Paris, 26. Mai. Marschall Mac Mahon erhielt der „Agence Havas" zufolge Glückwunschtelegramme seitens einiger europäischen Höfe. Heute Morgen empfing derselbe den Botschafter Graf Arnim. (Diese letztere Nachricht wird dememirt.)
Versailles, 26. Mai. In der heutigen Sitzung der Nationalversammlung verliert Buffet das vom amtlichen Organ bereits veröffentlichte Schreiben Mac Mahon's. Darauf verliest Broglie eine Botschaft Mac-Mahons, worin dargelegt wird, daß die Regierung der Vollstrecker der Gesetze und der treue Vollfnhrer des Willens der Majorität sein werde Was die äußere Politik betrifft, so werde er die Politik seines Vorgängers, Wahrung des Friedens und die Reorganisation der Armee iort- setzen. Die innere Politik werde eine energisch konservative sein. Er werde den Gesetzen Organe geben, welche dieselben achten und ihnen Achtung verschaffen und 'werde die Schildwache sein, welche über der Integrität des souveränen Willens der Nationalversammlung wacht.
Für die Ruhe in Frankreich wird also in nächster Zeit gesorgt sein, La der neue MarschalbPräsident darin nicht mit sich spassen lassen dürste. Die Radikale» sind sich ihrer Machtlosigkeit bewußt, um irgend etwas Gewaltsames zu versuchen; der Bürger und Votier will Ruhe, er ist der Hetzerei so überdrüssig, daß ihm die Regierung die liebste ist, die am meiste» sür Ruhe und Sicherbeit sorgt. Mac Mahon ist dazu sehr populär;- „der Held von Reichshofen", der Geopferte von Sedan, ist er in der Meinung des französischen Volkes mit vermehrtem Ruhme ans dem Unglücksfeldzug hervorgegange». Als seine Hauptaufgabe wird er übrigens die Reorganisation der Armee betrachten, nach Innen wird er wohl die von Broglie u. Gen. im Namen der Ordnung geübte Reaktion ihren Lauf gehen lassen. Die Präfekturen werde» mit wohlgesinnten Ordnungsmännei» neu besetzt, und das Terrain wird für die nächsten Wahlen (mit welchen es übrigens nicht pressiren wird, da die Auflösung der Versammlung durch die neue Wendung ins unbestimmte hinansgerückt ist) hergerichtei. Später wird man aber den Kampf wieder um so heftiger entbrennen sehen, ans der einen Seite die selbst ivieder in drei Parteien zerfallenden Monarchisten, auf der andern Seite die Republikaner. '
'Nach einem Telegramm der „Frkft. Ztg." hätte Mac Mahon einen Äries an den deutschen Kaiser gerichtet. Bazaine bittet in einem Briese an Mac Mahon um Aburtheilnng. Ladmirault ersetzt Mac Mahon in seiner bisherigen Stellung, Donai ersetzt Ladmiraull. — „DebatS", „Temps", „Soir" rathen den Siegern zur Mäßigung und zur Aufrechlerhaltung der Republik, da bei Umsturzversuchen der Bürgerkrieg unvermeidlich folgen müßte.
Der bisherige offiziöse „Bien public" erzählt von gestern ein merkwürdiges Detail: Ais Buffet, Märtel und BenoiN d'Azy sich zu dem Marschall Mac Mah-on begaben, um ihm seine Wahl anzukündigen, befand sich der Marschall zu Besuche bei — Herrn Thiers. Das Bureau mußte warten, bis der neue Präsident sich von dem gestürzten Präsidenten der Republik empfohlen hatte und in Begleitung eines Adjutanten in seine Wohnung zurück- gekehrt war.
Thiers ist gesallen wie Grevy, auf eine etwas glänzendere Weise, hat aber Seitens der Versammlung noch größeren Undank erfahren. Daß ihm dies geschehen, hat er sich indeß selbst zu verwüsten. Seit seiner 'November Botschaft, die ihm eine so große Popularität verschaffte, lenkte er ivieder ein, nahm in vielen Fällen seine darin ausgesprochene Politik theilweise zurück und gab nach keiner Seite hin volle Befriedigung. Jede Partei mar das Schaukelsystem müde, das ihm vielleicht unter Umständen geboten war, das er aber mit seiner letzten politischen That, seiner pro- jccnrten Verfassung, wieder forlsetzte, als er endlich offen nach links sich wenden konnte, wenn es ihm dazu gelüstete. Thiers wußte aber, daß er nicht die Macht besaß, seinen Willen gegen die Kammermajorität und gegen dis Heerführer durchzusetzen, und blieb ivieder beim fust mitten. Es ist ihm nicht die Genuglhunng geworden, die Gebietsränmnng zu Ende zu sichren und seiner Regicrungüzeit in der Geschichte ein volles Blatt zu verschaffen. Er hat Vieles und auch Gutes geleistet, aber den Ruhm seines Namens hat er nicht in dem Grade vergrößert, wie er hoffte, und wie seine Schmeichler es ihm prophezeihten.
Unerwartet ist der Rücktritt Thiers nicht gekommen. Die Rechte der Nationalversammlung wollte Thiers stürzen, weil er die provisorische Republik in eine definitive (conservative) umwandeln wollte. Das wollte die Rechte nicht; denn sie besteht aus offenen und stillen Anhängern aller monarchischen Parteien, ans Bourdonisten, Orleanisten und Napoleonisten, und sie hat mit Hülfe der Hin- und Her-Schwankenden die Majorität. Thiers berief ein neues Ministerinin Pürier und legte Gesetze (z. B. über die Wahl der Nationalversammlung und des Präsidenten) vor, welche die conservative Republik organisiren sollten. Er erklärte, daß er mit dieser Vorlage stehen oder fallen werde. Die Rechte ließ ihn fallen, d h sie scheint sich gegen das Ministerium und gegen die Vorlage erklärt und Thiers in Folge davon sofort seine Abdankung ausgesprochen zu haben. So muß man
sich die Lücke zwischen den letzten Nachrichten und den telegraphischen Depeschen erklären. Mac Mahon scheint nur ein Aiishnlfsmann der Rechten, aber es fragt sich, ob er selber Lust hat, nur die Schulter zu sein, über die ein Anderer (Herzog von Aumalc) zum Throne klettern will, und vor Allem fragt sich's, was Paris und was Frankreich zu diesen Dingen sagt.
Ans Thiers' Rede ist noch zu bemerken, daß er bei Auszählung seiner Verdienste sagte: „Alle europäischen Geldplätze sind in kritischer Lage, nur wir nicht, die wir zu bezahlen ha- ben. Wir setzen Europa in Erstaunen. Was die Alliancen betrifft, so möchte ich wünschen, ich könnte Ihnen, besonders den ungläubigen unter Ihnen, unzere Archive aufthun. Wir haben
die Achtung Eurova's wieder gewonnen. Bei unsern
'Nachbarn, in der siegreichen Nation, hat man neulich einen Aufruhr erlebt, wobei Brauereien demolirt worden sind. Bei uns wurde der, welcher so etwas unternähme, schon vorher niedergemacht." (Hat Herr Thiers die Commune schon vergessen?)
Florenz, 27. Mai. Das „Giornale di Firenze" meldet: Der Papst empfing den französischen Botschafter, welcher dem Pabste über die Ereignisse in Frankreich berichtete. Der Pabst erwiderte, er werde jetzt vertrauensvoller beten, daß Gort die den christlichen Principien ergebene Nationalversammlung und das neue Staatsoberhaupt, welches die Ordnung, die Gerechtigkeit und die Eioilisation ernstlich verbürge, segnen möge.
Die Krankheit deS Papstes, sagt das englische medizinische Fachblatt „Lauest", ist viel ernster, a!S man amtlich einräumen möchte. Erschöpfung des Gehirns und Rückenmarks, das Ergebniß einer lebenslänglichen Anlage zu fallsnchlähnlichen Anfällen tritt zu Tage, während andererseits die Anfälle des Hustens, welche von Bronchitis herrühren, an und für sich schon hinreichen, die Kongestionen herbeiznfnhrcn. welche die oben erwähnten Anfälle nach sich ziehen. Auch sonst zeigen sich bedenkliche Symptome, und die ärztliche Prognose würde selbst dann eine sehr ernste sein, wenn Se. Heiligkeit nicht ein vielgeprüfter 80jähriger Greis wäre.
Ein schreckliches Ereigniß soll sich russischen Blättern zufolge in dem einige Werst von Warschau entfernten Dorfe Maiy- mont zugetragen baden. Ein Bauer, halte zwei große Baumstümpfe mit den Wurzeln als Brennmaterial aus dem Walde gebracht und in seine Hütte genommen. Die Wurzeln waren stellenweise schon verfault, was bewies, daß sie sich schon lange über der Erde befunden hatten. In der Nacht wurde der Bauer durch das durchdringende Geschrei seiner drei Kinder, die ans dem Hängeboden schliefen, erweckt. Statt aufznftehen und Licht anznzünden, schalt der ermüdete Bauer die Kinder wegen ihres Geschreis, und befahl ihnen still zu sein. Sie schrien hieraus noch etwas, wurden dann allmählig still. Wie groß war aber am Morgen der Schrecken des Bauern, als er die wahre Ursache des Geschreis seiner Kinder entdeckte. Alle drei waren stark geschwollen und todt, und neben ihnen ruhten zusammenge- ringelt drei ziemlich gzwße Schlange», die wahrscheinlich mit den Baumivurzeln ins Haus gebracht worden waren.
Der Schah von Persien, welcher seit dem Betreten des russischen Bodens als Gast der Regierung behandelt und am 22. Mai in Petersburg angekommen, brachte zwar nur drei von seinen Frauen mit, hätte aber dem Oberceremouienmeister des kaiserlichen Hofes keinen größeren Gefallen thnn können, als wenn er sie alle zu Hanse gelassen hätte. Selbst in den besten Handbüchern der höheren Compliinentirkunst findet sich nirgends Aufschluß über einen solchen Fall, und man weiß absolut nicht, in welchem Schubfach der russischen Hofetikette die drei Damen standesgemäß untergebracht werden dürfen, die, wenn auch nicht als souveräne Schahinnen, doch immer als einflußreiche, liebenswürdige Persönlichkeiten mit besonderer Auszeichnung empfangen und geehrt werden müssen. Es lastet daher keine geringe Verantwortlichkeit auf denen, deren Amt es mit sich bringt, eine richtige Formel zu finden, zumal da für die ganze europäische Hofetikette ein Präcedenzfall damit ausgestellt wird. Der Schah selbst erhält in der unteren Etage des kaiserl. Winterpalais seine Wohnung; höher hinauf zu steigen, verbietet ihm die persische Sitte; auch sind nur 16 Personen von Rang berechtigt, mit ihrem Gebieter unter einem Dache zu verweilen, das übrige Gefolge muß auswärts untergebracht werden.
Gin Schwank.
In einer deutschen Haupt- und Residenzstadt lebte ein Hof- mnsikus, den wir Dämeler nennen wollen. Er war von einfacher Herkunft, denn sein Vater war ein guter, einfacher Schuhflicker gewesen, der in einem kleinen Dorfe sich kümmerlich durchschlug und manchmal kaum wußte, woher das Brod für seine Würmchen, wie er seine Kinder nannte, zu schaffen. Würmchen nähren sich selbst, Kinder aber nicht, folglich paßte die Titulatur nicht ganz, und das merkte der biedere Schuhflicker gar manchmal des Tages. Item, arme Leute kochen mit Wasser, sagte er manchmal, und er rhat es eben auch. Wurden die Kinder nicht fett, so waren sie doch gesund, und das ist die Hauptsache.