Die unerwartete Weigerung Englands, sich an den Verhandlungen des Brüsseler Kongresses über Regelung völkerrechtlicher Fragen zu betheiligcn, hat bezüglich des für England besonders wichtigen Seerechts zu Schlüssen geführt, die wie seine Begünstigung der Südftanien im norbamerikanischen, diewohlwollende Neutralität" im deutsch-französischen Kriege Und jetzt die Unterstützung der Carlisten in Spanien, nicht ge­eignet sind, die sittliche Bedeutung dieser Macht ur den Au^en des Auslands zu erhöhen. Man gehl dabei von der Lhalsache aus, dag England seit Jahrhunderten die Oberherrschaft auf allen Meeren und die Ausübung der Seepoiizei nach feinen Grundsätzen in Anspruch genommen hat, die zunächst auf den eigenen Vortheil berechnet sind und nur nebenbei und in 2ier Linie den Interessen und Anschauungen anderer Völker gerecht werden. Einer der Hauptzwecke der Brüsseler Verhandlungen ist aber gerade, bestimmie Verträge an die Stelle willtürlicher Zu­stande gu setzen und durch einheitliche Gestaltung des Seereryls allen einseitigen Anmaßungen ein Ende zu machen. Die ab­lehnende Erklärung Englands scheint daher in der Thal nur den Wunsch anszndrncken, im völkerrechtliche» Verkehr zur See die bisherige Unsicherheit sorldauern zu lassen, damit das eigene (unberechtigte) und die besonderen englischen Interessen nicht ge­schmälert werden. -Für die übrigen Staaten ist dies ein Be­weggrund mehr, die einmal eingeschlagene Bahn weiter zu ver- verfqlgen und ohne England zu thnn, was England mit zu verhandeln nicht geneigt ist. Die Zeiten sind, Gott sei Dank! vorüber, wo ein Lord Palmerston erklären durste:Ich kenne eine deutsche Flagge nicht und werde sie als Piratenflagge be­handeln lassen."

Verviers, 20. Juli. Zu welchen traurigen Konsequen­zen die ultramontane Unduldsamkeit führt, zeigt der Vorfall in Dolhnin zwischen dem dortigen Dechanten und dem Sohne des verstorbenen Deputirten Viktor David. Dem in Verviers erscheinenden Progrös entnehmen wir über das Vorkommnis) die nachfolgende Stelle:Unsere Leser wissen, daß der Limburger Klerus sich eilanbt hat, am >3 d. gegen die Beerdigung des Herrn David in Ausdrücken zu protestier», daß Fräulein David, in Thronen erstickt, die Kirche verlassen mußte. Alle Einwohner proteslirten gegen diesen skandalösen Akt der Intoleranz. Gestern verlas der Dechant noch einen Hirtenbrief des Bischofs von Lüttich bezüglich der Zivilbeerdigung und sog. Prosanaktvn des betreffenden Kirchhofes. Der Dechant fügte dieser Verlesung, wie man sagt, noch neue, das Andenken deS von uns beweinten Ehrenmannes und ehemaligen würdigen Vertreters unseres Arron­dissements verletzende Angriffe hinzu. Beim Austritte anS der Kirche stellte sich der Sohn des Verstorbenen dem Dechanten gegenüber und reitpeitschte denselben vor Aller Augen. Es herrschte nur Eine Stimme darüber, daß der Dechant diese Züchtigung verdient habe." Das Publikum, welches diesem Vorgänge zu­sah, sp'nch dem Sohne laut seinen Beifall aus. Der Gemeinüe- rath von Dolhain hat in seiner Freitagssitzung einstimmig das Verfahren des Bürgermeisters gebilligt, welcher sich dem Anfinnen des Pfarrers und Dechanten, daß der Leichnam des verstorbenen David ansgegraben und in das sogHnndeloch" geworfen werden solle, widersctzt hatte.

R o m , 17. Juli. Ein alter Soldat, der sich soeben eigens nach Caprera begab, um sich persönlich von Garivatdi's Gesund­heitszustand zu überzeugen, erzählt, daß der General sich ge­zwungen sieht, ans Krücken zu gehen, und so sehr an Gicht- schmerzen leidet, daß er sich nicht einmal der Hände zu freiem Gebrauch bedienen kann. Rur den Daumen und den Zeigfinger der rechten Hand kann er einigermaßen frei bewegen und somit wenigstens noch dann und wann einen Brief schreiben. Die meisten Briese diklirt er. Das Lieblingspserd des Generals, die Stute Marsala, aus der er seinen Einzug in Neapel und Sizilien hielt, lebt noch immer und ift gegenwärtig 23 Jahre alt. Dasselbe erscheint jeden Morgen am Fenster des Einsiedlers Garibaldi, um aus seiner Hand Liebkosungen zu empfangen. Außerdem ist der Alte von Caprera ein fleißiger Bienenzüchter und besitzt nicht weniger als 22 Bienenstöcke. Die gesammte italienische Presse, selbstverständlich die zum Vatikan hallenden Blätter ausgenommen, hat sich über das Attentat gegen den deutschen Reichskanzler mit einmülhiger Entrüstung aus­gesprochen.

Wozn die Bieruotl) helfen kann.

Im feurigen Glanze der untergehenden Sonne strahlten die puipurumrüudeteu Wolkenichäfchen am tiefblauen Himmels­zelte, unter welchem ein rüstiger Fußgänger au einem warmen Scplemberabcnde wohigemuth auf der staubigen Landstraße did öde Moorgegend durchwanderte, die sich zwischen dem kleinen Städtchen Dort und der benachbarten Residenz airsbreitet.

Carl Fleißner, so. hieß der einsame Wanderer, war Schul­lehrer, aber er war keiner von jenen abgemagerlen, verkümmerten Unglücklicher!, wie sie leider noch immer ziemlich häufig im Lehr­amte zu finden sind, sondern ein kräftiger, lebensfroher Mann in den ersten Dreißigern seines Alters, eine stattliche Figur von

frischem Aussehen, mit einem leisen Anfluge von Korpulenz, der auf eine sallsame Beschäftigung seiner Verdaungsorgane schließen ließ.

Bon der Mutter 'Natur mit einem einnehmenden Gesichte ausgestattel, gefällig in seinen Manieren, ein rechtschaffener Charakter und Labet in einer amtlichen Stellung, die nicht nur ihren Mann nährte, sondern bei bescheidenen Ansprüchen auch noch zum Unterhalte einer Familie ansgereicht hätte, vereinigte Carl Fleißner alle nöthigen Eigenschaften in sich, um in Dort bet den versorgtlchen Müttern heiratsfähiger Töchter und nicht Minder bei letzteren selbst in einem sehr schmeichelhaften Credit zu flehen.

Aber auch sein Onkel, ein lohiler, wohlhabender Bürger der Reftdenzflaot, hielt große -Stucke ans ihn, wie neuerdings die sehr freundliche Einladung bewies, der zufolge sich Fleißner jetzt zu ihm oegad und die euren doppcllen Werth für ihn hatte, wie sie von Mrnchen, dem bildhübschen, blühenden Töchterchen deS allen Herrn geschrieben war. Der Vater hoffte ganz sicher darauf, hieß cs rn dem Briese, daß der Herr Vetter komme, und sic selbst, hatte Minche» auf eigene Faust beigefügt, erwarte um >o mehr, baß er die eben begonnene Ferienzeit ganz bei ihnen zuorrngen werde, als er dies schon seit zwei Jahren nicht mehr gethan habe.

Mulchen zählte zwanzig, vielleicht zweinndzwanzig Früh­ling-, war häuslich erzogen, machte eine seltene Ausnahme von der Reget trotz des Geldes ihres Vaters wenig An­sprüche, verstand einen guten Soiintagsbralen nicht nur auf den Trfch zu stellen, sondern auch zu bereiten und hatte bei großer Ordnungsliebe uno seltener Geschicklichkeit in weiblichen Arbeiten noch von ihren Schulzeiten her so manches Wissenswerthe in ihrem Köpfchen behalten, so zwar, daß cs wahrscheinlich kein Wunber gewefen wäre, wenn man sie in Dort wegen ihrer vielen Vorzüge als eine höchst gefährliche Nebenbuhlerin aller dortigen schöllen und auch nicht schönen Heiralhscandibatinnen sehr gründ­lich gehaßt hätte. Zum Glücke wußte aber dort Niemand etwas von der schöuen Wtthetmiue und es wurden daher auch wenig Einwendungen dagegen erhoben, als Fleißner den Familien, mit welchen er näher bekannt war, seine Feriensache nach der Haupt­stadt anzeigte und aus sechs Wochen freundlichen Abschied nahm.

lim stch in der nimmer enden wollenden, monotonen Pappel­allee, oie von Dort nach München führt, möglichst die Lange­weite zu vertreibe», trillerte Fleißner hie und da ein Liedchen, deren er sehr viele auswendig wußte, da er als Organist und Ehorvirigenl zugleich Vorstand des dortigen. ziemlich stark be­setz.en Eiesangvereins war.

Gelegentlich unterbrach Fleißner von Zeit zu Zeit seine Gesangsüvungen auch mit Selbstgesprächen über dieses und jenes Thema, welches ihm eben durch de» Kopf ging und wobei nicht selten auch d-r Name Minche» seinen Lippen entschlüpfte.

Das gute liebe Büschen," murmelte er;sie wird sich freuen, mich nach st> tanger Zeit wieder zu sehen; schon aus ihren Briefen geht dies hervor. Bin begierig, wie sie ausschaut; war schon vor 2 Jahren so hübsch! Hm, hm, das gäbe eine Frau Lehrerin! . . . Narrheit! . . . Was kommt dir da für ein Gedanke in den Kops?" unterbrach er sein Selbstgespräch höchst unwillig über seine ungereimte Idee,die einzige Tochter des reichen SchmerlerS! So geneigt mir der Onkel ist, aber sein Min- chen gäbe er mir doch nicht; da ist er sich und sie ihm zu gut. Ein armer Schlucker wie ich darf sich so hoch nicht versteigert."

Und wahrscheinlich um diese verführerischen Gedanken sich wieder aus dem Kopf zu schlage», stimmte er wieder ein Lied an und zwar dieses Mal so laut, so energisch, so lnsterschütternd, daß die Bügel aus den Zweigen der Bäume schüchtern ver­stummten, da solche Riesenwellen mächtiger Baritontöne nicht zu ihrem Concerle paßten.

Es war dunkel geworden und hie und da sah man bereits eine malle Münchener Gasflamme glimmen, als Fleißner in eine Seitenstraße der Altstadt einbog, wo Herrn Schmerlers statt­liches Haus stand, welches sich schon seit mehreren Jahrhunderten von Vater ans Sohn vererbt hatte und dessen ersten Stock der reiche Privatier in höchst eigener Person selber bewohnte.

Schwerter, seit vier Jahren Wittwer, hatte seine fünfzig Sommer auf dem Rücken, ohne indeß schwer an denselben zu tragen, denn er war eine kurze gedrungene Gestalt, die von physischer Kraft und Gesundheit strotzte. Auf einem dicken, runden Halse ruhte ein kugelrunder Kopf mit einer alten, braunen Perrücke; eine kaum mehr schön zu nennende Beleibtheit, aus der mir Zuversicht geschlossen werden konnte, daß der glückliche Besitzer eines solchen Umfanges in Vertilgung des Nationalge- tränkes den Anforderungen seines Berufes als achter Münchener gewissenhaft nachzukommen suchte, etwas kurze Beine, dicke Hände mit wulstigen Fingern und vor Allem das Kainszeichen aller starken Biertrinker die rothe, aufgedunsene Nase, constatirten, daß Herr Schmerler keine Ursache hatte, auf seine äußere Er­scheinung eitel zu fein.

Uebrigcns war er auch in der Thal nicht der Mann, der sich viel um sein Aenßeres gekümmert hätte. Ihm war es ganz gleichgültig, wie er anssah, war er ja doch längst über die Jahre