bemüht ist, sich einen Alliirten gegen Frankreich zu sichern und sich genöthigt sieht, bei Oesterreich zu suchen, was Rußland ihm nicht bieten kann. Der Austausch russisch - deutscher dynastischer Höflichkeiten ist von geringer Bedeutung. Nur wenn Oesterreich Zeichen der Unentschlossenheit gäbe, würden die russischen Einflüsterungen offenes Gehör in Berlin finden; allein davon hat sich noch kein Symptom gezeigt. Oesterreich weiß nur zu gut, das die Macht Rußland's von jener Zeit datirt, da die Eifersucht zwischen Oesterreich und Preußen ihren Anfang nahm und daß, um sich von der deutschen Allianz zurückzuziehen, das Ende der Zusammenbruch Oesterreich's in der slavischen Umarmung sein würde. (W. L.)
Der preußische Kultusminister v. Puttkamer soll, wie in Abgeordnetenkreisen auf das Bestimmteste versichert wird, in Folge der Aufnahme, welche seine Essener Tischrede in maßgebenden Kreisen gefunden, sein Entlassungsgesuch eiugereicht haben, dasselbe aber vom Kaiser abgelehnt worden sein, weil jetzt bei dem Zusammentritt der Kammern nicht die geeignete Zeit zu einem Ministcrwechsel sei. Man hält jedoch Putt- kamers Stellung für unhaltbar, womit allerdings nicht gesagt, daß er wieder einen Nachfolger von Falls Richtung erhalten werde.
lieber das Wiener Protokoll bezüglich des deutsch- östreichischen Bündnisses erfahren wir, daß in demselben ein Passus Aufnahme gefunden hat, der die Geheimhaltung des Vertrages beiden Kontrahenten zur Pflicht macht. Eine Veröffentlichung feines Textes ist daher weder jetzt noch später zu erwarten.
Die „Köln. Ztg.", welcher die Verantwortung für diese Nachricht überlassen werden muß, läßt sich aus Berlin telegraphiren: „Die Stellung des verstorbenen Staatsministers v. Bülow ist dem Fürsten Chlodwig von Hvhenhohe, unserem Botschafter in Paris, angeboten worden. Er würde zugleich Vizekanzler werden und Graf Stolbcrg als Botjchafter nach Wien zurückkehren. Fürst Rens; würde Botschafter in Paris werden. Graf Stolberg ist mit diesem Plaue einverstanden, dagegen weiß man nicht, ob Fürst Hohenlohe sich entschlossen hat, seine Stellung in Paris aufzngebeu."
Berlin, 7. Nov. Die Nachricht, daß der Vize- Präsideut des Staatsministeriums Graf Stolberg sich aus seiner Stellung znrückzuziehen gedenke, sowie die daran geknüpften Kombinationen über die anderweitige Besetzung einiger Botschafterposten sind durchaus unrichtig. (W. Ldsztg.)
Die Kommission zur Ausarbeitung des Entwurfs des bürgerlichen Gesetzbuchs trat am 30. und 31. Oktober zusammen, um sich über die geschäftliche Behandlung ihrer Aufgabe zu verständigen. Es ist mit aller Wahrscheinlichkeit zu erwarten, daß schon im Sommer nächsten Jahres einzelne Theile des Entwurfs vollkommen fertig gestellt sein werden.
Der „Reichsanzeiger" meldet die Verleihung des Rothen Adlerordens I. Klasse an Freiherrn v. Varnbüler.
Die Vereinigung des Reichsjustizamts mit dem preußischen Justizministerium ist, obwohl augenblicklich noch Personalunion besteht, keineswegs als definitiv anzusehen. Es handelt sich darum, ob die Mittelstaaten diesem Projekt beistimmen, und allem Anschein nach herrscht dort wenig Geneigtheit hierzu.
Ein Töpfermeister in Berlin meldete dem Standesbeamten sein jüngstes Kind zum Einträgen an. Das wievielste ist es? fragte der Beamte. — „Das will ich Ihnen sagen, lachen Sie aber nicht, es ist vorläufig das einundzwanzigstc." —
Wer zahlt in Preußen die meisten Steuern? Dies ergicbt sich aus einer von der Regierung dem Abgeord- netenhause übergebenen Nachweisung. Es sind nur die Steuersummen angegeben und man hat hierüber in Abgcordnetenkreisen Berechnungen angestellt. Darnach zahlt Freiherr Karl Mayer v. Rothschild in Frankfurt a. M. den höchsten Steuersatz von 70,200 jährlich, dann kommt Willy v. Rothschild mit
68.400 Krupp in Essen mit 57,600 zwei Personen im Regierungsbezirk Oppeln mit 32,400 ^ und 27,000 in Berlin Blcichröder mit 32,400 die Borsig'schen Erben mit
23.400 Oppenheim in Köln mit 25,200 ein Rittergutsbesitzer im Regierungsbezirk Münster mit-23,400 zwei Bankiers in Köln mit je 21,600 einer in Berlin mit 18,000 einer im Regierungsbezirk Potsdam mit 16,000 zwei im Regierungsbezirk Oppeln mit je 16,000 ^ u. s. w. In Preußen beläuft sich die Zahl derjenigen Personen, welche mit einem höheren Einkommen als 300,000 jährlich eingcschätzt sind, aus 51.
Berlin scheint sich gegenüber der Adelina Patti recht gründlich blamiren zu wollen. Die Sängerin ist dort, wie das „Fremdenblatt" mittheilt, Gegenstand der Aufmerksamkeit von einer Seite, wo ihr dies am wenigsten erwünscht ist, nämlich von Seiten der Bittsteller. Wer würde es für möglich halten,
daß sie über 100 Briefe täglich bekommt? „Retten Sie mich", schreibt der Eine, „und verkaufen Sie eine einzige Stunde Schlackwurst in meinem Laden!" — „Sie sind so reich", schreibt eine Andere wörtlich, „und wissen, was Liebe ist. Schenken Sic uns einige hundert Mark, dann können wir heirathen und ewig dankbar sind Ihnen . ." Unzählige Fabrikanten bitten sie, irgend ein Erzeugnis; zu prüfen, zu benutzen, damit sie es nach ihr taufen können. Wie beneidet wird jener Schminkfabrikant, der ihren Name» als Reklame für seine Fettschminke benutzen darf!
Holland.
Antwerpen, 7. Nov. Gegen einen hiesigen Geistlichen, der geheimer päpstlicher Kammerherr ist, wurde eine Untersuchung eingeleitet, da derselbe beschuldigt ist, mit einem Küchenmesser bei einer Wöchnerin den Kaiserschnitt unternommen zu haben. Mutter und Kind sind todt. (Fr. I.)
Rußland.
Moskau, 1. Nov. Aus Samara wird von einem großen Waldbrande im Kreise Busulutsk berichtet. Der Brand, welcher am 10. Okt. begonnen , nahm bei dem starken Winde im Verlauf des ersten Tages eine ungeheure Ausdehnung an. Den Anstrengungen eines Commandos von 650 Mann gelang es, dem Feuer am 14. Okt. Einhalt zu thun. Es find gegen 15 000 Desfjhtinen, theils Kronwald, theils Privateigenthum, niedergebrannt, mehr als 300 glcm.
Türkei.
Die Noch im Palaste des Snltans ist sehr groß; feit acht Tagen haben die Lieferanten des kaiserlichen Haushaltes ihre Lieferungen eingestellt; sie verlangen Bezahlung ihrer Guthaben und Vorschüsse für die Zukunft. Von verschiedenen Seiten wird bereits behauptet, daß die Stellung der Türkei unter Kuratel in finanzieller Beziehung unmittelbar bevorstehe und daß die Kabinete von London und Paris im Begriffe seien, gemeinsam die nvthigen Schritte hiezu festzustellen.
Amerika.
Chicago, 10. Okt. Am Abend des 8. d. M. wurde in der Nähe von Kansas-City der Eilzug der Chicago- und Alton-Bahn angehalten und die Geldspinde im Gepäckwagen ihres Inhaltes von, wie man sagt, 30 000 Dollars beraubt. Die That wurde von etwa 15 verkappten Burschen verübt, die sich nach Begehung der That in die benachbarten Waldungen flüchteten. Trotzdem die Gesellschaft einen Preis von 1000 Dollars per Kopf auf deren Einbringung gesetzt hat, ist selbe bis Dato uoch nicht gelungen.
Rio de Janeiro, 15. Okt. In der Provinz Minas Geraes haben große Waldbrände stattgefunden; so weit bekannt, sind 67 Menschen dabei um- gekommeu.
Kandel L Verkehr.
Stuttgart, 8. Nov. sKartoffel-, Obst- und Krautmarkt.j Leouhardsplatz: 300 Säcke Kartoffeln s ^ 3 bis ^ 3.20 pr. Ztr. Alles verkauft. Wilhelmsplatz: 400 Säcke Mostobst » --L 5—5.40 pr. Ztr. Alles verkauft. Marktplatz: 10 000 Stück Filderkraut ü 5—6 pr. 100 Stück.
Rottenburg, 5. Nov. Im Hopfenhandel ist auch hier fast gänzliche Stille cingctreten. Es mögen ungefähr noch 1000 Ztr., meistens Primawaare in größeren Parthien zu 20 bis 60 Ztr. von Großproduzenten, hier lagern. Letztere haben ihre Waare sacken lassen, um sie für bessere Preise und Zeiten aufzubehalteu. Dagegen ist in den Nachbarorten Bühl, Kiebingen, Nellingsheim, Wolfcnhauscn, Remingsheim re. letzte Woche durch hiesige Händler so ziemlich alles aufgekauft worden im Preise zu 80—120 — mitunter sehr schöne Helle, gleich-
doldige Waare. Für vorjährigen Hopfen werden noch 25 bis 35 per Ztr. bezahlt. In der hiesigen Waaghalle sind bis jetzt annähernd 7000 Ztr. abgewogen worden.
Tübingen, 7. Nov. Von städt. Hopfen wurden, statt eines früheren Angebots von 210 pr. Ztr., vor einigen Tagen, da die Waare zurückging, aus ca. 30 Ztr. 180 pr. Ztr. erlöst.
Nürnberg, 8. Nov. (Hopfen.) Das Hopfengeschäft hat im Laufe dieser Woche eine erfreiliche Wendung zum Besseren genommen, besonders die besseren Sorten Hatten eine Steigerung von 5—8 „A. Man bezahlte: Württemberger in Partien zu 135—160 in Ausstich zu 170—180 ^l, Elsässer zu 135—170
Frankfurt, 8. Nov. Der heutige Heu- und Strohmarkt war schlecht befahren. Heu kostete je nach Qualität 2.—3.40, Stroh .4L 2—2.70, Butter im Detail I. Qual, ^ 1.25 bis ^ 1.30, 2. Qual. „Al 1.15—20. Eier das Hundert 6.50 bis 8.20
Mittlere Fruchtpreise per Ceutuer
vom 1. bis 4. November.
Kernen.
Roggen.
Gerste.
Haber.
.6
^1
Geislingen . . .
. 12. 16.
-.
— . _
Heidenheim . . .
. 12. 23.
10.
—.
9. 55.
6.
4G
Nagold ....
. —. —.
10.
— .
9. 50.
6.
36.
Kirchhcim . . .
. 12. 60.
—.
— .
9. 23.
6.
6.
LeLtkirch ....
. 11. 58.
10.
9. 66.
6.
38.
Riedlingen . . .
. 12. 5.
— .
9. 56.
6.
43.
Tuttlingen . . .
. 12. 41.
—.
— .
9. 98.
6.
65.
Waldsee ....
. 12. 19.
9. 77.
6.
37.
Lin unbekanntes Verbrechen.
(Fortsetzung.)
Dieser rührenden Lobrede hörte ich ohne Unterbrechung zu. Als die würdige Frau geendet hatte, ließ ich mir noch einige Aufklärungen geben.
Wo wohnt die alte Tante, zu der Ihre Tochter des Sonntags ging?"
In der Friedrichstraße. Sie war gelähmt und ist seit drei Monaten todt.
„Haben Sie die alte Tante darüber ausgefragt und wissen Sie, ob ihre Tochter wirklich des Sonntags zu ihr ging und Tages über bei ihr blieb? Wer holte sie von dort ab?"
„Im Anfänge gingen mein Mann und ich selbst hin, aber in letzterer Zeit brachte sie eine Freundin der Tante, die mit ihr im Hause wohnte, nach Hause."
Die Existenz dieser Freundin wurde mir schon zweifelhaft. Madame Becker hatte sie niemals gesehen, sie kannte nicht einmal ihren Namen! Diese Frau hatte Therese bis zur Thür des elterlichen Hauses gebracht, wollte jedoch niemals mit heraufkommen. Ferner wurde mir noch erzählt, daß die Tante, eine Schwester von Herrn Becker, nicht in Eintracht mit diesem gelebt habe. Nur für Therese hatte sie sich interessirt, und derselben ihr kleines Vermögen zu hinterlassen versprochen.
Der Tod der Tante, einer Frau Lehmann, raubte mir leider jede weitere Gelegenheit, etwas Genaueres zu erfahren.
An einige frühere Worte der Frau Becker anknüpfend, fragte ich nun mit möglichster Schonung, ob Therese sich vielleicht einen Fehltritt hätte zu Schulden kommen lassen.
Sie antwortete mir, daß sie durchaus keinen Grund habe, die gute Aufführung ihrer Tochter in Zweifel zu ziehen; nur habe sie nach ihrem Verschwinden bei Durchsuchung ihres Schrankes hinter einem Haufen Leinewand ein kleines Kästchen entdeckt, worin sich ein paar goldene Ohrringe von verhältnißmäßig großem Werthe befunden hätten. Sie wisse gar nicht, daß ihre Tochter je solche Schmucksachen besessen hätte und könne sich nicht erklären, wie dieselben unter ihre Sachen gekommen wären. Therese habe nie über eine so große Summe Geldes verfügt um dergleichen zu kaufen. Auch sei es nicht wahrscheinlich,. daß sie die Ohrringe von der Tante bekommen habe, da Freigebigkeit nicht zu deren beoorstechenden Eigenschaften gehört habe. Sollte es aber der Fall gewesen sein, so hätte sie doch gar keinen Grund zur Verheimlichung gehabt. Der Schmuck war offenbar ein Geschenk; von wem aber war es gekommen?
Auf meine Bitte, mir die Ohrgehänge zu zeigen, brachte Frau Becker mir das Kästchen mit denselben. Zch betrachtete sie genau und fand den Namen des Goldschmied's auf der innern Seite des Cartons. Frau Becker, deren Vertrauen ich gewonnen zu haben schien, ließ sich leicht bewegen, mir das Kästchen mit den Schmucksachen zu überlassen. Ich steckte es zu mir und war schon im Begriff, mich zu entfernen, als mir noch einfiel, die arme Mutter zu fragen, ob sie nicht ein Potrait ihrer Tochter habe.
Zch wurde darauf bald in die Schlafkammer geführt, wo Frau Becker mir ein Bild zeigte, das sicher keinen Anspruch auf künstlerischen Werth machen konnte, jedoch, da ihm natürlicher Ausdruck nicht fehlte, nicht unähnlich zu sein schien. Dieses Bild für mich zu behalten, machte nun viel größere Mühe, als das Schmuckkästchen, jedoch gelang es mir zuletzt, als ich hervorhob, daß mir dasselbe ja von größtem Werthe bei Auffindung einer Spur von Therese sein könne. Hierauf verabschiedete ich mich und kehrte, da es schon spät geworden war, mit meiner Beute nach Charlottenburg zuück.
Das Potrait hing ich an die Wand meines Znstructions-Zimmers und trug die Resnltate meiner heutigen Nachforschung in mein Aktenstück ein. Mein letzter Erfolg war mir ganz besonders werthvoll und bestärkte mich vollends in dem Entschluß, die Sache weiter zu verfolgen. Am nächsten Tage machte ich mich frühe auf und ging zu dem Juwelier, bei dem die Ohrringe gekauft waren. Er wohnte am Schloßplatze. Ich hatte auch das Medaillon, das ich am Halse der Todten gefunden, mit mir genommen. Zuerst zeigte ich das Schmuckkästchen, welches der Juwelier leicht recognoscirte. Er suchte in seinen Büchern und fand, daß er die Orgehänge am 11. September vorigen Jahres verkauft habe. Dann fragte ich ihn, ob vielleicht an demselben Tage oder wenigstens um dieselbe Zeit herum ein kleines goldenes Medaillon