Amtsblatt für den Oberamtsbezirk Nagold.
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Samstag den 26.
Juli.
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Lages-Neuigkeiten.
Nagold. Der Kranken - Unterstützungs - Verein hier zählt nach seinem neuesten Rechenschaftsbericht pro 1. Juli 1873 135 Mitglieder, die mit dem kleinen monatlichen Beitrag von nur 6 kr. den als krank angemeldeten Mitgliedern im abgelaufenen Halbjahr eine Unterstützung von 42 fl. 6 kr. und bei einem Todesfall 12 fl. Beerdigungskosten aus ihrer Vereinskasse geben konnten. Neben dem zur Deckung der laufenden Ausgaben nöthigen Cassenbestand sind bei der hiesigen Handwerkerbank 250 fl. als Fond angelegt. — Daß der Verein, wenn etwa seine Mit- gliederzahl verdoppelt werden könnte, was in Betreff der hiesigen Einwohnerzahl und besonders der vielen Arbeiter wohl mög? lich werden sollte, auch die Unterstützungsbeiträge in größerem Maße verabreicht werden könnten, ist keine Frage, weßhalb ein weiterer Beitritt sehr erwünscht sein muß, um so mehr der Cassier es schon öfters empfinden durfte, mit welchem freudigen Danke die Unterstützungsbeiträge in Empfang genommen wurden, besonders wenn der Verdienst durch Krankheit für die Familie ganz erlischt; da thun der sorgenden Hausfrau auch die täglichen 12 kr. gut, die sie durch die Mitgliedschaft ihres Mannes erhält.
Calw, 22. Juli. Am 17. d. M. erlaubte sich ein Bauer von Sulz, O.A. Nagold, den Spaß, den stark betrunkenen und überdies des Reitens unkundigen Maurer G. von Holzbronn auf ein Pferd zu setzen und reiten zu lassen. G. fiel alsbald herunter, wurde bewußtlos wcggetragen und starb heute Nachmittag. Gerichtliche Untersuchung ist eingeleitet. (St.-A.)
Stuttg art, 25. Juli. Heute haben wir den 30. Sommertag; vom Gedeihen des Weinstocks kommen überall her die erfreulichsten Nachrichten. (B. ZI
Heidelberg, 22. Juli. Eine ledige und buckelige Modistin genas hier vor etwa einem Vierteljahre eines Kindes, das dieselbe in Handschuchsheim in Kost gab. Verflossenen Sonntag begab sie sich zum Besuche ihres Kindes dahin, that Phosphor in Milch und gab dieselbe in Abwesenheit der Kostfrau dem Kleinen zu trinken. Bald nach dem Weggehen der unnatürlichen Mutter wurde das Kind so krank, daß es heftig schrie und sich das Gesicht zerkratzte. Der herbeigerufene Arzt erklärte sogleich, daß das Kind vergiftet worden sei. Die Mutter, auf die der Verdacht fiel, wurde sofort verhaftet und hat heute bei der Sektion des Kindes, bei der sie anwesend sein mußte, die schändliche That eingestanden.
Ueber den Eindruck, den das Urtheil im Spitzeder-Prozeffe in Bayern gemacht hat, schreiben mehrere dortige Blätter, daß noch vor einigen Tagen in den unteren Volksklassen die Stimmung entschieden zu Gunsten der Spitzeder war; in den letzten Tagen aber hatte die Schilderung des namenlosen Luxus und der Verschwendung , der Verkommenheit und gemeinen Bettelei gewisser Geistlichen, der schamlosen Diebereien, des Schmarotzens des journalistischen und der Mithilfe des juristischen Gauner» thumes im Schwindel und die dadurch gewonnene Einsicht in das Treiben dieser modernen Räuberbande eine Umwandlung in der Stimmung hervorgebracht und eine tiefgehende Entrüstung her-' vorgerufen. Als das verhältnißmäßig milde Urtheil den harrenden Massen bekannt wurde, trat große Gereiztheit zu Tage; man hatte ganz andere Strafen erwartet, und viele, die noch wenige Tage zuvor in Adele Spitzeder eine Heilige oder mindestens ein Opfer der Jntrigue erkannt, hätten sie nun am liebsten auf einem Scheiterhaufen verbrannt gesehen.
General v. Manteuffel, der Oberkommandirende der Okkupationsarmee, hat in seiner Verwaltung von den ihm überwiesenen Fonds bedeutende Ersparnisse zu machen gewußt, über deren Verwendung ihm freie Verfügung zusteht. Wie die „D. R.-C." hört, hat der General diese Fonds so vertheilt, daß er einem jeden Offizier zu seiner Neuequipirung eine Summe von ca. 200 Thalern überwies. Für die Mannschaften hat der General insofern Sorge getragen, daß er einem jeden Regiment eine Summe von ca. 15000 Thalern überwiesen hat, die als eiserner Bestand des Regiments verbleiben soll, und aus deren Zinsen die Mannschaften bei festlichen Gelegenheiten bewirthet werden sollen.
Der Generalpostdirektor Ra mp out, unter dessen Verwaltung die Postverträge mit Deutschland und Rußland abgeschlossen und mit Nordamerika angebahnt worden sind, hat feine Entlassung erhalten, wie „Rappei" sagt, weil er Republikaner ist, und weil er das sogenannte schwarze Kabiner abgeschafft hat.
Wien, 24. Juli. Wie verlautet, wird der Kaiser voy Oesterreich den Besuch des Czaren Ende September oder Anfang Oktober mit einem mehrtägigen Besuch in Petersburg erwidern.
- Nancy wurde gestern morgen um 7 Uhr geräumt, und alles verlief ohne die geringste Ruhestörung. In Beifort, Mont- medy, Stcnay, Blamont, Saint-Nikolas du-Port, Baccarat. Lune- ville, Nancy, Bar-le-Duc, Charmes, Mirccourt, Saint-Dis, Naon t'Etape, Neuschateau, Mezieres, Sedan und Longuyou sind bereits Detachements französischer Mobilgendarmen'eingetroffen, die überall in festlicher Weise empfangen wurden.
London, 18. Juli. AuS Peking wird vom l. d. M. gemeldet : Die Gesandten Frankreichs, Englands, Rußlands, Nord- amerika's und Hollands hatten ihre erste Audienz beim Kaiser am 29. Juni. Vorher und besonders war der Botschafter von Japan empfangen worden. Der russische Gesandte verlas die an den Kaiser gerichtete, in französischer Sprache verfaßte Adresse, welche der Dolmetscher der deutschen Gesandtschaft, Hr. v. Bismarck, in's Chinesische übersetzte. Jeder Gesandte legte sodann sein Beglaubigungsschreiben auf den Tisch, der vor dem Kaiser stand Der Kaiser antwortete in der Mandschusprache. Prinz Kung auf den Knien wiederholte die Worte in chinesischer Sprache. Achthundert Mandarinen, darunter alle Prinzen, wohnten der Ceremonie bei. Die Mitglieder des Tfung li Damen geleiteten die Gesandten in ihren Sänften durch die menschengefüllten Straßen. Die amtliche „Pekinger Zeitung" schweigt von diesem Empfange ganz. Es herrscht Unzufriedenheit über die Fassung des Edikts, welches die Audienz gestattete. Der französische Gesandte Geoffroy überreichte an demselben Tage in einer andern Audienz noch ein Schreiben über das Gemetzel in Tientsin.
London, 21. Juli. Der Schah von Persien erhielt während seines Besuches in Paris nicht weniger als 8,000 Bettelbriefe. Dieselben wurden alle in eine Kiste verpackt und nach Persien geschickt, wo sie der Sekretär Sr. Majestät eröffnen wird. (N. Z.)
Welche Werthschätzung man der Buchdruckerkunst in — Jä- pan beilegt, beweist die veröffentlichte Thatsache, daß zur Zeit in der königl. Staatsdruckerei im Haag ein Schriftsetzer sich befindet, wie man wohl nur selten einen solchen sieht. Es ist dies ein Japanese, der Fürst Macao, ein Da'imio ersten Ranges, der von seinem Herrscher abgesandt wurde, die Buchdruckerkunst in jeder Richtung gründlich zu studiren. Er unterzieht sich seiner Aufgabe mit solchem Eifer, daß er täglich mehrere Stunden vor dem Setzkasten zubringt.
Die weibliche Schildwache.
Bo» Sacher-Masach.
Die russische Hauptstadt hat sich seit mehr als zwei Wochen in ihren dichten glänzenden Schneepelz gehüllt. Die Czarin Katharina II. residirt im Winterpalast und ertheilt Audienz. Der große im Geschmack der Renaissance dekorirte und meublirte Vorsaal ist mit Bittstellern aller Nationen des weitläufigen Reiches angefüllt. Unter dem herrlichen, italienischen Gemälde der Mittelwand, das Semiramis, ihr blondes Haar kämmend, darstellt in dem Augenblicke, wo sie die Meldung von dem Aufstande ihrer Feldherrn erhält, sitzen zwei alte Diplomaten mit schneeweißen Puderperückcn und großen Stöcken mit Elfenbeinknöpfcn. Semiramis -trägt einen mit Hermelin gefütterten offenen Schlafrock und hat einen schönen geistreichen und strengen Kopf, der lebhaft an Katharina II. erinnert. Seitwärts an dem großen holländischen Kamine, in welchem riesige Pflöcke von den Flammen verzehrt werden, kauern drei Kirgisen ans dem kostbaren persischen Teppiche, die Knice nach muselmännischer Sitte unter- geschlagen und verzehrten andächtig ihre Zwiebeln. Die Uhr auf dem Sims spielte eine Menuette. In der Fenstertiefe zwischen einem einarmigen Artillerieoffizier und einem französischen