eine geradezu ungeheuerliche Rolle spielt, nämlich die Beraubung von Leichen, ist in der Nacht zum Dienstag auf dem neuen Kirchhof bei Weissensce verübt worden. In der genannten Nacht sind dort zwei Gräber, das eines Erwachsenen und das eines Kindes, aufgegraben, die Large hecausgehvben, geöffnet und die Leichen herausgenommen worden. Beide Leichen wurden neben den Särgen mit geöffneter Brusthöhle gefunden. Aus der des Kindes fehlten das Herz und einige andere Organe, die von dem abergläubischen Volke als sympathetische Mittel bezeichnet werden. Von den Leichenräubern ist bis jetzt noch nichts ermittelt. Die Weissenseeer Gens- darmerie ist unausgesetzt in der Angelegenheit thälig.
Nachdem das Wuchergesetz nunmehr in Kraft getreten und der Bauersmann nicht mehr ganz gesetzlos den hartherzigen Wucherern gegenüber steht, dürfte es am Platze sein, ein oberstrichterliches Erkenntnis des Reichsgerichts in Leipzig soweit als möglich zu verbreiten. Dasselbe lautet: Ein Gläubiger, welcher seinem Schuldner durch die Bedrohung der gerichtlichen Zwangsbetreibung seiner fälligen Forderung zu der Ausstellung einer Schnldurkunde über eine Summe, die der Schuldner thätsüchlich ihm nicht schuldet, nöthigt, ist wegen Erpressung zu bestrafen. Mit anderen Worten: Wenn zu einem Bauern ein Wucherer der bekannten Sorte kommt und sagt, wenn du mir statt der z. B. erhaltenen 20 -06, nicht 25 schreibst, so verklage ich dich, und der Bauer schreibt es, da er die '.huldigen 20 nicht zur Verfügung hat, so kann c. den Halsabschneiber wegen „Erpressung" verklagen. Es ist dies ein richterliches Erkennt- niß, das quam Gesetzeskraft hat und gewiss Schrecken unter den zahlreichen Halsabschneidern verbreiten wird.
„Herr, dunkel war der Rede Sinn!" Diese ihm von allen Seiten entgegentönende Klage — selbst ergraute Politiker gestanden, das; sie den Schlüssel zu dieser Rede nicht finden konnten — hat jetzt den Reichskanzler bewogen, einen solchen selbst unfertigen und in offiziösen Blättern verbreiten zu lassen. Es sind wesentlich zwei Punkte, über die er Aufschluß gibt. Erstens, daß der in der Rede stellenweise hervorgetretcne „scheinbare Pessimismus" keineswegs der Grundton und noch viel weniger das Endresultat derselben sei. Auch habe der Kanzler mit der Ermüdung, über die er klagte, nicht etwa körperliche oder Arbeitsmndigkeit, sondern moralische Ermüdung gemeint. Zweitens — und das ist die Hauptsache — habe die Pointe und Moral der Rede in dem Appell an die liberale Partei bestanden, „dem Centrum die Heeresfolge absolut zu versagen" und den Kanzler in dem weiteren Ausbau seines Werkes zu unterstützen. Zuletzt wird dann, unter Hinweis auf den Eindruck, welchen die Rede in allen nationalen Kreisen geinacht habe, die Hoffnung ausgesprochen, daß jener Ausruf bereitwilliges Gehör finden und somit der Jubel der fortschrittlichen Presse sund der französischen, gestatten wir unS hier einzuschalten) als ein verfrühter sich Herausstellen werde.
Alle Hinweise unbefangener Beobachter auf sehr bemerkenswerthe Anschauungen, Bestrebungen und Erscheinungen in gewissen höhern kirchlichen, politischen und gesellschaftlichen Kreisen werden kurzweg mit Achselzucken oder dem Schlagwort: „unkirchlich, liberal, demokratisch" abgelhan. Diese Achselzucker werden vielleicht etwas nachdenklicher, wenn sie folgendes Geständniß der „Post" in Berlin lesen. Die „Post" ist zwar auch eine Zeitung, aber weder eine unkirchlichc, noch liberale, noch demokratische, sondern eine freiwillig „gvuvernementale" und hohen Kreisen sehr nahe stehende, die auf manche Wunde nur dann mit dem Finger tippt, wenn Bismarck den Mund öffnet. Bismarck hat ihr auch diesmal den Mund mit seiner Reichstagsrede geöffnet. „Bismarck, sagt sie, könnte leicht einen Nachfolger finden, der sich Rom unterwirft, um so leichter, als in höheren Lebenskreiscn :c. ebenso wie in der protestantischen Orthodozie das Bewußtsein der Reformation, der Gegensatz zum Papstthnm, weit und breit erstorben ist. Diese conservativen Kreise drängen zum Frieden. das heißt zur Unterwerfung unter Rom." Bismarck und Windthorst kennen diese Neigungen sehr gut. „Sie müssen sich entschließen, rief Bismarck den Parteien im Reichstage zu, dem Centrum die Hcercssolge absolut und für immer zu versagen: — können Sie das nicht, dann sind meine Voraussichten trübe."
Bekanntlich hat Fürst Bismarck in seiner Rede
erklärt, daß er, wenn das Centrum sich unüberwindlich zeige, und die Liberalen die Bundesgenossensthaft des Centrums nicht unter allen Umständen abwiesen, er seinem Nachfolger den Gang nach Canossa überlassen werde. Nach Canossa also geht Fürst Bismarck auch jetzt nicht, eS ist aber immerhin möglich, daß die preußische Regierung über das Maß der den katholischen Ansprüchen zu machenden Zugeständnisse sich besser mit den Conservativen und den Ultramontanen verständigt, als mit den Liberalen. Das Haupthindernis; aber, welches einem dauernden Zusammengehen des Fürsten Bismarck mit den gemäßigt Liberalen entgegensteht, liegt aus dem Gebiet der Wirthschaftspolitik und eS erscheint sehr fraglich, ob selbst Herr von Bennigsen in der Lage sein wird, dieses Hinderniß zu überwinden. Fürst BiSmarck hat jetzt schon, wie man hört, die Absicht kund gegeben, die ganze Reihe von Stenerpreyekten, welche dem Reichstage bezw. dem BundeSrath vorgelegt worden sind, in der nächsten Session noch einmal vorzubringen: es ist sogar nicht ausgeschlossen, daß daS Stenerbvuquet noch eine Erweiterung erführt.
Ans Elsaß-Lothringen drangen in letzter Zeit Klagen über das „preußische Regime" zu uns herüber. Seit längerer Zeit fand man in mehreren süddeutschen national-liberalen Korrespondenzen aus den Neichs- landen, in welchen der Unzufriedenheit über das Man- teuffel'sche Regime Ausdruck verliehen wird. Diese unberechtigten Klagen sind aber von vornehmlich unteren Beamten inspirirt. Als nämlich der Statthalter, Frhr. v. Manteuffel, sein Regiment in Straßburg antrat, mußte er sich alsbald davon überzeugen, daß der in den Kreisen der Uuterbeamten eingelassenen Disciplinlosigkeit mit aller Strenge ein Ende gemacht werden müsse; diese Beamten traten überdies mit einer Schroffheit der einheimischen Bevölkerung gegenüber auf, die zu den größten Unannehmlichkeiten Anlaß gab. Herrn v. Manteuffel's erster Akt war es, eine gründliche Purisieation des Beamtenpersonals vvrzunehmen und mit größter Strenge zu verfahren. Daher der llnmnth von dieser Seite, der sich jetzt Llift macht.
Es bestätigt sich, daß große Submissionen aus Eisenbahnmaterial von Seiten der Regierung bevor- stchen, da diejenigen Privatbahnen, welche in die Hände des Staates übergegangen sind, angesichts der damals bereits drohenden Eventualität ihre Neuanschaffungen auf das äußerste Maß beschränkten. Der Mangel an brauchbarem, fehlerlosem Betriebsmaterial bei gesteigertem Bedarfe der Staatsbahnen läßt umfassende Neuanschaffungen als dringlichst erscheinen.
Hamburg, 18. Mai. Der dritte deutsche Lchrertag ist heute Vormittag hier eröffnet worden. Es sind etwa 900 Lehrer und Lehrerinnen ans allen Theilen Deutschlands anwesend.
Oesterreich—Ungarn.
Es sind traurige Zustände, mit denen das Deutschthum hier zu leiden hat. Die vereinigten Slaven und Ultramontaneu gehen mit allem Eifer ans Werk, die deutsche Nationalität, die deutsche Sprache und deutsche Sitten mit Stumpf und Stiel ausznrvtten. Es würde diesen Deutschseinden gar nicht darauf ankommen, wenn sie dazu Macht hätten, die Deutschen selbst des Landes zu vertreiben, so daß in dem vielsprachigen Oestreich alsdann Czechen, Böhmen, Slaven, Magyaren und Ungarn allein das Heft in Händen hielten und nach Herzenslust miteinander wirthschaften könnten. Würdige Vertreter dieses Mischmasches von Nationalitäten sind uns Deutschen ja häufig genug in jenen Gestalten der Mausefallenhändler, Zigeuner und sonstigen Gauklern oft genug vor Augen gekommen. Die von den Deutschen errungenen freiheitlichen Institutionen und Verfassungen des Reiches sind diesen Leuten nicht zum Wenigsten ein Dorn im Auge. Aber es ist auch zweifellos, daß die Deutschen in diesem Kampfe auch unermüdlich verharren werden, so lange die rücksichtslosen Angriffe ihrer Gegner dauern. Die Letzteren entfalten jetzt außerhalb des Parlaments dieselbe Gewaltthätig- keit, mit welcher sie im Parlamente selbst den Deutschen das Wort entzogen, ihre Klagen unterdrückten und ihr Abwehr vereitelten. Der ganze brutale, unduldsame Character der Czechen kommt jetzt wieder zum Ausdruck und wird durch Hohn noch ergänzt. Während die Führer der Rechten von Mäßigung und Versöhnung zu sprechen wagen, werden in Prag beinahe schon Deutschenhetzen arrangirt. Universitäts- Professoren, die ihr Deutschthum freimüthig betonen und für dasselbe unentwegt einstehen zu wollen er
klären, werden Katzenmusiken gebracht und die Fenster eingeworfen. Der czechischc Terrorismus wächst von Tag zu Tag und verbündet sich bereits mit der Straßenjugend, mit dem Pöbel, um die Deutschen durch Gewaltacten einzuschüchtern. Wenn hier nicht eine energische Hand von oben herab dem wüsten Treiben Einhalt gebieten kann, so sehen die Deutschen in Oestreich noch manchen unliebsamen Ereignissen entgegen.
Schweiz.
Der vor dc» Assisen des Kantons Tessin verhandelte 2 labivprvzcß. welcher seit geraumer Zeit die ganze Schweiz in Aufregung erhielt, ist endlich — und zwar durch Freisprechung sammtlichcr Angeklagten - zum Abschluß gelangt. Die Thatsachen, welche dem Prozeß zu Grunde liegen, sind folgende: Das Drama, aus welchem die Anklage fußt, spielte schon im Jahre 1878. Bvrausgcgangene Wahlkämpfe hatten im Kanton Tessin die Erbitterung zwischen Uitramon- lanen und Liberalen auss Höchste gesteigert. Da fand im Oktober 1876 in Stabio, einem Dorfe dieses KautonS, ein Schützenfest stakt. Dieses Fest führte zu einem blutigen Kampfe zwischen beiden Parteien. Die Katastrophe wird wie folgt geschildert: Das Trauerspiel begann damit, daß der zur liberalen Partei gehörige junge Schütze Pedroni von dem Ultramoittanen Catenazzi nach einem kurzen Wortwechsel ans der Straße niedergeschossei, wurde. Catenazzi flüchtete in den Gasthof „Ginella", und als sich nun die über den Mord erbitterten liberalen Schützen vor diesem Gasthvf sammelten, wurde ans demselben Feuer gegeben, s« daß noch zwei weitere Liberale, Cattaneo und Morcsi, getvdtet und einer, Matz er ni, schwer verwundet wurde. Andererseits wurde auch ein Ultramvntane, Givrgetti, durch die Schüsse der Liberalen in das Haus getöütet. Oberst Mola mischte sich ein, um die Liberalen von weiterem Blutvergießen abzuhalten. Der eidgenössische Kommissär hat nach Prüfung jener Vorgänge dem Obersten Mvla für sein Einschreiten Namens der Eidgenossenschaft seine Annerkeimung ausgesprochen. Erst zwei Jahre später, nachdem der Staatsrath ausschließlich von Ultrmnon- tanei, besetzt war, wurde der Prozeß gegen Mola und Geiwssen ans Mord an Giorgetti angestrengt, gestützt anf die Aussage einiger Zeuge:!. Mola habe die schützen zum Feuern anf das Etablissement Ginella kommaudirt. während mehr als 200 Zeugen das tzstgevlhei! bezeugen, nämlich: Oberst Mola habe nur die Umzingelung des Hanfes Ginella aegwrdnet, damit die Mörder Pedroni's und der anderen Liberalen nicht entfliehen könnten, das Feuern ans das Hans aber ernstlich verboten. So kam der Prozeß an die Assiseu des Kantons Tessin.
England.
Die „Times" erfährt, auf Wunsch der Großmächte werde Frankreich die Initiative ergreifen, um von der Pforte die Annahme einer internationalen Kommission zur lleberwa.h nag der türkischen Verwaltung zn verlangen.
Rußland.
Petersburg, 13. Mai. Dem Petersburger Kabinet siuv von seinem Gesandten in Peking Nachrichten zngckommen, die es außer Zweifel stellen, daß der Hof von Peking einen Krieg mit Rußland haben will und die Kuldschafrage nur als Vorwand benützt, um seinen Bestrebungen einen legalen Anstrich zu geben. Der Hof von Peking soll gleich nach der Rnckcrwerbung Kaschgars den Plan gefaßt haben, die Grenzen des Hirnmlischen Reiches wieder in ihrem alten Umfange, wie sie bis zum Jahre 1858 bestanden, herzustellen und den Russen das Amnr- gebiet, das einen Bestandtheil der Tartarei, des Stammlandes der jetzigen Tatzing-Dynastie, bildet, wieder abzunehmen. Man begann schon damals in Peking mit den nöthigen Kriegsrüstungcn, ließ einen Thcil des Heeres nach europäischer Art uniformiren und eincxcrziren, warb fremdländische Offiziere an, kaufte in England und Amerika Panzerschiffe und errichtete eine große Munitionsfabrik. Die chinesische Regierung hält jetzt den Augenblick zur Ausführung ihres Planes für günstig und will mit Kuldscha auch das Amurgebiet wieder an das Reich bringen. Man schickt zwar den Marquis de Tseng nach Petersburg, um Europa zu zeigen, daß China bis zum letzten Angenblicke bestrebt war, den Frieden mit Rußland zn erhalten, betreibt aber indessen die Rüstungen fort, weil man glaubt, daß Rußland in Betreff Kuldscha's keine Konzessionen machen werde.
St. Petersburg, 18. Mai. In der heute begonnenen Prozeßverhandlnng gegen Weimar und Gen. sind etwa 270 Personen, darunter vorherrschend Militärs, anwesend. In dem Prozeß sind 141 Zeugen vvrgeladen, darunter 40 für die Bertheidi- gung. Unter den Beweisstücken befinden sich auch aus dem Hofe des Gerichtsgebäudes die aufgestellte Droschke und das Pferd, auf welchem angeblich der Mörder des Generals Mesenzow entfloh.
Aus Petersburg erhält die France folgende Mittheilung: Seit die Kaiserin aus Frankreich zurückgekehrt ist, schwebt sie ununterbrochen in Todesgefahr. Der Kunst des Dr. Botkine gelang es indes;, ihr über den Winter hinwegzuhelfen. Zn Anfang der Fastenzeit war die Besserung so merklich, daß