heute hat Herr Martin 300 Thlr. Strafgelder zu zahlen. Wei- tere 1200 Thlr. wird er aufzuzählen habe», wenn er binnen vier Wochen vom 23. d. M. an gerechnet, sechs erledigte Pfarrstellen seiner Diöcese nicht definitiv besetzt hat. Ob der gutmülhige „Verwandle" zur Abwendung dieses Nebels etwas bctzutragen im Stande ist, wird von compelenter Seite stark bezweifelt.
Wien, 2. Dez. (Kaiserjubiläum.) Bei der gestern Abend veranstalteten Illumination wurden das Kaiserpaar und der Kronprinz, als sie durch die Straßen fuhren, enthusiastisch begrüßt. Der Kaiser erließ einen Armeebefehl, in welchem er eine Erinnerungsmedaille für alle diejenigen stiftet, welche seit 1842 einen Feldzug mitmachten. Ein kaiserlicher Befehl nmncstirt alle wegen des Verbrechens der Majestäksbeleidigung Vernnheilte und verlangt beschleunigten Bericht wegen Enheilung von Strafnachsicht an Personen, die der Rücksicht würdig sind.
(Proceß Bazaine.) Die Aufregung unter dem Publikum wird größer, je mehr man sich der Katastrophe nähert. Neues bieten die Aussagen nicht. Einem unparteiischen Zuschauer muß es mißfallen, wie Bazaine von seinen damaligen Wafsen- gefährien im Stich gelassen und nur noch als Sündenbock behandelt wird. Wenn man die Aussagen der Generale Eanröbert, Leboenf u. s. w. liest, so könnte man meinen, die Kapitulation sei ihnen so unerwartet gekommen, wie eiwa ein Erdbeben. Das französische Publikum, von dem „Vcrrath" Bazainc's von vornherein überzeugt, glaubt das auch. Thräncn fließen dermalen im Verhör wie Bächlein aus den Wiesen; die Zeugen schluchzen und das Publikum schluchzt mit. „Nach Changaruier's Hurückknuft, sagt Jarras, war man einstimmig darin, daß man"sich in das herbe Schicksal ergeben müsse. Alsdann, (hier weint der General und kann seine Worte kaum herausbringen) wurde ich dazu bezeichnet, die Konvention mit dem Feinde abzuschließen". (Der General weint bitterlich und hält sich das Taschentuch vor die Augen; die Versammlung ist gerührt, einige Richter weinen ebenfalls.) Canroberl's hochdramatifche Mitteilungen über die Sce- nen, die bei der Uebergabe der Armee vorkamen, erregten die Versammluna so, daß vor dem lauien Weinen die Sitzung auf einige Minuten umerbrochen werden mußte Die Deutschen erhielten natürlich auch ihren Theil; sie wurden beschuldigt, für die Kranken und Verwundeten nicht gesorgt zu haben. Der Verteidiger Lachand sagt hierüber: Wenn die Feinde ihre Verpflichtungen nicht erfüllen, so sind wir dafür nicht verantwortlich.
Das Journal de Paris sagt, daß der Marschall v. Noail- l e s zum bevollmächtigten Minister in Nom ernannt werden, Graf Harcourt, Gesandter in Wien, wahrscheinlich als Gesandter nach London gehen, Chaudordi als Gesandter nach Wien oder Bern gehen würde. Die Gesandtschaft in Washington sei Fon r- nier angebolen und es fei ferner das Gerücht verbreitet, daß Sainl Ballier bei diesen diplomatischen Veränderungen einen Posten erhallen werde.
Trianon, 29. Nov. Proceß Bazaine. General 8a- veauconpet erklärt, daß er den ihm erteilten Befehl, die Fahnen nach dem Arsenal zu schaffen, nicht ausgeführt habe, weil ihm dies schimpflich erschienen fei Unwillig habe er vieimehr befohlen, den Fahnen die militärischen Ehren zu erweisen und sie sodann zu verbrenne». Er habe nicht gewollt, daß diese Fahnen, welche dem Ruhme gehört hatten, in das Arsenal geschickt würden, wie ein altes Pferd auf den Schindanger. Die Aussage des Generals bringt eine lebhafte Erregung hervor. Derselbe wird bei seinem Abtritt mit Beifallsrufen begrüßt. General Jeanningros ließ die Fahne des ersten Zuavenregimeiits in Stücke schneiden und unter die Soldaten verteilen. General Lapasset ließ ebensalls seine Fahnen verbrennen. Derselbe erzählte, daß er an der Spitze seiner 5000 Mann habe ausrücken wollen, Ba- zaine ihm aber gesagt habe, daß man keinen unbesonnenen Streich machen dürfe und auf persönliche Projekte verzichten müsse. Die Zeugenaussagen werden an Montag abschließen und das Reqni- sitorium sodann beginnen.
Die beiden Waisen.
Nach einer wahren Begenbenhei!.
An einem prächtigen Augnstworgen des Jahres 1811 saßen zwei junge Mädchen, beinahe noch Kinder und keines über dreizehn Jahre alt, weinend am Rande der Landstraße, in geringer Entfernung vom Bonlogner Gehölz bei Paris. Die beiden Kinder hatten einige Aehnlichkeit mit einander, waren aber ihrem Wesen nach sehr verschieden. Beide hatten dunkelbraunes Haar, große, dunkle, glänzende Angen mit einem Hellen, schönen Teint; beide waren hoch gewachsen, schlank anmutsvoll und beinahe von gleicher Größe. Aber bei der Einen war die Stirne hoch und breit, bei der andern schmal und niedrig; dis eine hatte in ihren Zügen einen süßen, verständigen, sanften und liebevollen Ausdruck, der ans Eharakterstärke und gesundes Urteil deutete, während das Gesicht der Andern ein feuriges Ungestüm nnd jene Rastlosigkeit verriet, welche zwar in dringenden Fällen eine große Willensstärke verleihen mag, aber unter anhaltenden Widerwärtigkeiten leicht ermüden dürste.
Während die Kinder noch, ihre Arme einander um die Schulter» gelegt, weinend dasaßen, lam ein ältlicher, ehrbar aussehender Landmann singend um eine Krümmung der Straße geschritten, welche die beiden Mädchen seither verborgen Halle; überrascht von der plötzlichen Erscheinung der weinenden Kleinen, blieb er stehen und rief: „Was ist euch denn, ihr hübschen, kleinen Dinger? Ist das Mütterchen davon geflogen, oder habt ihr euch vom Reste hinweg verirrt? Warum weint ihr denn?"
„Ach, wir sind Waisen — Pauline und ich!" erwiderte das Mädchen mit der niedrigen Stirne; „wir haben niemand mehr, der sich unserer annimmt, und so sind wir denn hier heraus gekommen, um zu sterben!"
„Bei meiner Mutter Seele, das ist hart!" erwiderte der Landmann und schlug die Hände über dem Kops zusammen, „noch so jung und so schon so mulhlos, so müde des Flügen! Wer sollte Das glauben! Seid ihr denn Schwestern?"
„Mit nichlen," erwiderte diejenige, die wir vorhin als Pauline bezeichnen hörten ; „Camilla ist mein Väschen: ihr Vater war meiner Mutter Bruder!"
Jean Hudel, unser ehrlicher'Landmann, setzte sich nun zu den beiden Kindern, und erfuhr von ihnen durch zarte Fragen und bescheidene Erkundigungen, daß die beiden Waisen mit Panlinens Mutter aus der Provence nach Paris gekommen waren, um hier einen Oheim anfzusuchen, welcher sich ihrer hülfreich angenommen haben würde; aber leider war dieser gehoffte Beschützer schon vor der Ankunft seiner Schützlinge gestorben. Die Mutter Pauliiiens erkrankte und starb bald nach ihrer Ankunft in Paris, und nun standen die beiden Mädchen ganz allein und schutzlos in der Welt, und wandten der großen Stadt den Rücken, ohne zu wissen, wohin sie sich wenden sollten. Camilla wiederholte, sie möchte am liebsten hinlicgen und sterben; Pauline aber meinte, ihre Mutter habe sie gelehrt, dem lieben Gott zu vertrauen, und auf ihn wolle sie daher auch ihre Hoffnung setzen.
„Wie verständig die beiden Mädchen zu sein scheinen !" sagte der Landmann zu sich selbst, „nnd wie hübsch sie sind! Aber Pauline ist der Engel, Camilla dagegen ist ein kleiner Teufel im Unterrock, das liegt klar am Tage. Ich kann sie nicht hier dem Elend und dem Hungenode preisgegeben sehen, die armen Dinger, und doch kann ich sie auch nicht mit nach Hause nehmen und ihnen eine Unterkunft geben! Meine gute Marie würde sie freilich willkommen heißen und sich ihrer annehmen, wie jedes leidenden Geschöpfes; aber was würde es helfen? Wir haben kaum für uns und unser» Jnngen zu leben — wir wären unserer Fünfe, so müßten wir alle mit einander Hungers sterben! — Wollte Golt, die gute Josephine wäre noch Kaiserin, da würd' ich die beiden armen Geschöpfe zu ihr führen: aber diese neue blauäugige Gemahlin unseres Kaisers dünkt mich so kalt und herb wie ein deutscher Handkäsc — und sie weiß wohl auch noch nichi, daß ich ihrem Gemahl in Egypten das Leben gerettet habe."
Der wackere Hudel saß noch ganz gedankenvoll da und besann sich, was er mit den beiden verlassenen Waisen beginnen sollte, die ihn in der Seele dauerten, als plötzlich eine Carosse, von sechs milchweißen Pferden gezogen, um die Krümmung der Landstraße bog. Hudel sprang zur Seite, um nicht überfahren zu werden, und erkannte in den beiden Personen, welche in jener offenen Carosse saßen, den Kaiser und die Kaiserin, welche eine ihrer gewohnten Morgenspazierfahrten machten, ohne andere Begleitung als die beiden Reitknechte auf den Sattelgäulen und die beiden Lakaien hinten aus dem Wagenlritt. Hudel stellte sich sogleich militärisch steif in Positur und legte salutirend die Hand an die Mütze; Napoleon hatte auf den ersten Blick in ihm einen alten Soldaten der Republik aus den Feldzügen in Italien und Egypten erkannt, und ließ, von einem jener demokratischen Impulse getrieben, welche ihm solchen Einfluß ans die Massen gaben, den Wagen halten und winkte Hudel heran. Dieser erschrack beinahe über diese Ehre. Gewöhnt, seinen früheren Feldherrn beinahe für allwissend und allmächtig zu halten, fürchtete er schon, der Kaiser möchte etwa seine soeben geäußerten, höchst unschmeichelhasten Gedanken und Ansichten über seine neue Gemahlin crrathen haben; daher hieß er die Kinder ruhig sitzen bleiben, bis er wieder käme, und trat mit Herzklopfen zu dem Wagen. Des Kaisers freundliche, herablassende Leutseligkeit beruhigte ihn übrigens sogleich. Napoleon bot ihm die Hand, die er herzlich schüttelte, und sagte: „Ah, trefs ich dich auch einmal wieder, mein tapferer Kamerad? Wie gehr es Dir, Hudel, seit du Dein Schwert zur Plugschaar gemacht hast? aber Du warst ja kein Lancier, da hast Du wohl keine Sichel aus einem Spieße machen können! Dann wandte er sich zu Marie Louise, die er zärtlich iu die Wangen kniff, und sagte: „Sehen Sie, meine Liebe, ich bin auch mit den mir, daß ich Ihnen hier einen braven Soldaten vorstelle, der mir in Egypten das Leben gerettet hat! Sind Sie ihm nicht gut? Mich freut es, wenn ich einen meiner alten Braven so ! im Gewände des Friedens und im Geruch des Kleeheu's wie- j derfinde. Aber sprich, Alter," wandte er sich zu Hudel, „geh