Berlin, !0. Okt. Das Abgeordnetenhaus ist mittelst königlicher Verordnung vom ö. Oktober d. I. aufgelöst, die Wahl der Wahlmänner aus de» 28 Oktober, die Wahl der Abgeordneten aui den 4 lllovcmber festgesetzt worden. Der „Reichs- Anzeiger" velösfentticht die bezüglichen Bekanntmachungen.
Der mililärische Ruhui DeuischlandS ist sogar bis in die südlichsten Gegenden Afrikas, bis in die Tra n s v a a l - R e p n- blik, gedrungen. Die Regierung derselben hat in Folge dessen die preußische gebeten, ihr einen militärischen Instruktor, und zwar für die Artillerie, zu schicken. Ein solcher wurde in der Person des Unteroffiziers Riedel von der Garde Feld-Artillerie gefunden, eines ächten Berliner Kindes, der als Hanvlmann in trans- vaalsche Dienste getreten ist und kürzlich seine Reise dahin ange- treten hat.
Der Zusammenbruch der O u i st o r p 'scheu Bank hat Hunderte von Familien in Berlin, Ehai loitenbnrg und Potsdam, welche vor wenigen Wochen noch gut situirl erschienen, vollständig rui- nirt. Fast sämmtliche Gärtner Eharlottenbnrgs, welche ihr Be. sitzthnm unter windigen Bedingungen an die Oniftorp'sche Bank veräußert hatte», sind durch den Bankerott dieser Bank an den Bettelstab gebracht. Von de» Aktien im Betrag von 20 Millionen Thalcrn sind mehr als 1ö Mill Thaler in Berlin und Potsdam unlergebracht. Natürlich dabcn die Börsen-Jobbers sich bei Zeiten aus der Sache gezogen und fast die sämi.-itücheii Papiere in die Hände von Private» gespielt.
Leipzig, 10. Okt. Falls nicht noch in letzter Stunde eine Vereinigung zu Stande kommt, d h. eine Modifikation der exorbitanten Ansprüche der Gehilfen, so haben wir in kürzester Frist den Ausbruch eines B u ch b i n d er st r i ke s zu erwarten, ein Ereignis;, dessen Tragweite begreiflich wird, wenn man erwägt, daß Leipzig als der Hanptsitz der deutschen Buchbinderei gelten kann. Von Seiten des hiesigen Buchbinder (Gedilscn-)Pereins ist nämlich am 4 d. dem Bnchbindcrcibesitzerverband ein neuer Lohntnrif vorgelegr worben, nach welchem eine Erhöhung des Lohnes um durchschnittlich 33'spCt. gefordert wird. Ans Anlaß dieses Ansinnens haben Kommissionssitzungen des Prinzipalverbands statt- gesunden, deren Ergebnis; war, daß sich die Forderungen der Gehilien als unerfüllbar darstellten
D resden, i3. Okt. Der Kronprinz von Sachsen ist vorgestern Nachts mit dem Wagen umgeworfen worden, wobei er unter den Wagen zu liegen kam Derselbe befindet sich in ärztlicher Behandlung in Pillnitz Die erhaltenen Verletzungen sollen nicht lebensgefährlich sein.
Neustadt a. d. H., 12. Okt. Eine heute hier abgehal- tcne Gemeindeveisammlung hat fast einstimmig die Einführung konfessionell aemischter Volksschulen beschlossen. Der katholische Pfarrer Man; halte gegen, der evangelische Pfarrer Leyher für den Antrag gesprochen.
Die „Hamburger Nachrichten" erörtern einen sehr gut geschriebenen Artikel, die Frage, iHe dem Einfluß der ultra,nonta- nen Geistlichkeit ans das niedere und ungebildete Volk am besten entgegen,znwirken sei. Dies sei ein Hauptpunkt, wenn man nämlich vor den Nmtrieben der Ultramontanen und ihren beharrlichen Aufhetzereien Ruhe haben wolle. Es wird vorgeschlagen, ähnliche Vereine zur Belehrung und Verbreitung richtiger Ansichten über die wahren religiösen Interessen des Volkes zu errichten, wie cs seiner Zeit durch die Nationalvereine mit der Verbreitung der politisch nationalen Idee der Fall gewesen.
Wien. 13. Okt. Die „Montags-Nevue" beklagt in einem anscheinend offiziösen Artikel das schroffe Vorgehen der Türkei gegen Oesterreich-Ungarn in der bosnischen Angelegenheit durch die Versendung eines Memoires an die europäischen Mächte, in welchem die Sachlage einseitig dargestellt wurden sei, und weist die in dem Memoire erhobenen Anschuldigungen als grundlos zurück. Auch die Anwesenheit des Fürsten Milan von Serbien in Wien, sagt das Blatt weiter, sei türkischerjeits zu einer Demonstration benutzt worden, welche aber eine energische burechlmeisung Seiiens Oesterreichs und kleinlaute Entschuldigungen Seiiens der Türkei zur Folge gehabt habe. Der Artikel schließt: Oesterreich-Ungarn ist berechtigt, die dankbarsten Sympathien des Sultans und der türkischen Regierung zu fordern. Jedenfalls wird das Wiener Eabinet der unklaren Situation ein Ende machen und ausgiebige Gennathnung beanspruchen "
Trianon, !I. Okt. Die Lesung eines zur Rechtfertigung Bazaine's verfaßten Berichts wird bestimmt erwartet. Die hen- lige Sitzung wurde um 1! Uhr eröffnet und der Bericht des Generals Rivinre weiter verleset,. Derselbe untersucht, in welcher Weise die in Metz vorhandenen Lebensmittel verwendet wurden, bespricht die non Bazaine zur unmittelbaren Versorgung der Armee getroffenen Maßnahmen und erörtert die vom General Eofsimöie als Eommandanten von Metz bis zum 20. Oktober, an welchem,. Tage derselbe das Eommando an Bazaine abtrat, zur Versorgung der Stadt angcordneten Maßregeln. Eine große Verantwortlichkeit, so führt der Bericht ans, treffe den Marschall Bazaine dafür, daß er gezögert habe, die nöthige Sparsamkeit rechtzeitig anznordnen Hierdurch sei die Intendantur zum Theil entlastet. Bazaine trage aber doppelte Verantwortung, erstens
dafür: daß er nicht Alles gsihan, was zur regelmäßigen Verpflegung der Armee anzttordnen nöthig gewesen wäre, und zweitens dafür, daß er durch ungenaue Auskunft seine Unterchefs an der Ausführung der von denselben angestrebie» Vorsichtsmaßregeln verhindert habe. Schließlich wird die Haltung Bazaine's während der Einschließung selbst untersucht. Am Schlüsse der heutigen Sitzung, nachdem das Schluß-Resnina, welches die einzelnen Punkte der Anklage recapitnürt, verlesen war, gab der Präsident den Befehl, die, Rechifenignngsschrift Bazaine's zu verlesen. Die Denkschrift ist eine fast vollständige Wiederholung des bereits bekannten von Bazaine verfaßten Buches über die Rbein-Armee. Das Memoire erinnert mit ziemlicher Kürze an die Schlacht bei Forbach, legt ihr dieselbe Eigenschaft bei, wie der unzeitig nnter- nommenkii und dnrch den Kaiser angeordnclen Affaue von Saarbrücken, sucht nachzuweisen, daß der Kaiser alle Befehle gegeben habe, bespricht die Schlacht bei Borny, schreibt dieselbe den schlechten Dispositionen des Generals Coffinivre und den langsamen Märschen des !4. und 1ö August zu, behandelt die anderen Schlachten, berührt aber nur leichthin diejenigen Punkte, auf welche sich die Anklage stützt. Bei der Besprechung des Kampfes am 7. Okt. schiebt er die Verantwortlichkeit für dessen schlechten Ausfall den Offizieren zu. Dieselben hüllen eine nngeordnele Bewegung so schlecht ausgefühet, daß er einen ernstlichen Versuch, den Marsch nach Meziarcs einznschlaaen, nickt mehr hätte machet! können. Er schließt: Die Ereignisse seien stärker als alles Andere gewesen und fügt hinzu, sein Gewissen mache ihm keinen Vorwurf. Nachdem die Lesung des Berichts beendet ist, verliest der Herzog v. Anmale den Schlußsprnch der Anklage Acte, welcher lautet, „daß nicht Alles getha» lei, was Pflicht und Ehre vorschreiben." Bei diesen Worten zeigte Bazaine eine lebhafte Ansregung, sein Gesicht ist von einer plötzlichen Röthc übergossen. Montag um 1 Uhr wird das Verhör Bazaine's beginnen.
Der Proceß Bazaine trägt das unbestreitbare Gepräge eines Tendenz-Processes Der Eindruck, welchen man von dem ebenso weitschweifigen als oberflächlichen und geistlosen Machwerk des Untersuchungs-RichlerS General Rivivre empfängt, ist ein sehr gemischter. Auf der einen Seite drängt sich sclkcht ans den nicht immer haltbaren Beschuldigungen der Anklage-Schrift die Ansicht auf, daß vom streng militärischen Standpunkt der Mar- schnll Bazaine nicht im vollen Umfange seine Schuldigkeit als Ober-Befehlshaber gelhan hat, und dcßhalb wohl auch von jedem anderem Kriegsgericht in gewissem Grade schuldig gesprochen werden dürfte, wenn auch nicht gerade des Verralhs, dessen ihn seine französischen Ankläger zeihen. Eine andere Frage ist die, ob überhaupt, und zumal unter so aiißergewöbtilichen Verhältnissen, in welchen sich Frankreich und die Armee von Metz insbesondere befand, für einen militärischen Oberbefehlshaber auch politische Erwägungen maßgebend sein dürfen, und in welchem Krade. Wird diese Frage besaht — und es scheint, als müsse sie es wenigstens in diesem Ansnahmefall — so wächst hieraus ein scbr beträchtlicher Milderungs-Grund für die Würdigung der Schuld Bazaine's. Erschwerend hinwiederum wäre es in hohem Grade, wenn sich dabei heransstellte, daß Bazaine, was man öfters ge- argwohnt hat, bei seinem Verhalten den Eingebungen eines egoistischen Ergetzes gefolgt sei. Ob die Verhandlungen über diesen entscheidendsten Punkt volle Klarheit verbreiten werden, steht ab- znwarten. Desto fester steht, daß die Anklage gegen Bazaine von Anbeginn mit einer bestimmten., sowohl gegen die Person des Marschnlls, als gegen die politische Partei, der er diente, gerichteten Animosität erhoben worden ist, an welcher die militärische Rivalität und die politische Rachsucht gleichen Antheil haben. Es ist ferner nicht zufällig, sondern Ergebniß einer raffusirien politischen Berechnung,, daß der Prozeß gerade setzt, in einem Zeitpunkt in Scene gesetzt wird,-wo einerseits das öffentliche Interesse durch die aufregende Verhandlung von anderen politischen Jnlrigiitn abgelenkt wird, andererseits ein verurlheilendes Verbiet mit dem persönlich Schuldigen zugleich den Bonapartismus in der öffentlichen Meinung vollends vernichtet, und so ein Concnr- rent bei Seite geschoben wird, mit dem man sonst vielleicht rechnen müßte. Auch in der Ernennung des Herzogs v. Anmale, der als Mitglied der Familie Orleans eine besondere Rancune gegen Alles empfinden muß, was mit dein Namen und dem Hause der Napoleonideii in Verbindung steht, ist eine gewisse Tendenz nicht zu erkennen. Das U, theil über Bazaine, wie immer es ausfallen mag, wird übrigens von Neuem erkennen lassen, daß in den Reihen der französischen Armee, wie in denen der Diplomatie und der Parteiführer immer Einer so ziemlich den Andern auf- wicgt, und insofern wird man das Verbiet des Kriegsgerichts von Trianon zugleich als ein Verbiet über die französische Nation betrachten dürfen.
London, 13. Okt. Ein Artikel der „Times" bespricht die Kämpfe der preußischen Staalsrcgierung gegen die römisch- katholischen Bischöfe. Derselbe hält das Eöliba! für ein Hanpt- hindcrniß, welches der Heranbildung eines echt national-gesinnten Klerus 'cr-tgegensteht. Die Beseitigung des Cölibats sei anzu- j streben und -er schließliche Triumph nach schweren Kämpfen dann unzweifelhaft.