Das für das Physische. Was das Moralische anbelangt, so hörten sie zwar die guten lehren des Vaters, aber von Schule war keine Rede. Die nächste Schule war zwei Stunden entfernt, und außerdem brauchte man die Kinder zu Hause. „Schuster soll beim Leisten bleiben," meinte der Älie, und Dinte, Feder und Papiere waren eben keine Leisten. — Man vergesse nichl, daß das vor 40 Zähren war. —
Ader im Hause des Schuhflickers wohnte ein alter, komischer, aber herzensguter Kauz. Er war aus dem Dorfe, aber in den napoleonischen Kriegen weit hecumgestoßen worden. In der Jugend Soldat, haue er es bis zum Kapellmeister gebracht, spater war er Musttleheer geworben unv halte sich endlich mit seinem kleinen ersparten Vermögen in sein .Heimalsdorf zurückgezogen. Dieser gewann den Kaspar lieb, und halb zum Zei>- vertrelb, halb aus Zuneigung lehrte er ihn die Violine. Kaspar begriff bald, sein feines Gehör und Liebe zum gewählten Instrument brachten ihn bald höher, als sein Lehrer es se geahnt hatte.
Als dieser endlich sein letztes Ständlein herannahen sah, schenkte er vem Kaspar seine V oline jammt Roten und vermachte ihm ein kleines Legal unler der Bedingung, daß er in die Re- sioenz gehe. Dieß that unser guier Kaspar, unv so finden wir ihn denn als k. Hofmusikus wieder.
Er war immer der einfache gale Mann geblieben. Langsam war er bis zu besagter Wurde hinanfgerücki, und während der zwanzig Jahre, die er als Rotenabjchreiber, Lehrer, Aushelfer bei Bällen n. s. w. znbrachle, halte er wahrlich keine Zeit gehabt, seinen mangelhaft Kennlnisseu betreffs des Lesens und Schreibens nachzuhelfeu. Jetzt als gemachter Mann schämte er sich dieses unverschuldeten Fehlers und verbarg ihn mit peinlicher Sorgfalt vor dem forschenden, spöttischen Auge seiner Bekannten.
Wenn Freund Dämeler glaubte, daß ihm das gelinge, so irrte er sich sehr, wie es eben in der Welt zu gehen pflegt. Was wir am sorgfältigsten verbergen wollen, entdecken unsere Mitmenschen am schnellsten, und meist sind wir Schuld daran durch unsere übertriebene Sorgsalt. Beweis der biedere Dämeler. Wenn er Abends im musikalischen Club in einer Ecke hinter der Zeitung ein kleines Schläfchen hielt, ln dem guten Glauben, die Freunde meinten, er lese, — sah er allerdings ihre spöttischen Blicke nicht. — Wenn ihn dann einer frug, ob er auch den Eisbären betrachten wolle, der heute im goldenen Adler angekommen sei, - Und auf seine Verneinung ihm die betreffende Stelle in her Zeitung vorhielt, die vielleicht von China und Japan, aber nicht im Geringsten von Eisbären und goldenen Adlern handelte,
— meinte er ganz gravitätisch: „das Hab' ich ganz übersehen," und las, oder that so, alles sehr ernst. — Am andern Tag sahen ihn die Leute in den goldenen Adler gehen und sich beim Portier theilnehmend nach dem Eisbären erkundigen. — Der schüttelte den Kopf und meinte: Ein russischer Graf sei zwar gestern angekommen, aber von einem Eisbären wisse er nichts.
— Abends schimpfte dann Dämeler und inil ihm seine Freunde weidlich über Zeitungen und über Zeitungsschreiber, die nichts als Enten und Lügen brächten, und bloß gut seien, die Leute anzusühren.
Solche Sachen geschahen wohl hie und da, aber im Allgemeinen schonte man d?r Schwäche Dämelers, denn alle kannten ihn als einen guten Mann und treuen Kameraden, der gerne half, wo er konnte, und von allen geachtet wurde.
Eines schönen Tages lag Dämeler früh Morgens noch im süßen Schlummer, als ein heftiges Pochen an der Thür ihn unsanft erweckte und auf sein „Herein" ein Briefträger eintrilt.
— Ein Briefträger. — Du, geliebter Leser, der du täglich, vielleicht manchmal, mit diesem neumodischen Merkur verkehrst, betrachtest ihn als eine höchst einfache, natürliche Erscheinung, die eben dazu da ist, dir die Briefe von der Post zu bringen.
— Lehr einfach. —
Jawohl, aber wenn in besagten Umständen am frühen Morgen bei deinem Hereinrnfen ein stattlicher Indianer mit gewal- nger F-edcrkrone, die drohende Kriegskeule in der Hand und mu wilden Bärenfellen bekleidet einträte, du tonntest nicht mehr erstaunen, als Dämeler.
Ein Brief. Aus eben erklärten Gründen hatte er noch nie Briese geschrieben, ebenso wenig je Briefe gelesen. — Seine Eltern waren schon längst todr, alle seine Bekannten in der Residenz, woher also der Brief? — Folgender Dialog entspann sich:
Br. Wohut hier der Hofmusikus Dämeler?
D- Der bin ich; was wollen Sie?
Br. Brief hier, macht 'neu Groschen!
D. Brief, — an mich?! —
Br. Wenn Sie der Hofmusikns Kaspar Dämeler sind, so ist er an Sie! —
D. Ja, aber schauen Sie doch nach, (sehr ängstlich) er kann doch nicht an mich sein! —
Br. Da, schauen Sir selber! machen Sie schnell, 'nen Groschen, ich habe Eile. —
Der Groschen wurde gefunden und überreicht, und der Briefträger entfernte sich, die Bemerkung vor sich hinmurmelnd : Na, wenn 's bei dem nicht rappelt, so - —
Der Gute ahnte nicht, welches Entsetzen er erregt hatte, und welcher Sturm in Dämelers Brust wogte.
Lange betrachtete er die Adresse, staunte das Siegel an, drehte ihn hin und her, vergebens! Das „verschleierte Bild zu Sais" war ein größeres Geheimniß als besagter Brief. — Endlich warf er ihn aus den Tisch, kroch unter die Decke und fieng an zu schwitzen, — vor Angst nämlich.
Nach einiger Zeit ließ sich wieder ein Klopfen an der Thüre hören. Obgleich es viel ruhiger klang, als das des Briefträgers, so antwortete Dämeler doch nicht — Wer weiß, es konnte wieder solch ein heimtückischer Dämon kommen, und dann war er verloren, das fühlte er.
Trotzdem ging die Thüre auf, und herein trat die Clari- nette, — d. h. nicht die Clarinette selbst, aber doch der College Dämelers, der dieses Instrument handhabte. Er kam, um mit verschiedenen Flüchen untermischt, Dämeler zu einer unerwarteten Probe zu rufen.
Plötzlich fielen seine Äugen auf den Brief. — „Potz tausend! da liegt ja ein Brief!" — „Nun was ist's denn? versetzte dieser im Tone eines MänNes, der täglich von allen Welttheilen Briefe empfängt, — „hast du denn noch keinen Brief gesehen, daß du so schreist?" — „Las schon, aber" — du kannst ja nicht lesen, wollte er sagen, verschluckte aber schnell den Gedanken, und meinte, „aber warum machst du ihn denn nicht auf?" — „Ja sieh, lieber Freund, ich schwitze den Morgen so entsetzlich (buchstäbliche Wahrheit, wir wissen warum), daß ich keinen Arm Herausstrecken kann. Weißt du was, lies mir ihn vor!"
Dazu war die neugierige Clarinette gleich bereit, — ein Ruck, das Siegel war gelöst; die Brust Dämelers erleichterte . sich, das Geheimniß ging seiner Enthüllung entgegen.
(Fortsetzung sotgt-1
Allerlei.
— (Ballonreise.) Ein abenteuerlicher amerikanischer Lnst- schifser, Professor Donaldsdn, brabsichüistt diesen Sommer den atlantischen Ocean auf der sHeise »ach Irland in einem großen Ballon zu passiren. Die Maschine wird circa 2000 Pfd. wiegeü, 208,000 Cubikfuß Gas und zwei kleine Behälter zum Schutze gegen Leckwerden, sowie einen elektrischen Beleuchtungsapparat enthalten. Der Professor rechnet, seine Reise in dem Zeiträume von 17 Stunden bis 2'/, Tagen zurückzulegen und beabsichtigt, wenn das Experiment sich als erfolgreich erweist, eine Ballonpost und Passagierlinie um die Welt zu errichten.
Amtliche und Privat-Bekanntmachungen.
R o t t e n b u r g.
Strick-Waaren- und
Wolle-Verkauf.
Aus der Gantmasse der Constantin Norz'scheN Eheleute hier werden am Samstag den 31. d. Mts., von Morgens '/,9 Uhr an, auf hiesigem Rathhaus verkauft:
130 blaue, blaumelirtc und braune wollene Manns- und Weiber-Kittel, 13 Pfund schwarze, 6 Pfund weiße und 24^Pfnnd braune Wolle, wozu Liebhaber eingeladen werden.
Rottenburg, 23. Mai 1873.
K. Gerichtsnotariat.
Ru off.
Nagold.
Gläubiger-Aufruf.
Die Gläubiger des verstorbenen Karl AugustBelling, Sattlers hier, haben ihre Forderungen binnen 15 Tagen hier anzumelden, oder aber zu gewärtigen, daß solche bei Auseinandersetzung des Nachlasses unberücksichtigt bleiben.
Den 26. Mai 1873
K. Gerichtsnotariat.
F- ischhci ber.
R o h r d o r f, Gerichtsbezirks Nagold.
Liegenschafts-Verkauf.
Das zu der Ganlmasse des Johann Georg Frey in Rohrdorf gehörige, auf Nagolder Markung gelegene Grundstück, nemlich:
Parz. 4082.
*/s Mrg. 6,0 Acker beim heiligen Kreuz.
Angeschlagen zu 180 fl. Angekauft zu 26 fl.
wird am
Samstag den 14. Juni, Nachmittags 4 Uhr,
aus dem Rohrdorfer Rathhaufe im zweiten und letzten öffentlichen Anfstrcich zum Verkauf gebracht.
Den 21. Mai 1873.
Gerichtsnotär von Nagold Fifchhaber.
' R ohrd o r f.
Circa 3—4000
Dachziegel
kann abgeben Christian Seeg er.