Amts- und Intelligenz-Blatt für den Oberamts-Bezirk Nagold.
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2 außerhalb des Bezirks 2 40 -4.
Samstag den 13. Dezember.
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1879.
I Betrachtungen über den vierten Mordversuch gegen
! den Kaiser von Rußland.
Der zweite December d. I. ist Zeuge eines politischen Verbrechens gewesen, das selbst in unserer , an Attentaten überreichen Zeit beispiellos dasteht. I Acht Monate .nach einem Mordversuch, dessen Abscheulichkeitganz Europa in Aufregung versetzte, unter ! der Herrschaft eines Ausnahmegesetzes, welches drei Viertheile des ausgedehntesten europäischen Staates der Militärgerichtsbarkeit unterstellt, im Mittelpunkt des alten von der „Berderbniß" des Westens kaum berührten Kernrußland ist ein Unternehmen zur Ausführung gekommen, dessen Vorbereitung das Zusammenwirken einer weit verzweigten Verschwöiung voraussetzt und dessen Absicht gegen das Leben Kaiser Alexander's II. und seiner gesammten Umgebung i gerichtet war. Die bei Hellem lichten Tage, unter ' freiem Himmel unternommenen Mordversuche vom 16. April 1866, 6. Juni 1867 und 2. (14.) April 1879 hatten ihr Ziel verfehlt: das Verbrechen hat sich in den Schooß der Erde geflüchtet und die feste ^ Grundlage aller irdischen Existenz in eine Mordwaffe zu verwandeln gesucht.
In der entfernten Vorstadt einer der ausgedehntesten und unregelmäßig bebautesten Städte der Welt, unweit des berühmten Rogos-Kirchhofes, der den Mittelpunkt einer zahlreichen Gruppe altgläubiger Secten bildet, ist ein einsam liegendes, der Polizei wahrscheinlich kaum dem Namen nach bekanntes Haus in eine Mörderhöhle verwandelt und zum Ausgangspunkt einer Mine gemacht worden, welche den Czaren unter die Trümmer einer der wichtigsten Verkehrsstraßen seines weiten Reiches begraben sollte.
Und was das Merkwürdigste ist — diese beispiellose Unthat ist nicht ganz unerwartet gekommen, sondern durch Vorsichtsmaßregeln abgewendet worden, die auf frühere verwandte Unternehmungen schließen lassen: „auf Grund gemachter Erfahrungen" haben die die Person des Kaisers umgebenden Sicherheitsorgane die Einrichtung getroffen, daß der Monarch abwechselnd den ersten oder den zweiten der beiden Züge benutzt, welcher ihn und sein Gefolge aufzunehmen bestimmt sind, und wesentlich diesem Umstande ist es zu danken, daß auch dieser Mordanschlag mißlungen, Alexander II. zum vierten Male den seinem Leben bereiteten Nachstellungen entgangen ist.
Den entsetzten Zeugen dieses teuflischen Com- plottes fehlt nicht, nur der zur Charakteristik desselben ausreichende Ausdruck,— es fehlt auch jede Vorstellung davon, was geschehen soll, um die geheiligte Person des russischen Herrschers vor ferneren Attentaten sicher zu stellen. Wo das Verbrechen zugleich über und unter der Erde thätig ist, wo die entferntesten Winkel des weiten Reiches von dem Gift der Empörungsluft ebenso inficirt sind, wie die Mittelpunkte des öffentlichen Lebens, wo es nicht einzelne ruchlose Individuen, sondern ganze Mörderbanden sind, welche aus dem Fürstenmorde ein Handwerk machen, da hört schließlich die Möglichkeit ausreichender Gegenwehr und genügender Ueberwachung auf. Was irgend hat geschehen können, um den Revolutionsgeist zu bändigen, der zwischen Weichsel und Ural, Weißem und Schwärzen: Meere sein unheilvolles Leben treibt- ist bereits gethan worden.
Die Thätigkeit der regelmäßigen Organe des Staatslebens ist seit dem April d. I. aufgehoben, die Reformarbeit, der Alexander II. sein Leben widmete, unterbrochen, alle Kraft und alle Aufmerksamkeit der mit den umfassendsten Vollmachten ausgestattetest kaiserl. Statthalter auf die Herstellung von
Ordnung und Sicherheit auf die Bändigung des Schwindelgeistes gerichtet gewesen, der die bethörte Jugend des russischen Volkes ergriffen hat. Einen Augenblick hatte es den Anschein, als werde dieses Mittel zum Zweck führen und den wild bewegten Strom in die verlassenen Ufer zurückbannen. Heute, wo dieser Scheinruhe der Schleier abgerissen und festgestellt worden ist, daß die Kraft der ausübenden Gewalt sich früher erschöpft hat, als die Kraft der Umsturzelcmeute, — heute steht Rußland vor einer Frage, deren Beantwortung noch schwieriger ist, als diejenige, welche im Frühjahre d. I. aufgeworfen worden: der Mißerfolg der angewendeten Maßregeln ist zur unbestreitbaren Thatsache geworden, eine Verschärfung derselben kaum mehr denkbar, ein anderer, sicher zum Ziele führender Weg nicht abzusehen. Weil es sich um Dinge handelt, die in Rußland noch nicht dagcwcscn sind, steht man Aufgaben gegenüber, zu deren Lösung alle Anhaltepunkte fehlen.
Voraussehen läßt sich nur Eines: die Regierung Alexander's II. wird nicht umhin können, sich, mindestens für die nächste Zukunft, auf die Bewältigung der sie umgebenden inneren Schwierigkeiten zu beschränken und auf weiter aussehende Pläne zu verzichten. Dem Einfluß derjenigen Elemente, welche die innere Aufregung in eine große auswärtige Action abzulenken wünschen, wird die Erwägung in den Weg treten, daß die Last, welche Undank und Verblendung auf den Kaiser gewälzt haben, schließlich zu einer unerträglichen werden könnte, und daß eine Verminderung derselben nur möglich ist, wenn auf alle phantastischen Zukunftswünsche verzichtet wird, die mit der Auflösung der russich-deutschen Alliance den ersten Anlauf nahmen, sich breit zu machen.
Es darf wohl angenommen werden, daß diejenigen russischen Staatsmänner, welche ihren gewichtigen Einfluß aufwandten, um das russische Reich in eine mit aller Welt verfeindete Stellung zu bringen, und um den unzähmbaren Gelüste nach Ländererwerb nachzugehen, endlich zu der Einsicht gekommen sind, daß es doch wohl besser sein könnte, die wackelhaften morschen Glieder des allzu ausgedehnten Reiches erst von innen heraus erstarken zu las sen.
Tages-Neuigkeiterr.
Deutsches Reich.
* Nagold. Wie aus dem Jnseratentheil ersichtlich, wird am nächsten Sonntag unser Landtagsabgeordneter, Herr Stadtschultheiß Richter, gleichwie er in seiner Stadtgemeinde gethan, auch hier einen Vortrag über die neuen Justizgesetze halten. Ist dem Laien auch durch Duzende von Schriften reichlich Gelegenheit geboten, sich in der Unzahl der Gesetzesparagraphen die nöthigen Kenntnisse zu verschaffen, so dürfte doch das lebendige Wort sicher geeigneter sein, um größeres und klareres Verständ- niß in der Sache zu gewinnen, um so mehr wenn solches aus dem Munde eines Mannes kommt, der durch seine amtliche Stellung mehr als irgend ein Andererberechtigtlstzureden überdas, was dem gewöhnlichen Bürger von den neuen Gesetzen zu wissen nö- thig. Indem wir also auf diesen Bortrag besonders aufmerksam machen, glauben wir demselben eine zahlreiche Zuhörerschaft Prognosticiren zu dürfen.
Richter'scher Vortrag. (Schluß.) Das Forftstrafgesetz umfaßt verschiedene Delictsformen: den Forstdiebstahl, die Forstbeschädigung und das unbefugte Weiden. Der sog. Priveligirtc, also nicht dem gemeinen Recht verfallende Diebstahl ist vorhanden, wenn der Werth des Entwendeten nicht über
20 „16. beträgt, und eine Forstbeschädigung verfällt dann auch erst dem gemeinen Recht, wenn der verursachte oder beabsichtigte Schaden über 10 „16 betrügt. Das unbefugte Weiden unterliegt aber durchaus den Bestimmungen des Forststrafgesetzes. Bei Verfehlungen und llebertretungen in den ange- deutcten Richtungen stellt der Amtsanwalt den Antrag auf Bestrafung und tritt die Verjährung innerhalb 6 Monaten ein bei den llebertretungen, also bei Forstbeschüdigung und unbefugtem Weiden, während alle übrigen nach dem Forststrafgesetz mit Strafe bedrohten Verfehlungen -- Vergehen sind, welche erst in 3, bczw. 5 Jahren (wenn das Vergehen mit einer längeren als 3monatlichen Gefüngnißstrafe bedroht ist) verjähren. Bezüglich' des Rückfalls ist eine sehr verschärfte Bestimmung getroffen. Es befindet sich im Rückfall, wer, nachdem er wegen eines Forst- dicbstahlS verurtheilt ist, innerhalb 1 Jahrs abermals einen Forstdiebstahl begeht. Ist er aber schon wegen Rückfalls bestraft, so beträgt die Frist für Verjährung des Rückfalls statt eines Jahres zwei Jahr. Der Rückfall ist natürlich mit höheren Strafen bedroht und zwar bis zu 1 Jahr Gefängniß. Das Abverdienen von Geld- fträfeii ist nach dem neuen Gesetz ganz in Wegfall gekommen. Ais Forstdiebstahl wird angesehen jede Entwendung an Holz, welches noch nicht vom Stock oder Boden getrennt, oder durch Zufall abgebrochen, aber noch nicht zngerichtet ist, an Walderzeugnissen wie Pflanzen, Gras, Streu, Zapfen u. s. w. bis zum Werth von 20 „16 und beträgt die Strafe das 3—öfache des entwendeten Werths, aber nie unter 1 „16 Liegt aber ein Erschwerungsgrund vor, wie z. B wenn ein Forstdiebstahl in einem umfriedigten Waldtheil (Pflanzenschule) oder wenn er von 3 oder mehr Personen ausgeübt wird, oder wenn er an Sonn- oder Festtagen von Sonnenuntergang bis Sonnenaufgang verübt wird, wenn der Name verweigert, der Diebstahl an grünem Holz verübt ist u. s. w., dann ist das Vergehen mit einer Strafe vom 6—lOfachen des Werths des Entwendeten bedroht und nicht unter 2 „16 Der Forstdiebstahl gilt als vollendet, wenn das Holz vom Stock oder Boden getrennt ist oder das Gras, die Streue abgeschnitten oder ausgerupft ist. Der Versuch ist strafbar. Für Forstbeschädigungen und das unbefugte Weiden, also llebertretungen im Sinne der Reichs-Strafprozeßordnung sind Strafen bis zu 150 „16 oder Haft (bei welcher 1—5 „16 für 1 Tag gelten) angedroht. Beim Weiden sind die Eigenthümer des Viehes haftbar für Schaden und Kosten. Wie schon berührt, entscheidet der Amtsrichter als Einzelrichter über alle mit Strafe nach diesem Gesetz bedrohten Verfehlungen bis zu 3 Monaten Gefängniß oder auf Geldstrafe, bei der Berufung aber entscheidet das Landgericht. Das Strafurtheil und der Strafbefehl kann sich auf den Ersatz des Werths oder Schadens ausdehnen, es bleibt aber dem Beschädigten dennoch frei, diese auf dem Civilrechtsweg zu verfolgen. — Herzlicher Dank der Versammlung durch den Mund des Gewerbevereinsvorstands lohnte den geehrten Redner für seine große Mühe und Aufopferung. Einsender dieses aber hat geglaubt, bei der großen Wichtigkeit der besprochenen Materie ausnahmsweise ein ausführlicheres Referat geben zu sollen als sonst; selbstverständlich machen Referat und Bortrag keinen Anspruch auf erschöpfende Behandlung dieser ziemlich komplicirten Gesetze und Verfügungen.
Stuttgart, 10. Dez. Bei dem Brand im Cirkus Herzog sind, wie nun festgestellt ist, im Ganzen 10 Pferde verbrannt, darunter 3 von den prachtvollen 8 Rapphengsten, 1 Springpferd und 6