchte man am liebsten es zu einer Erhebung gegen die Dynastie bringen. Und gerade in der Residenzstadt ist die Stimmung die aufgeregteste und selbst das WortRepublik" wird offen in Gasthäusern und an anderen öffentlichen Orten ausgesprochen. Dabei wird diese Agitation der Radikalen auch auf das benachbarte Südungarn ausgedehnt und sogenannte Guslasänger durchziehen daselbst die serbischen Dör­fer, die Bewohner auf das baldige Herannahen der serbischen Republik vorbereitend, in revolutionären Liedern zum Kampf auffordernd.

Türkei.

Die Nachricht, die Behörden von Prevesa hätten in einer Proklamation die Einwohner mit Todesstrafe bedroht, welche sich für die Annexion