Im deutschen Reichskauzleramt denkt man an die Einführung einer Reichsgewerbe st euer und durch Hülfe derselben an Ermäßigung der Matrikukarbeiträge, Die Reichsgeiverbesreuer soll an die Stelle der in den einzelnen Bundesstaaten bestehenden Gewerbesteuern trete». Man glaubt in Berlin, daß die kleinen Staaten durch Einführung dieser Reichssteuer erheblich entlastet werden, ohne an eigenen Einnahmen sonderlich viel einzubüßen.

Die Mittwochsnuminer derGermania" enthält folgende Kollektiveingabe des preußischen Episkopats an das S a a t sm i n i st er i n m: Hohes königliches Staatsmini- sierinm! Unter Bezugnahme ans die veröffentlichte bischöfliche Denkschrift vom 20. Sept. v. I. und die a», 30. Jan. d I. dem hohen königlichen Staatsministerio vorgelegte Kolleklivein- gabe sind wir, die Unterzeichneten Erzbischöfe und Bischöfe, zu unserem tiefsten Bedauern genöthigt, Hochdemselben ganz ergebenst zu erklären, daß wir nicht im Stande sind, zum Voll­züge der am 15. d. M. publizirten Gesetze mitzu­wirken. Diese Gesetze verletzen die Rechte und Freiheiten, welche der Kirche Gottes nach göttlicher Anordung znstehen. Eie ver- läugnen gänzlich das Grnndprincip, nach welchem seit Konstan­tin dem Großen die christlichen Völker in den verschiedenen Staaten das Verbältniß zwischen Staat und Kirche geordnet sahen, das Princip, welches im Staate und in der Kirche zwei ver­schiedene von Gott eingesetzte 6'ewalteii anerkennt, die bei der mannigfachen Berührung und Verschlingung der Verhältnisse in Bezug auf die Regulirung der Grenzen ihrer Befugnisse darauf angewiesen sind, nicht einseitig vorzugehen und eigenmächtig dle Grenzen^tnd Schranken zu setzen, sondern über die zu treffenden Anordnungen und Bestimmungen sich zuvor sriedlich zu verständi­gen. Die Kirche kann das Princip des heidnischen Staates, daß die Staatsgesetze die letzte Duelle alles Rechtes seien, und die Kirche nur die Rechte besitze, welche die Gesetzgebung und die Verfassung des Staates ihr verleiht, nicht anerkennen, ohne die Gottheit Christi und die Göttlichkeit seiner Lehre und Stiftung zu leugnen, ahne das Christenthum selbst von der Willkür der Menschen abhängig zu machen. Eine Anerkennung dieser Ge­setze wäre daher eine Verwerfung des göttlichen Ursprungs des Cbristenthums, weil sie das unbedingte Recht des Staates ein­räumen würde, das ganze Gebiet des christlichen Lebens durch Gesetze zu bestimmen. Eine solche Anerkennung wäre aber auch ein Verzicht auf alle andern historischen und positiven Rechte der Kirche in Preußen, weil die Gesetzgebung als einzige Quelle des ReLts sie alle ohne Ausnahme nach Gutdünken einseitig in Zu­kunft aufbeben könnte. Auch denjenigen einzelnen Bestimmungen der gedachten Gesetze, welche von der Kirche an verschiedene Staaten kraft eines Uebereinkommes derselben mit dem aposto­lischen Stuhle zugestanden sind, vermögen wir aus diesem Grunde nicht Folas zu geben; sonst würden wir die Kompetenz des Staates, über kirchliche Dinge einseitig zu verfügen, anerkennen. (Folgen die Unterschriften sämmtlicher preußischen Bischöfe.)

" Mit dem Militär-Etat für Heer und Flotte ist der Ab­geordnete Richter im Reichstage etwas scharf ins Gericht gegangen Bis hierher und nicht weiter! rief er der Militär­verwaltung und dem Reichstag zu, und Beide hörten ihm l'/s Stunde lang mit achtungsvollster Aufmerksamkeit zu Er zählte die Summen auf, die für Heer und Flotte, für Vermehrungen, Verbesserungen und für Bauten aller Art gefordert und bewilligt sind und fragte: wo bleibt das früher vereinbarte Pauschquantum?

Es wird durch Extracredite (9) und Nachforderungen immer von neuem überschritten, Jedermann verliert die klare Einsicht und Uebersicht und man geräth auf die schiefe Ebene; was soll werden, wenn die letzten goldenen Tropfen des Milliardcnstroms ver'ieat und nur noch die Taschen der Steuerzahler übrig sind? Wir leben Alle noch, sagte er, unter den Erfahrungen des letzten Kriegs und wissen, was wir dem Heer und dessen Tüchtigkeit verdanken, wir denken nicht daran, mit dem Nothwendigen zy knausern, aber ein Ende muß einmal einlreten mit dem Fordern und mit dem Bewilligen. Im klebrigen freut sich Richter über den guten Geist in dem Osfiziercolps; in den militärischen Schriften nach dem siegreichen Kriege von 1870 zeigt sich nirgends ein Geist der Ruhmredigkeit, alle militärischen Einrichtungen und Ver­hältnisse werden kritisch geprüft und man erachtet die Heeresor- ganisalion ebenso wenig als unübertrefflich, als sich das Zünd- nadelgewehr als absolut beste Waffe erprobt hat. Richter erkennt es freudig an, daß der Gedanke der Abkürzung der Dienstzeit ans 2-21- Jahr unter den Militärs wieder in Ausnahme kommt; wenn diese Abkürzung militärisch zulässig ist, wie vielmehr ist sie geboten durch die Rücksicht auf den Arbeitsmarkt und die Fiuanzen.

Ans den Kriegsminister Kamecke machte die Rede großen Ein­druck und er versprach, auf sie zurück zu kommen.

Die Wirkungen der Wiener Börsenkrisis aus den Berliner Platz machen sich mit jedem Tage mehr fühlbar. Neulich ist ein bedeutendes Haus gestürzt, und außer dem Stadtgerichtsrath M. haben sich noch ein sonst sehr geachteter Kaufmann und ein pen- sioniner Offizier entleibt. Beide waren durch unglückliche Speku­lationen an den Bettelstab gebracht.

Die Mollmärkte nehmen ihren Anfang. Der erste ist

in Breslau abgehalten morden. Es waren u. a. 600 Eentner ungarischer Wolle ausgestellt, die mit 7580 Thlr. pr. Ceutner verkauft wurde. Das Wetter war für Len Mark: ungünstig.

Vor 23 Jahren heirathele ein Sachsenhäuser-Mädchen einen jungen Mann, an dessen Seite sie das gehoffte Lebensglück nicht fand. Des langen Haders überdrüssig, wurden in den letzten Monaten die zur Scheidung nothwendigen Schritte gethan und dieselbe auch ausgesprochen. Heute Morgen, als die Scheidung durch Verlassen der ehelichen Wohnung perfekt werden sollte, nahte sich der Mann der Scheidenden und verlangte einen Ab- schiedsknß. Als sie dicß verweigerte, wurde sie von ihm schreck­lich mißhandelt und ihr die Rase von dem ehemaligen Gatten aus dem Gesicht gebissen. Hierauf stürzte er sich von einem am Hause befindliche» Gerüste, mit dem Kopf voran, zwei Stock her­unter und blieb auf der Stelle todl.

(Alles st r i k t.) Es ist ein aller, durch vieljährlge Uebnng geheiligter Brauch, daß die Bettler der heiligen Stadt Trier am Sonnabend Vormittag Umgang in der «ladt, besonders in dem

heiligen Quartier hinter dem Dom und auf dem lateinischen Wege halten. Am letzten Bettellag nun erklärtendie armen Leute", sie seien mit dem bisher gereichtenKreuzer" nicht inchr zufrieden, es müsse mindestens das Doppelte verabfolgt werden; alles sei theurer geworden, Fleisch, Butter, Eier, Schuhe und sonstige Lebensbedürfnisse, und die Sonnabends gereichten Kreuzer erlaub­ten nicht mehr, Sonntags Morgens zum Kaffee Kuchen zu essen und Nachmittags sich ein Extra-Vergnügen zu verschaffen. Ei­nige der mitleidigen Almosenspender erklärten kurz entschlossen, stricken zu wollen, worauf diearmen Leute" ihrerseits erklärten, mit dem Gebete für das Seelenheil des Gebers gleichfalls Ar­beitseinstellung zu machen. Das war Trumps. Die Wir­kung erfolgte: der Lohn für das Gebet wurde verdoppelt.

Wien, 28. Mai. Alle Maklerbanken liquidsten, die Si­tuation ist trostloser denn je. Massenhafte Exekutionsverkänfe üben einen furchtbaren Druck. Die gestern Abend beim Finanz- minisier stattgehabte Conferenz war resnltatlos. Die Besorgnisse wegen Zahlungseinstellung großer Häuser scheinen unbegründet.

Wien, 1. Juni. Der Kaiser von Rußland, der Großfürst- Thronfolger mit Gemahlin, und Großfürst Wladimir trafen um 2* s Uhr aus dem Nordbahnhofe Hierselbst' ein, begleitet von dem Kaiser von Oesterreich, der den russischen Herrschaften bis Gän­serndorf entgegengefahren war. Von der Kaiserin und allen Erzherzogen und Erzherzoginnen am Bahnhofe empfangen, fuhren nach herzlicher Begrüßung beide Kaiser nach Schönbrann, der Großfürst-Thronfolger nebst Gemahlin, sowie der Großfürst Wladimir in die Hofburg. Die russischen Herrschaften waren in österreichischer, der Kaiser Franz Joseph, Kronprinz Rudolph und die Erzherzoge in russischer Uniform. In Gänserndorf umarmten und küßten sich die Monarchen mehrmals. Um 6 Uhr fand Fa- milicndiner in Schönbrunn statt, Abends ist Soiree beim russischen Gesandten. Sämmtliche Wiener Blätter begrüßen die Ankunft des russischen Kaisers mit warm sympathischen Artikeln.

Tarno w, 22. Mai. In der hiesigen Bernhardiner-Kirche hat ein Bauer während der Messe ans den Pfarrer in dem Augen­blicke, als er den Kelch in die Höhe gehoben, eine scharfgeladene Pistole abgefeuert, und als er sah, daß der Schuß sein Ziel verfehlte, einen zweiten Schuß nachgesandt. Der Geistliche wurde am Finger leicht gestreift. Der Thäter, der keine Miene machte, zu entfliehen, wurde sogleich verhaftet. Beim Verhöre erklärte er, einer «ekte anzugehörcn, welche sich zur Aufgabe gestellt habe, die Liebe Gottes durch Gerechtigkeit zu ersetzen, da letztere auf der Welt immer rarer werde. Diese Sekte cxistirt seit zehn Jahren im Wadowicer Bezirke. Ei» fanatischer Mönch Namens Adalbert Sidzia ist ihr Stifter. Er fanatisirte das Landsvolk durch geistliche Uebungen in solchem Grade, daß ihm die Land­leute ihr ganzes Vermögen zur Disposition stellten, die Arbeit und Wirtschaft vernachläßigten und in Wallfahrten ein besseres Dasein suchten. Zn ihm gesellte sich auch in Krakau ein Kapu­ziner und noch ein anderer Mönch, die gemeinsam mit ihm das Volk in dem Wahne zu erhalte» und Proselyten zu machen sachten. Das Haupt der Sekte ist gegenwärtig ein Bäcker aus Wadowice, Namens Banas, der sich für denheiligen Geist" ausgibt. ES ist derselbe, der den Schuß auf den Pfarrer abfeuerte. Die ge­richtliche Verhandlung ist im Zuge.

Nach einer, wohl nicht allzu ernst aufzunehmenden Mit­theilung derDeutsch. Atg.", hätten mehrere französische Aus­steller auf die Nachrichten hin, die gestern von Paris kamen, ihren Willen kundgegeben, ihre Ausstellungsgüter einznpacken und nach Hause zurückzukehren, da sie drohende politische Verwicklungen im Heimatlande fürchten. *

Paris, 29. Mai. DemMessager de Paris zufolge reist Thiers demnächst nach Italien ab. Betreffs des Prinzen Napoleon soll Mac Mahon geäußert haben, kein Gesetz ver­schließe dem Prinzen die Pforten Frankreichs; aber, hätte derselbe hinzugesügt, wenn der Prinz von seinen Pflichten sich leiten ließe, würde derselbe im Auslande bleiben.

Paris, 30. Mai. DieAmtszeitung" meldet die Er- r.enr.ung des Generals Du Barail zum Kriegsminister.